Fünfunddreißig

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Wir blieben noch bis zum Ende von Marcs Urlaub in Columbus. Ich mochte es, wieder Zuhause zu sein – wobei ich mir nicht sicher war, ob ich Ohio noch wirklich mein Zuhause nennen konnte. Es war dort zu viel passiert. Aber in Seattle war schon mindestens genauso viel passiert, und irgendwie hatte ich mittlerweile das Gefühl, gar kein richtiges Zuhause mehr zu haben. Nirgendwo fühlte es sich an wie ein Ankommen. Columbus hatte sich wie Urlaub angefühlt, und als wir in Seattle landeten, begann für mich der nächste.

Ich wusste, dass Marc für immer stolzer Ohio-Bürger bleiben würde. Klar, jetzt gehörte er hierhin. Hier arbeitete er, hier lebte er. Aber es würde nie sein Zuhause sein. Er würde für immer jährlich an seine alte Uni spenden. Er würde für immer beim Superbowl für die Cincinnati Bengals jubeln. Das würde sich nicht ändern.

Und ich würde für immer treiben, zwischen Washington und Ohio und dem kalten Arkansas, aus dem Lucie ursprünglich kam. Sie hatte mir irgendwann versprochen, mit mir dorthin zu fahren.

Irgendwann mit mir dorthin zu fahren. Und wann immer ein Versprechen das Wort Irgendwann beinhaltete, dann wurde es meistens nicht wahr. Irgendwann hing nur in der Luft, war eigentlich gar nicht greifbar.

Lucie und ich hatten viele Irgendwanns und noch viel mehr Was-Wäre-Wenns, und nie wurde irgendetwas aus ihnen. Vielleicht waren wir einfach nicht dazu bestimmt.

Michael hatte die ganze Heimreise über geschlafen und wachte auch nicht auf, während ich ihn in sein Zimmer trug und in sein Bett legte.

Jetzt lag ich neben Marc im Bett und starrte an die Decke, deren weinrote Farbe sich schon langsam abblätterte.

„El?"

„Ja?"

„Ich weiß, dass ich in der Vergangenheit echt beschissen zu dir war."

„Okay...?"

„Und dass du mir wahrscheinlich nicht vertraust. Vertraust du mir?"

Nein. „Du bist mein Mann, Marc", sagte ich, obwohl ich wusste, dass das keine richtige Antwort war.

„Das bedeutet nichts."

„Ich vertraue dir." Manchmal.

„Wirklich? Ganz sicher?", drängelte er.

„Wirklich", sagte ich, nun etwas entschlossener.

„Danke", raunte er und fuhr fort mit: „Ich kenne glaub ich niemanden, der so verständnisvoll ist wie du. Echt niemanden. Ich meine..."

„Marc. Es ist okay", unterbrach ich ihn. Ich wollte nicht, dass er weiterredete, weil ich wusste, dass es nur zwei mögliche Folgen hatte: Erstens, ich würde ihm in die Arme fallen und ihm dafür danken, dass er mich liebte. Zweitens, ich würde anfangen, alles zu hinterfragen und ihm gegen den Kopf werfen, dass er meine Liebe nicht verdient hatte, und dann würde er mir etwas anderes an den Kopf hauen. Vielleicht eine Faust. Vielleicht die kleine Nachttischlampe, die er vor kurzem gekauft hatte. Egal was, es würde nicht gut für mich sein.

Ich musste einfach endlich lernen, ihn nicht an mich ranzulassen. Ihn reden zu lassen und die Worte nicht an mir knabbern lassen.

Ich musste einfach lernen, mit ihm zu leben, aber keinen Platz in mir für ihn zu lassen.

Dieses Versprechen hielt genau einen Tag lang an. Bis zu dem Zeitpunkt, zu dem er von der Arbeit nach Hause kam und mich begrüßte, indem er sagte: „Scotch. Jetzt."

Ich reichte ihm ein Glas, mit dem hübschesten Lächeln im Gesicht, das ich produzieren konnte. Und innerlich fällte ich in ebendiesem Moment einen Entschluss, der schon seit Jahren überfällig war.

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