Siebenundzwanzig

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Ich saß mit Michael im Arm auf der Couch und wog ihn langsam. Er gluckste leise, was mich zum Lächeln brachte. Fast konnte ich nicht glauben, dass er nicht doch magisch war. Er musste einfach irgendwelche besonderen Fähigkeiten haben. Alles war so friedlich, wenn er da war.

Das viel zu laute Geräusch, das unsere neu eingerichtete Klingel auslöste, ließ mich zusammenzucken und unterbrach meinen Frieden.

Besuch um elf Uhr nachts war ungewohnt. Konnte auch sein, dass Marc einfach seine Schlüssel vergessen hatte, wobei ihm das nicht wirklich ähnlichsah. Ich stand auf, ging in schleppendem Gang zur Tür, sah durchs Guckloch und wünschte mir fast, es nicht getan zu haben.

Sie stand vor meiner Tür.

Mein Herz fiel auf den Boden und zersprang in klitzekleine Scherben, die in tiefrotem Blut schwammen, gemischt mit salzigen Tränen.

Sie stand wirklich vor meiner Tür. In voller Pracht – schwarzes Haar, verschwommene Mascara unter den Augen und eine Sporttasche in der Hand.

War sie echt?

War sie überhaupt tatsächlich da?

Oder war sie nur ein Fiebertraum? Nichts als eine Einbildung?

Ich hatte gar kein Fieber.

Nein, sie war echt. So echt wie sie noch nie gewesen war.

Echter als bei jeder Umarmung, echter als in jeder Nacht, in der wir zusammen aufgeblieben war.

Echter als der Sonnenfleck.

Langsam machte ich die Tür auf und sie starrte mich aus großen Augen an. Große braune Augen, in denen irgendwie viel zu viel Unschuld lag.

„Betty?" Sie klang überrascht, als hätte sie mich nicht erwartet, mich hier anzutreffen. Ich wohnte hier, sie war Marcs Entertainment, wenn ihm langweilig wurde. Und sie kam ja nicht einmal her, er fuhr zu ihr.

„Ally."

„Ich...wollte nur", setzte sie an. „Wollte zu...", fing sie noch einmal an, brachte aber auch diesen Satz nicht zu Ende.

„Suchst du Marc?", fragte ich, schärfer als beabsichtigt.

„Ja."

„Er arbeitet." Auch wenn ich mir nicht erklären konnte, was er so spät noch machte. Das schaffte es nicht über meine Lippen, die Zeiten, in denen ich meine Sorgen mit Ally teilte, waren schon ewig vorbei.

„Er meinte letztens..." Sie verstummte und richtete den Blick auf den Boden.

„Er meinte was?"

„Dass ihr euch getrennt habt. Für...für mich. So wichtig bin ich ihm." Sie schluckte leise und umschlang den Griff ihrer Tasche noch enger. „Oder...naja, er meinte zumindest, dass er sich von dir trennen wird."

Sie tat mir leid, ein kleines bisschen. Sie erinnerte mich an mich, ein kleines bisschen. Andererseits sollte sie das nicht. Sie war einer der vielen Gründe, dass ich meine schöne Kinderbuch-Werbung-Familie nicht haben konnte. Dafür hatte sie mein Mitleid nicht verdient.

„Das hat er gesagt?" Das ist bestimmt schon länger her. Vor Michael. Er liebt dich er liebt dich er liebt dich.

Kaum merklich nickte sie. „Sogar versprochen." Ihre Stimme zitterte, ebenso wie ihre Lippen.

Sie tut dir nicht leid, okay? Sie ist dir nicht einmal mehr wichtig. Du hast sie jahrelang nicht gesehen, oder nicht? Wieso sollte sie dir irgendetwas bedeuten? Tut sie nicht.

Definiere LiebeWhere stories live. Discover now