Irusu

4.1K 444 75
                                    

Erschrocken stehe ich auf und verschränke die Hände vor meiner Mitte. Henry sieht überrascht zu mir auf.
„Maxwell, es ist okay-", beginnt er, doch ich drehe mich unverzüglich um und laufe aus dem Park, ohne mich noch einmal umzudrehen.

Fünfzehn Minuten später bin ich zu Hause und schließe meine Tür hinter mir ab. Ich ziehe mich bis auf meine Boxershorts aus und lege mich auf die kühlen Fliesen im Badezimmer. Ich weiß nicht warum, aber als Kind hat mich das auch schon immer beruhigt. Ich liege da und spüre den kalten Marmor an meiner Haut.

Irgendwann höre ich mein Telefon im Flur klingeln und weiß, es ist Jenny, die sich Sorgen macht, dass ich nicht pünktlich bei ihr bin. Es klingelt erneut und ich kann mich noch immer nicht bewegen. Ich sollte ihren Anruf beantworten, sonst macht sie sich Sorgen und taucht hier auf. Und wie soll ich ihr das erklären? Doch ich bin bewegungsunfähig und konzentriere mich nur auf das Gefühl des glatten, kalten Marmors an meiner Haut.

Das Klingeln der Tür lässt mich kurz zusammenzucken. Ich weiß nicht, wie lange ich hier schon liege. Ich habe mein Zeitgefühl verloren.
„Max?"
Lautes Klopfen.
„Max, bist du da?", höre ich meine Schwester rufen. Es ist nicht das erste Mal, dass sie mich so vorfindet, aber heute ist es besonders beschämend, da ich ihr mein Problem unmöglich schildern kann.
„Max, hörst du mich?", ruft sie und auf einmal sagt sie: „Wer sind Sie?"
„Hallo, ich bin Henry Page. Ich bin ein guter Freund von Maxwell."

Henry ist hier?
„Wie bitte? Max hat keine Freunde", höre ich Jenny. Ich hatte bislang davon abgesehen, ihr von Henry zu erzählen. Nur Dr. Cooke weiß von ihm, weil er in meinen Notizbüchern lesen darf.
Mein Notizbuch!
„Er hat das hier bei unserem Treffen heute vergessen und ich wollte es ihm zurückbringen", sagt Henry jetzt mit seiner samtigen Stimme.
„Danke, das gehört ihm. Ich gebe es ihm", antwortet meine Schwester.
„Sie müssen Jenny sein, seine Schwester."
„Er hat von mir erzählt?"
„Ein wenig."
„Woher kennen Sie meinen Bruder?"
„Aus dem Park."
„Ich denke, er ist noch dort, vielleicht gehen Sie mal gucken", schlägt Jennifer vor.
„Nein, ich bin sicher, er ist zu Hause. Maxwell, Irusu ist wirklich nicht besonders sinnvoll in dieser Situation", ruft Henry durch die Tür.

Ich runzele die Stirn. Was ist Irusu jetzt wieder?
„Hören Sie, ich weiß nicht, wovon Sie sprechen oder was Sie von Max wollen, aber es geht ihm nicht gut und ich muss jetzt zu ihm. Bitte gehen Sie jetzt", höre ich Jennifer sagen und dann erklingt das bekannte Klirren von Schlüsseln. Plötzlich will ich nicht, dass meine Schwester mich so vorfindet und der Auslöser für meine.. Situation vor meiner Tür steht.

„Nein!", rufe ich, ohne mich zu bewegen.
„Was?", fragt Jennifer durch die nun geöffnete Wohnungstür.
„Ich.. könntest du Henry reinschicken?", rufe ich zurück.
„Max, bist du okay?"
„Ja, es geht mir gut. Nur.. ich würde mich wohler fühlen, wenn Henry hereinkommen würde."
„Ich rufe Dr. Cooke an", beschließt Jennifer.
„Nein, Jenny. Alles ist okay. Wirklich. Ich rufe dich an. Versprochen", erkläre ich.
„Ich helfe dir", bietet sie an.
„Jenny, bitte! Ich rufe dich an, bitte geh!"
„Max, spätestens sieben Uhr oder ich rufe Dr. Cooke an!", befiehlt sie.
„Punkt sieben", seufze ich.

„Kommen mir Klagen, mach ich dich fertig!", schnauzt sie Henry an und ich höre, wie sich ihre Absätze den Flur entlang entfernen. Das Klicken der Tür signalisiert mir, dass Henry sie offenbar geschlossen hat.
„Nicht reinkommen!", rufe ich.
„Darf ich mich vor die Tür setzen?", fragt Henry leise.
„Ja."
Rascheln und Rumpeln lässt mich annehmen, dass er seine Schuhe und Mantel auszieht und sich dann vor die angelehnte Badezimmertür setzt.

„Was ist Irusu?", frage ich.
„Japanisch für Vorgeben, nicht zu Hause zu sein. Soll ich es aufschreiben oder möchtest du?", bietet Henry an.
Richtig, er hat noch mein Buch. Mein Buch, in dessen Innenseite mein Name und meine Adresse steht. Ich kann ihn nicht ansehen, aber er soll auch nicht in mein Buch sehen.
„Ich schreibe es später auf."
„Okay."
„Wie lange dauert es?"
„Was?"
„Bis du dich beruhigt hast."
„Das ist unterschiedlich."
„Passiert das immer, wenn du eine Erektion hast?"

Mein Atem beschleunigt sich und ich kralle meine Fingernägel in die Fugen zwischen den beigefarbenen Fliesen. Er weiß es? Er weiß, was mir passiert ist? War es so offensichtlich? Oh Gott, ich schäme mich so.

„Ich bin froh, dass ich einfach die Frau mit dem Frischebeutel auf dem Kopf anschauen musste, dann ging es wieder", plappert Henry weiter.
„Was?", piepse ich.
„Ja, die in dem grünen Mantel mit dem Köter, dessen Haufen sie nie wegmacht, es sei denn, man starrt sie an."
„Ich weiß, von welcher Frau du redest", antworte ich etwas genervt.
„Denk an die, die ist echt abturnend."

Ich weiß nicht, was ich darauf antworten soll. Ich bin zu verwirrt über die Tatsache, dass Henry eine ähnliche körperliche Reaktion hatte wie ich.
„Hattest du das schon mal?", fragt Henry nun leise.
„Was?"
„Einen Ständer?"
Ich überlege kurz und murmele dann: „Nur morgens."
„Das ist was anderes", antwortet er. Ich nicke, obwohl er es nicht sehen kann. Ich verstehe, was er meint.
„Dann nicht wirklich. Nicht so.."
„Unerwartet?"
„Ja."

Ich höre ihn kichern und spüre die Scham wieder kalt meinen Rücken hinaufkriechen.
„Es ist unglaublich, dass du es mit zwei Sätzen schaffst, dass ich schon wieder hart bin, Maxwell". sagt er und ich höre sein Grinsen dabei. Verwirrt runzele ich die Stirn.
„Ich weiß, das ist alles neu für dich und vermutlich beunruhigend und beängstigend", erklärt er. „Aber fuck.. finde ich das heiß. Ich würde dich nie zu etwas drängen, aber ich bin nunmal ein ehrlicher Mensch und ich habe mich von Anfang an zu dir hingezogen gefühlt."

„Heiß?", frage ich, denn meine Gedanken sausen schon wieder wie wild durch meinen Kopf.
„Ja, es erregt mich. Ich habe keine Ahnung warum. Aber der Gedanke daran, dass ich der Erste war, der dich küssen durfte, der Erste, der dich erregt hat.. fuck, Maxwell. Das macht mich so an."

Ich strecke meinen Arm aus und erreiche gerade die Kante der Tür, um sie etwas weiter aufzuziehen. Ich sehe Henry im Türrahmen sitzen, sein Rücken lehnt dagegen und seine Augen sind geschlossen. Er trägt heute ein auberginefarbenes Hemd, dazu wieder eine schwarze, enge Hose.

Seine Wangen sind leicht gerötet und seine Unterlippe zwischen seine Zähne gezogen. Und ich beobachte, dass seine Hand fest über die Beule zwischen seinen Beinen streichelt.

Oh!

Wortliebe | ✓Where stories live. Discover now