Coddiwomple

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Ich liege auf den kalten Marmorfliesen in meinem Badezimmer und lausche Henrys Geplapper. Ich weiß nicht, wie lange er schon redet und, um ehrlich zu sein, weiß ich auch nicht, was er erzählt, aber mit jedem seiner Worte ist das Brennen und der Druck in meinem Inneren kleiner geworden.

Henry liegt neben mir auf den Fliesen und seine Hand wechselt hin und wieder von meiner Hand in meine Haare und wieder zurück, während er erzählt. Seine braunen Augen mit den goldenen Flecken funkeln vor Begeisterung. Ich glaube, er redet gerade davon, wie er als Kind einmal seine Wand mit dem Inhalt seiner Windel bemalt hat, aber genau weiß ich es nicht.

Ich genieße einfach den Klang seiner Stimme, das Gefühl von seiner Hand auf meiner und die beruhigende Kälte meiner Fliesen an meiner Haut.
„Was hältst du von Coddiwomple?"
Fragend ziehe ich meine Augenbrauen zusammen.
Henry lacht und wuschelt durch meine dichten Haare.
„Absichtlich zu einem unbekannten Ziel reisen. Wir packen ein paar Sachen zusammen, fahren zum Flughafen und nehmen den.. sagen wir, fünfzehnten Flug, der geht."

„Ich bin noch nie geflogen", antworte ich. Es sind die ersten Worte, die ich sage, seit er sich neben mich gelegt hat.
„Ich bin auch noch nie Ski gefahren."
Wieder sehe ich ihn fragend an. Was hat Skifahren damit zu tun?
Henry lacht mich an, ich mag das Glitzern in seinen Augen.
„Ich will damit sagen: nur weil man etwas noch nie getan hat, heißt es nicht, dass man es nicht mal ausprobieren sollte."

„Fliegen beunruhigt mich."
„Das kannst du nicht wissen, wenn du es noch nie probiert hast."
„Aber der Gedanke beunruhigt mich."
„Der Gedanke an Skorpione beunruhigt mich, aber von denen gibt es in New York nicht so viele, darum denke ich nicht viel darüber nach."
Ich muss grinsen, denn ich verstehe ihn einfach nicht.

Sein Gesicht erhellt sich noch mehr und er sagt: „Hey! Da bist du ja wieder."
Ich spüre, wie mein Gesicht warm wird.
„Meinst du, wir können aufstehen? Ich verstehe den Reiz dieser Position, aber dein Sofa ist auch sehr bequem, Maxwell."
Ich nicke leicht und drücke mich langsam nach oben. Henry nimmt meinen grauen Pullover und meine blaue Hose vom Hocker und reicht sie mir. Während ich mich anziehe, geht er bereits ins Wohnzimmer und als ich dort ankomme, sitzt er schon auf meinem schwarzen Sofa, meine graue Fleecedecke auf seinem Schoß.

Verlegen stehe ich herum und er klopft auf den Platz neben sich.
„Komm her", sagt er leise und ich rutsche neben ihn. Er legt die Decke über meinen Schoß und seine Hand auf meine. Ich sehe, dass mein weinrotes Dezemberbuch vor mir auf dem Couchtisch liegt. Ich würde gern schreiben, aber viel lieber würde ich Henrys Stimme weiter hören.

„Warum bist du gegangen?", fragt Henry mich plötzlich.
Ich schlucke schwer und versuche, tief durchzuatmen. Augenblicklich ist dieser Druck in meinem Brustkorb zurück. Ich versuche, meine Hand aus Henrys zu ziehen, doch er hält sie fest.
„Maxwell", sagt er ruhig. „Ich kann mir vorstellen, dass sich wieder irgendetwas in deinem Kopf selbständig gemacht hat, aber bitte rede mit mir."
Ich kneife meine Augen zusammen und versuche, zu atmen und mich an den Moment, als mein Gedankenkarussell begann, zu erinnern. Das ist dieses Mal gar nicht so einfach, immerhin ist das schon zwei Tage her.

„Du hast mich geküsst und wolltest mich anfassen", beginne ich. „Und dann hast du gesagt, du willst dich revanchieren. Und ich dachte, du tust es nur deshalb. Ich will nicht, dass du etwas tust, das du eigentlich gar nicht willst. Ich habe dich gern angefasst. Wenn du das nicht bei mir machen möchtest, ist das für mich in Ordnung. Ich möchte nicht, dass du denkst, du musst das tun, nur weil ich es bei dir getan habe. Und dann habe ich mich so geschämt, weil ich befürchtet habe, dass du mich abstoßend findest und es nur tust, weil du mir einen Gefallen tun willst", sprudelt es aus mir heraus.

Henry sagt nichts. Er hört sich meinen Worterguss an und als ich fertig bin, atme ich zitternd aus. Meine Hand in seiner fühlt sich schwitzig an und ich wünsche mir gerade meine kühlen Fliesen im Bad zurück.
„Fertig?", fragt er nur und ich nicke zögerlich.
„Ich habe gesagt, ich will mich revanchieren und du dachtest, ich tue das nur, weil ich dir einen Gefallen tun möchte", fasst er zusammen. Ich nicke wieder.
„Maxwell", sagt er leise. „Hast du es genossen, als du mich berührt hast?"

Ich runzele die Stirn. Natürlich. Ihn zu berühren und ihm solche Freude zu bereiten, war das Beste, was ich bisher erleben durfte.
„J-ja", antworte ich leise. „Sehr sogar."
„Und meinst du nicht, dass ich es nicht vielleicht genauso genießen würde, dich zu berühren?"
So habe ich das noch gar nicht betrachtet und zucke mit den Schultern.
„Um ehrlich zu sein, kann ich an nichts anderes denken, seit wir uns kennen", sagt Henry ehrlich.
Überrascht öffne ich meine Augen und sehe ihn an. Er lächelt etwas beschämt und seine Wangen sind leicht gerötet. „Ich habe mir so oft vorgestellt, wie es ist, dich zu berühren, dass ich es kaum erwarten konnte."

Ich schlucke.
„Und ich finde dich alles andere als abstoßend. Du hättest mich also auf keinen Fall zu etwas genötigt, das ich nicht tun will. Ganz im Gegenteil, du hättest mir damit einen großen Wunsch erfüllt."
„Oh."
Ich spüre, wie meine Wangen wieder warm werden und komme mir plötzlich unfassbar dumm vor. Wenn ich nicht immer gleich wegrennen würde, hätte ich mir selbst und vor allem Henry das alles ersparen können.

„Hey", macht Henry auf einmal und ich bemerke, dass ich schon wieder meine Augen zusammenkneife. „Du rennst jetzt aber nicht gleich wieder weg, oder?"
„Ich war so dumm", presse ich hervor. Henrys Daumen streift langsam über meinen Handrücken. Ich mag das Gefühl.
„Ein bisschen vielleicht", sagt er leise. „Aber das Gute ist, dass du hoffentlich daraus lernst und beim nächsten Mal gleich mit mir sprichst."

Vorsichtig öffne ich meine Augen und sehe ihn an. Er lächelt und streicht mit seiner Hand über meine Wange. Das Gefühl mag ich auch.
„Also, Maxwell", erklärt er langsam. „Wenn du das nächste Mal etwas denkst, was ich denken könnte, fragst du mich einfach, okay? Du läufst nicht weg, du fragst mich. Und wenn du mit deinen Gedanken richtig liegen solltest, kannst du dann ja immer noch weglaufen und dich auf deine Fliesen legen."
Ich nicke vorsichtig, der Vorschlag leuchtet mir ein.

„So", sagt Henry nun. „Und was machen wir nun zuerst?"
Wieder ziehen sich meine Augenbrauen fragend zusammen.
„Zuerst?"
„Ja, was machen wir als Erstes? Coddiwomple oder Anfassen."
Ich reiße die Augen auf und schlucke. Henry lacht mich an.
„Du entscheidest, Maxwell."
Ich atme tief durch und kaue auf meiner Unterlippe herum, bevor ich mit vermutlich hochrotem Kopf ganz leise flüstere: „Anfassen."

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