Kapitel 1

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Daenerys ließ ihren Blick über die zerstörte Stadt schweifen. Sie hatte gesiegt, endlich war sie dort wo sie ihr Leben lang hinwollte, auf dem Eisernen Thron. Aber sie fühlte nichts, weder Freude noch Stolz und bestimmt keine Erhabenheit. Auch jegliches Gefühl von Zorn, Rachsucht oder Trauer war zerstoben zu Asche, wie die Gebäude zu ihren Füßen. Sie stand auf dem breiten Balkon des Roten Bergfrieds, genau dort, wo vor einigen Tagen ihre verhasste Widersacherin Cersei sie auf ihrem Drachenflug beobachtet haben musste. Was mochte die falsche Königin gefühlt haben, als sie Daenerys' Feuerritt zugeschaut hatte? War es Angst gewesen oder hatte sie bis zu Letzt an die eigene Unbesiegbarkeit geglaubt? Wie Dany sich eingestehen musste, war es ihr letztendlich egal, was Cersei gedacht oder gefühlt haben mochte, während sie, einer steinernen Statute gleich, ihrem eigenem Untergang entgegen geblickt hatte. Nun war auch diese selbsternannte Königin Geschichte, genauso wie ihr Bastard-Sohn, ihr Gemahl König Robert, und wie auch ihr eigener Vater, König Aerys, der zweite seines Namens. Sie seufzte. Eigentlich müsste sie glücklich sein, endlich hatte sich ihr Schicksal erfüllt und sie nahm den Platz ein, der ihr, seit ihrer Geburt, vorherbestimmt war. Warum fühlte sie sich dann so leer?

Hinter der geschlossenen Tür, die zu der Balustrade führte, auf der sie seit fast einer Viertelstunde stand, war ein Kratzen zu hören. Daenerys wusste, dass sowohl Tyrion als auch weitere Würdenträger sie zu sprechen wünschten, aber sie wollte nicht. Wenigstens diesen einen Augenblick wollte sie für sich allein haben, bevor sie sich den langwierigen Staatsgeschäften widmen musste. Sie konnte bereits erahnen, was Tyrion ihr zu sagen hatte, dass dieser Sieg ihr zwar zur Ehre gereichte, aber eine Menge politischer Probleme – und das war noch gelinde gesprochen – mit sich brachte. Wenn Dany auf ihn gehört hätte, dann hätten sie gemeinsam Cersei vor ganz Westeros den Prozess machen und sie als das hinstellen können, was sie war: Eine verrückte Tyrannin, die ohne zu zögern ihr eigenes Volk geopfert hätte. Sie wäre als Gattenmöderin entlarvt worden, ihre ganzen Lügen und Intrigen wären auf den Tisch gekommen und das falsche Spiel mit ihren Bastardsöhnen hätte ganz Westeros entsetzt. Daenerys Sturmtochter, die letzte Nachkommin des Hauses Targaryen, wäre unter dem Jubel des Volkes zur neuen Herrscherin gekrönt worden und Jedermann in den Sieben Königslanden hätte mit Freuden das Knie vor ihr gebeugt.

Ja, hätte, dachte Dany bitter, und der wahre Held wäre Tyrion gewesen, der mit seiner politischen Weitsicht und Intelligenz die Fäden im Hintergrund gezogen hat und ich wäre nur eine Marionette in diesem Politspiel. Sei's drum, Cersei kann nicht mehr vor ein Gericht gestellt werden, sie ist tot und ich bin die wahre Königin. Die einsamste Königin auf der gesamten Welt.

Das Aufblitzen eines Lichtstrahls zog ihre Aufmerksamkeit auf sich. Da hinten, in einer der engen Gassen von Königsmund bewegte sich etwas. Dany kniff die Augen zusammen, um besser zu sehen und machte eine Gestalt aus, die hastig ein Fenster, in einem nahezu unzerstörten Hause, schloss. Einer ihrer Untertanen, ging es ihr durch den Kopf. Wieviel Liebe er im Herzen wohl für seine neue Herrscherin hatte? Wahrscheinlich keine. Niemand jubelte ihr zu, es gab keine Menschenansammlungen vor dem Palast, die ihr Ehrerbietung entgegenbrachten. Die Menschen fürchteten sich vor ihr und sie konnte es ihnen noch nicht einmal verübeln. Was würde sie dafür tun, diesen Tag ungeschehen zu machen. Aber war es allein ihre Schuld? Nein, Cersei diese falsche Hexe und ihr widerlicher Piratenliebhaber trugen ebenso Schuld daran. Daenerys fühlte, wie Tränen in ihre Augen traten, als sie an den Augenblick dachte, als Rhaegal vom Himmel stürzte - das zweite ihrer Kinder angeschossen von Feinden - auch daran war sie mitschuldig. Sie war gezwungen gewesen mit Drogon abzudrehen, obwohl die Wut in dem Drachen unter ihr wie wild vibriert hatte. Jede Muskelfaser des Drachens war zum Bersten gespannt gewesen, bereit sich auf die Flotte unter sich zu stürzen, um sie in einem Schwall von Feuer zu versenken. Aber sie hatte Angst, Angst dass auch Drogon von einem der schweren Geschütze getroffen würde und sie hatte ihn mit ihrer ganzen Willenskraft zwingen müssen, zurück zu fliegen. Nach der Landung auf Drachenstein, direkt neben der hochaufragenden Festung, war sie vom Rücken des Drachens geglitten und konnte ihre Tränen nicht länger zurückhalten. Jon, der inmitten einer kleinen Gruppe von Nordmännern, ein Vortrupp, der zusammen mit ihm bereits Drachenstein erreicht hatte, sah sie bestürzt an. Sein Blick wanderte von dem schwer schnaufenden Drogon suchend umher, er vermisste Rhaegal. Jedoch Daenerys Tränen und ihre zitternden Lippen gaben ihm Gewissheit, dass Rhaegal etwas schlimmes passiert sein musste. Er löste sich aus der Gruppe von Soldaten und wollte auf sie zueilen, doch Dany schüttelte leicht den Kopf und hastete in Richtung Burgtor. Ihr waren die abschätzenden Blicke der Nordmänner aufgefallen und sie wollte sich vor ihnen keine Blöße geben. Als sie endlich die schwere Eichentür ihres Schlafzimmers hinter sich schloss, brach es aus ihr heraus.

Ihr wunderschönes, schreckliches Kind, durchbohrt von einem groben, hölzernen Pfeil wie irgendso ein Vieh. Dafür hatte sie all die Schrecken ihres langen Weges auf sich genommen, all diese Demütigungen der Männer hingenommen, die in ihr nur eine Frau sahen – gerade gut genug um ihr Bett zu wärmen -, all diesen Verrat falscher Berater und falscher Freunde ertragen, um dann mit anzusehen, wie ihre Drachen abgeschlachtet wurden.

Sie hörte, wie jemand zaghaft an der Tür klopfte. "Eure Hoheit?", fragte eine weibliche Stimme leise. Daenerys dachte zuerst, es wäre Missandae, doch dann fiel ihr ein, dass ihre Vertraute sich noch auf einem Schiff befinden musste. Die Flotte, auf der sich die Unbefleckten und Missandae befanden, war immer noch auf dem Weg nach Drachenstein. Daenerys antwortete nicht. Wahrscheinlich war es eine der Dienerinnen, die sich nach ihr erkundigten. "Meine Königin, geht es euch gut?" Wieder antwortete sie nicht und war erleichtert, als sie die sich entfernenden Schritte der Dienerin vernahm. Sie löste die Flechten aus ihrem Haar und bearbeitete es mit einer Bürste in kurzen, kraftvollen Bewegungen. Ein leiser Schmerzenslaut stahl sich von ihren Lippen, als die kräftigen Borsten ihre Kopfhaut aufrissen. Doch der körperliche Schmerz war nichts zu dem wütenden, tobenden Gefühlschaos in ihrem Inneren. Wie hatte die Eiserne Flotte ihren Drachen mit ein, zwei Schüssen vom Himmel holen können? Warum hatte keiner ihrer hochgeschätzten Berater, diesen Hinterhalt vorausgeahnt? War es nicht Varys' Vorschlag gewesen, dass sie mit beiden Drachen Drachenstein anfliegen sollte? Ja, war es. Varys, wie gut kannte sie ihn überhaupt? Er war jahrelang der Berater verschiedener Könige von Westeros gewesen. Immer wieder betonte er, wie lange er dem Eisernen Thron gedient hatte und wie sehr sein Wissen ihr, Daenerys, nützen würde. Ja, es stimmte, seine Vorschläge waren intelligent, zuweilen brillant und seine Vorahnungen über politische Intrigen, die sich gegen sie richteten, waren mehr als erstaunlich. Er hatte ihr in Meeren einmal erklärt, dass er sich dabei nicht nur auf seine Intuition verließ, sondern auf das Gezwitscher kleiner Vögelchen. Sie hatte ihn fragend angesehen und er hatte ihr offenbart, dass er über ein Netzwerk von sehr jungen Spionen verfügte, die ihm alles berichteten, was in Daenerys' Reich vor sich ging.

Spione, dachte sie angewidert, politische Ränkespiele, das Spinnen von Netzen, das sind die Pfeiler auf der die Macht eines Königreiches ruhen. Und am Ende wartet die Spinne im Verborgenen ab, wer ihr ins Netz geht und frisst sie bei lebendigem Leib auf. Aber eine Spinne dient nur sich selbst, sie tötet alles was in ihrem Gespinst kleben bleibt, sei es eine Schmeißfliege oder ein Königsfalter.

Der Winter des DrachensTempat cerita menjadi hidup. Temukan sekarang