Kapitel 5

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Tyrion fühlte sich unwohl. Er wanderte durch den Saal, indem normalerweise Daenerys und ihr kleiner Rat ihre Besprechungen abhielten und über ihre Kriegstaktiken diskutierten. Daenerys hatte ihn zu einer Unterredung beordert, ließ ihn aber warten. Einen Tag war es bereits her, dass Varys wegen Hochverrats hingerichtet worden war. Dem Zwerg war klar, dass das Gespräch mit Daenerys alles andere als angenehm ablaufen würde.

Die schwere Eichentür öffnete sich und Dany trat ein, dicht hinter ihr, einem Schatten gleich, ging Grauer Wurm. Dany schritt durch den Saal ohne Tyrion eines Blickes zu würdigen und setzte sich auf den hohen hölzernen Stuhl am Ende des Raumes. Sie winkte Tyrion zu sich. "Ihr kennt den Grund warum ich meinen Berater Varys habe hinrichten lassen?"

"Nun", antwortete Tyrion zögerlich, "Ihr habt die Anklage vor der Exekution klar und deutlich formuliert: Hochverrat und versuchter Mord an Eurer Hoheit."

Dany nickte und versuchte die Erinnerung an den Augenblick der Hinrichtung zu verdrängen. Sie hatte Drogon den Befehl "Dracarys" erteilt, der Drache hatte sich hinter ihr aufgebaut, Sauerstoff in seine Lungen gepumpt und dann hatte Dany es gefühlt. Es war, als wären die Emotionen des Drachens auf sie übergesprungen, einen Herzschlag lang hatte sie die Umgebung durch Drogons Augen wahrgenommen. Sie konnte fühlen, was das gewaltige Tier in dem Moment empfand: Es war Verachtung gegenüber den kleinen, schwachen Menschen und ein wahres Hochgefühl seiner eigenen Macht. Noch nie war sie von einem Gefühl wie diesem überwältigt worden und es hatte sie zutiefst erschreckt.

"Varys hatte gebeichtet, dass er Briefe an verschiedene Lords in Westeros senden wollte", meinte Dany, "dass er mein Essen vergiftet hat, leugnete er bis zum Schluss. Ich habe keinen eindeutigen Beweis, dass er persönlich ein Attentat auf mich geplant hat, aber das Schreiben, das Grauer Wurm," dabei glitt ihr Blick kurz zu ihrem Leibwächter," bei ihm gefunden hatte, bestätigt seinen Verrat. Hier hätte ihm Leugnen eh nichts genützt. Was wisst Ihr darüber?"

Tyrion sah kurz auf seine Fußspitzen und blickte dann die Königin ernst an. "Ich habe keine Briefe geschrieben, zumindest nicht in der letzten Zeit. Was stand in dem Schreiben?"

"Dass Jon Schnee in Wirklichkeit Aegon Targaryen ist und Anrecht auf den Eisernen Thron hat. Ist euch das bekannt?", fragte Dany drohend.

Tyrion nickte kaum merklich.

Daenerys sprang vom Stuhl auf, ihre violetten Augen funkelten. "Und warum habt Ihr mich nicht über Euer Wissen aufgeklärt? Woher habt Ihr diese Information?"

Tyrion legte den Kopf leicht schief, drehte seine Handflächen, die bis eben noch an seinen Hüften gelegen hatten, nach oben und antwortete: "Ich wollte Euch nicht zusätzlich mit dieser Sache belasten, Ihr habt wirklich genügend Sorgen und Widerstände zu bestehen."

"Wie gnädig von Euch", schnaubte Dany. "Wer hat Euch Jons wahre Identität verraten? War es Sansa Stark gewesen?"

Wieder nickte Tyrion. Dany musste einen Wutschrei unterdrücken und ballte ihre Hände zu Fäusten. 'Jon', dachte sie, 'wieso hast du mich so übel hintergangen. Ich hatte dich doch gebeten, es für dich zu behalten, aber nein, du musstest es deinen Halbschwestern, nein deinen Cousinen, weitererzählen. Jetzt sieh dir an, was du angerichtet hast.'

"Sansa", fuhr Dany fort, "erkennt mich nicht an, das hat sie mir in Winterfell deutlich zu verstehen gegeben. Wenn sie im Norden die wahre Herkunft von Jon verbreitet, wird der Norden niemals vor mir das Knie beugen und weitere Königslande werden dem Beispiel folgen."

"Ihr seid die wahre Königin", Tyrion trat einen Schritt vor, "wenn die Leute erst erfahren, was Ihr in Mereen erreicht und wie Ihr die armen Menschen von Sklaverei befreit habt, werden Sie euch lieben und verehren. Ihr seid die Mutter der Drachen, wann haben die Westerosi das letzte Mal lebende Drachen gesehen..."

"Von denen nur noch einer existiert."

"Das ist leider wahr, aber Ihr seid viel mehr und Ihr wisst gerecht zu regieren, was man von Cersei nicht gerade behaupten kann."

"Woher hatte Varys dann die Informationen? Habt Ihr ihm das über Jon verraten?"

"Nachdem Sansa mir den wahren Namen von Jons Vater gesteckt hatte, dachte ich, dass beste wäre ich würde mich zuerst mit Varys beraten, damit wir eine Lösung für dieses Problem finden."

"Ihr seid zuerst zu ihm gegangen, bevor Ihr damit zu mir kamt?"

"Es tut mir leid, Euer Gnaden, ich wollte erst einen geeigneten Weg aus dieser auch für mich überraschenden Erkenntnis finden, bevor ich Euch damit belaste und dachte Varys könnte mich dabei unterstützen."

Dany setzte sich zurück auf den Stuhl, sie hatte das Gefühl als wäre sämtliche Energie aus ihrem Körper gewichen.

"Was sollte mich Eurer Meinung nach daran hindern Euch des Hochverrats anzuklagen und Euch des Amtes zu entheben?"

Tyrion schüttelte den Kopf. "Nichts kann Euch daran hindern, ich kann nicht verlangen, dass Ihr mir diesen Fehler verzeiht. Aber ich glaube, ich habe die Lösung für Euer Problem gefunden."

Dany sah auf und schaute ihn neugierig an.

"Heiratet Jon und herrscht gemeinsam über die Sieben Königslande."

Ein Schauer durchlief ihren Körper, es war so einfach und doch so genial. Endlich würde jemand an ihrer Seite stehen, der ihr ebenbürtig war und der sie liebte. Wenn er wirklich diese Liebe für sie immer noch empfand. Sie konnte nicht verhindern, dass sich Hoffnung in ihren Augen spiegelte, als sie nun Tyrion ansah.

"Euer Hoheit, ich habe bemerkt, wie Ihr Jon Schnee anschaut und auch seine Blicke, die er Euch zuwirft, sprechen Bände. Welcher Lord in ganz Westeros könnte Euch dann noch den Thron streitig machen?"

Ein lautes Gebrüll übertönte die letzten Worte Tyrions. Drogon schrie nach Leibeskräften, ein Zittern durchlief den Saal, als der Drache mit seinem ganzen Gewicht auf den Vorhof von Drachenstein landete. Dann erklang ein langgezogenes Grummeln. Dany kannte diesen Laut, Drogon rief nach ihr. Sie ließ Tyrion stehen und eilte nach draußen.

Der Drache schüttelte den Kopf als er sie erblickte und begann aufgeregt mit den Flügeln zu schlagen. Er machte den Hals lang und legte sich flach auf den Boden, eine deutliche Aufforderung für sie aufzusteigen. Sie kletterte auf den schuppenbewehrten Rücken des Tieres, das sich sofort in die Luft hob. Zielbewusst flog er an der Küste entlang und setzte vor einer Bucht, die von Felsen umrahmt war, zum Landen an. Dany sah hinunter und erkannte Rhaegal der mit ausgestreckten Flügeln im Sand lag. Sie konnte die Landung von Drogon kaum erwarten, sprang von seinem Rücken, als seine Füße auf den Boden aufkamen. Rhaegal hob den Kopf und sah sie an, er schnaubte leise. Dany rannte zu ihm und streichelte seine Nüstern. Der Sand unter dem Drachen war dunkel von seinem Blut gefärbt, das Geschoß steckte nicht länger in seiner Brust, aber die Wunde war deutlich zu erkennen. Sie musste zurück nach Drachenstein, um Hilfe zu holen.

Der Winter des DrachensDove le storie prendono vita. Scoprilo ora