Kapitel 11

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Jaime erzählt

"Nachdem Ihr von Winterfell aufgebrochen seid, um die Eroberung von Königsmund in Angriff zu nehmen, konnte ich keine Ruhe mehr finden. Ich hatte mir geschworen, nie wieder in die Hauptstadt Westeros zurück zu kehren und Cersei gegenüber zu treten, doch nachts wurde ich von Bildern meiner Schwester, wie sie tot in ihrem eigenen Blute lag, heimgesucht. Neben ihrem bleichen, leblosen Körper erblickte ich in meinen Träumen einen winzigen Säugling, zu klein um zu überleben, ganz so als wäre er brutal aus dem Mutterschoß gerissen worden. Dann schreckte ich jedes Mal schweißnass gebadet aus dem Schlaf hoch und meine Gedanken begannen zu kreisen. Cersei hatte mir kurz vor meinem Aufbruch in Königsmund gebeichtet, dass sie schwanger sei und ich wäre der Vater. Ich glaubte ihr nicht und dachte, es wäre eine ihren Lügen, mit denen sie schon so oft die Menschen um sie herum manipuliert hatte. Doch auf dem langen Ritt von Königsmund hinauf in den Norden, nagten Zweifel an mir und immer öfters erschien es mir mehr als wahrscheinlich, dass Cersei die Wahrheit gesprochen hat.

Als mich dann die Albträume jede Nacht heimsuchten, musste ich mir Gewissheit verschaffen. Wenn sie wirklich ein Kind von mir erwartete, so war es doch meine Pflicht mein eigen Fleisch und Blut vor dem Tod zu retten.

Ich erreichte die Stadtmauer von Königsmund kurz vor Eurer Eroberung und wusste, dass ich mich beeilen musste, um mein Kind und seine Mutter in Sicherheit zu bringen. Die Stadttore waren bereits verschlossen und Cersei hatte sich anscheinend im Roten Bergfried verschanzt. Wie sollte ich nun hinein gelangen? Ich erinnerte mich an den Geheimgang, durch den vor einiger Zeit mein Bruder Tyrion vor seiner Exekution geflohen ist. Ob er noch existierte oder war er in der Zwischenzeit verschüttet worden?

Zu meinem Glück war der geheime Zugang noch begehbar, allerdings wurde ich immer wieder von heruntergefallenem Geröll aufgehalten, das ich erst wegräumen musste. Ein etwas mühseliger Vorgang, wenn einem nur eine Hand zur Verfügung steht. Während ich mich noch durch den finsteren, engen Korridor zwängte, spürte ich eine leichte Erschütterung und glaubte ein Gebrüll aus weiter Ferne zu vernehmen. Die Schlacht um Königsmund musste im vollen Gange sein. Endlich endete der Geheimgang und ich stand in einer der Schwarzen Zellen, die vor Jahrzehnten auf der untersten Ebene der Festung in den Felsen gehauen worden waren. Es war stockfinster und ich tastete mich an einer Wand entlang. Schon bald erreichte ich eine schmale Treppe, die zu den oberen Verliesen führte, von denen ein Korridor zu den Kellergewölben abzweigte. Die meterhohen Gewölbe unter dem Roten Bergfried waren mir nicht unbekannt, hatte ich mich doch dort schon mehrmals heimlich mit meiner Schwester getroffen.

Die unterirdischen Bogenräume wurden von einigen Fackeln beleuchtet, jemand musste sich hier aufhalten. Ich schlich vorsichtig an der Wand entlang, als ich ein lautes Schluchzen vernahm. Ich wusste sofort, wer da so bitterlich am Weinen war, meine Schwester. Ich folgte dem Laut und betrat die Familiengruft. Cersei lag halb auf einem kleinen Sarkophag und heulte sich die Seele aus dem Leib. Sie schreckte auf, als sie meine Schritte hörte und starrte mich aus ungläubigen Augen an. Dann rannte sie auf mich los und warf sich in meine Arme. Ich hielt sie eine Zeitlang, bis sie sich beruhigt hatte. Mit tränennassem Gesicht sah sie zu mir hoch und fragte: " Bist du zu mir zurückgekommen, um mir beizustehen?"

Ich nickte und sagte: "Ich kann doch nicht zulassen, dass Du, besser gesagt, dass ihr beide getötet werdet." Dabei drückte ich sie noch enger an mich und bemerkte, dass ihr Bauch flach war, zu flach für eine Schwangerschaft.

"Was ist dein Plan?", fragte sie mich mit einem hoffnungsvollen Schimmer in ihren Augen. "Konntest du Söldner, neue Soldaten um dich scharen? Warten sie draußen auf uns? Wir sollten zuerst von hier verschwinden, die Targaryen Schlampe soll sich ruhig in Sicherheit wiegen. Dann, wenn sie es am wenigsten erwartet, werden wir zuschlagen und uns wiederholen, was uns gehört."

"Nein, Cersei, ich bin allein. Keiner weiß, dass ich hier bin. Lass uns von hier schnellstens abhauen und Westeros hinter uns lassen. Wir könnten weit weg von hier ein neues Leben aufbauen, unter einem neuen Namen, dort wo uns keiner kennt."

Sie stemmte die Hände gegen meine Brust und drückte sich von mir weg. "Das ist der Grund, warum du zu mir zurückgekehrt bist? Ich soll mich aus meiner eigenen Burg, meinem eigenem Reich wegschleichen wie so ein gemeiner Dieb?" Ihre Augen wurden schmal und ihr schöner Mund, der zuvor noch vor lauter Weinen gezittert hatte, verzog sich zu einem höhnischen Grinsen. "Wusstest Du, lieber Bruder, dass ich dich töten lassen wollte, nachdem du mich verlassen hattest, um dich der Targaryen Schlampe und ihrer verräterischen Gruppe anzuschließen?"

Die Worte trafen mich wie ein Messerstich in die Bauchgrube. "Ich hatte Daenerys und ihren Verbündeten mein Wort gegeben, ihnen in der Schlacht gegen die Anderen beizustehen."

"Dein Wort!", lachte Cersei. "Und wo ist deine Verpflichtung gegenüber deinem eigen Fleisch und Blut? Du hast schon wieder eines deiner Kinder auf dem Gewissen. Kurz nachdem du mich im Stich gelassen hast, bin ich zusammengebrochen und die Wehen haben eingesetzt. Ich habe mein Kind verloren, es kam tot zur Welt. Hier," dabei zeigte sie auf den kleinen Sarkophag, "liegt es begraben. Daran bist du schuld, so wie an allen Toden unserer Kinder."

Meine Beine gaben unter mir nach, ich sank zu Boden. "Das hab' ich nicht gewollt," murmelte ich, "diesem Kind wollte ich ein Vater sein, was ich bei den anderen nie sein durfte."

"Das hättest du dir vorher überlegen sollen, bevor du mich hier allein zurückgelassen hast und der Drachen-Schlampe unter den Rock gekrochen bist. Aber was soll ich schon von einem Krüppel wie dir erwarten. Du bist längst kein richtiger Mann mehr, Jaime, nur noch ein Feigling ohne Ehrgefühl und ohne Treue."

Wie Peitschenhiebe prasselten ihre Worte auf mich ein, ich fühlte mich schuldig, aber gleichzeitig auch verletzt und gedemütigt. Ich stellte mich vor sie und ergriff mit meiner linken Hand ihren Unterarm. Sie zog ihn zurück, doch ich hielt in fest umklammert. "Du wirfst mir vor, ein Feigling ohne Ehre zu sein?", fragte ich, "Du, die fast jedes Wort gebrochen hast , du, die mit ihrem eigenen Vetter im Bett warst, du, die ihre eigene Schwiegertochter ermordet und somit auch Tommen auf dem Gewissen hast. Du machst mir Vorwürfe? Ich habe mein Leben riskiert, um in den Roten Bergfried zu gelangen und das nur um dein Leben zu retten."

"Das hättest du dir sparen können, ich will nicht als namenlose Bettlerin an deiner Seite irgendwo in der Fremde leben." Sie entzog mir ihren Arm und wollte sich umdrehen, als ich sie erneut an den Schultern packte. "Cersei, bei allen Sieben Göttern, lass uns von hier verschwinden. Schieb deinen Zorn gegen mich zur Seite und komm mit mir. Wenn du bleibst, ist das dein sicherer Tod."

Sie versuchte mich zu ohrfeigen, doch ich kam ihr zuvor und ergriff ihre Hand. Mit vor Wut sprühenden Augen starrte sie mich an, dann stahl sich ein kleines, fieses Lächeln auf ihre Lippen.

"Ich habe dich angelogen", sagte sie in einem Tonfall, den ich allzu gut kannte. Er bedeutete nichts Gutes. "Das Kind, das ich verloren habe, das war gar nicht deines. Es war ein kleiner Junge gewesen und sein Vater war in Wirklichkeit Euron Graufreud. Er hat mich gefickt, so wie du mich noch nie gefickt hast. Er ist ein richtiger Mann und wir wollten heiraten, gemeinsam wollten wir über die Sieben Königslande herrschen, gemeinsam mit unserem Kronprinzen."

"Du lügst!", schrie ich.

Sie schüttelte den Kopf. "Euron hat in mir Gefühle ausgelöst, wie noch nie ein Mann zuvor."

"Hör auf", zischte ich sie an und wollte ihr meine Goldhand auf den Mund legen, doch sie rutschte ab und landete auf ihrer Schulter. "Sei endlich still!"

Sie schlug mich mit der flachen Hand ins Gesicht. "Ich liebe ihn. Er ist stark, er ist skrupellos und leidenschaftlich. Ein richtiger König ist er." Auf einmal umfasste meine linke Hand ihren Hals und auch meine goldene Hand drückte gegen die weiche Haut ihrer Kehle.

"Ich liebe Euron mehr, als ich dich jemals geliebt habe."

Ihr Antlitz verschwand vor meinen Augen und ich sah nur noch im Geiste, wie ihr nackter Körper mit Eurons behaartem, muskulösen Leib verschmelzte. Da begann ich zuzudrücken und endlich verstummte ihr abscheuliches Gerede. Ihre Fingernägel kratzten über mein Gesicht, doch ich bemerkte es kaum. Auf einmal glitt ihre Hand fast zärtlich über meine Wange und das ekelhafte Bild dieser beiden verschlungenen, nackten Leiber zerstob und ich blickte in Cersei's Augen. Sie waren weit aufgerissen und neben all der Angst und Wut, glaubte ich einen Funken Dankbarkeit zu entdecken. Erschrocken über meine Tat, lösten sich meine Hände von ihrem Hals und sie sank tot zu Boden.

Der Winter des DrachensWhere stories live. Discover now