Kapitel 4

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"Wie konnte Cersei es wagen mich so zu hintergehen?" schrie Daenerys und blickte Varys an. Der Meister der Flüsterer legte den Kopf zur Seite und schloss die Augen. Danys Blick durchbohrte ihn förmlich.

Die Sonne schien hell durch die hohen Fenster des großen Saals, ihre Strahlen streiften den riesigen, runden Tisch, auf dem immer noch die Karte von Königsmund und Westeros lag. Tyrion, der sich gerade ein Glas Wein eingeschenkt hatte, überlegte ob er an Varys statt antworten sollte, unterließ es aber. Er wollte nicht den Zorn der Mutter der Drachen auf sich lenken.

Direkt nach ihrer gemeinsamen Rückkehr auf Drachenstein, hatte Daenerys ihren Rat zusammengerufen. Tyrion hatte versucht einzuwenden, sie solle sich Zeit zum Trauern um Missandae lassen, aber Daenerys hatte seine Einwände mit einer rüden Handbewegung weggewischt. Den Kopf ihrer Vertrauten, der immer noch in den weißen Pelzmantel gehüllt war, hatte sie Grauer Wurm übergeben, der ihn mit steinerner Miene in die Krypta der Burg trug.

Nun betrat Grauer Wurm den Saal, sein Gesicht zeigte keine Gefühlsregung.

"Cersei ist hinterhältig und verschlagen", antwortete Varys ruhig und begann durch den Raum zu schreiten. "Grausamkeit liegt ihr im Blut, ihre Lust am Quälen ist sogar gewachsen nachdem der Hohe Spatz sie aus seiner Gefangenschaft entlassen hat. Zumindest soweit ich es erfahren habe."

"Nun, Ihr müsst es ja wissen, Ihr kennt sie seit Jahren und habt ihrer Familie lange Zeit gedient", meinte Dany und ihr Blick glitt zu Tyrion. Dieser räusperte sich und sagte: "Es scheint, als wollte Cersei Euch zu einer unüberlegten Tat provozieren. Sie muss gewusst haben, dass Ihr auf ihre Bedingungen nicht eingehen werdet."

"Genau wie sie niemals auf die meinigen."

Varys trat neben Tyrion, der einen tiefen Schluck Rotwein zu sich nahm, und straffte die Schultern. "Dieses Treffen war Cerseis Vorschlag gewesen. Anscheinend ging es ihr niemals um einen Waffenstillstand oder eine Friedensvereinbarung", sagte Varys. "Mit der Exekution von Missandae wollte Sie Euch emotional treffen, Euch aus der Fassung bringen, Eure Hoheit. Ich habe die Vermutung, sie wollte euch zu einem übereilten Angriff verleiten und das gerade jetzt, wo wir..."

"Wo wir was?", unterbrach ihn Dany.

"Es tut mir leid, Euer Gnaden, dass ich Euch die Neuigkeit noch nicht mitgeteilt habe, aber ich dachte der Tod Eurer Freundin ist eine schlechte Nachricht zu viel. Die Ankunft der Nordmänner verzögert sich, wir haben sie für morgen erwartet, doch vor einer Stunde hat uns eine Krähe die Nachricht gebracht, dass Jons Männer in einen Hinterhalt geraten sind. Jon Schnee hat mit einigen seiner Leute Drachenstein verlassen, um seinen Soldaten zur Seite zu stehen."

Dany stöhnte innerlich auf. Nein, nicht auch noch Jon. Warum musste er sie gerade dann verlassen, wenn sie ihn am nötigsten brauchte.

Varys sah Tyrion an. "Stimmt es, dass die Frau, die euch diese Truhe überreicht hat, keine Zunge mehr hatte?" Tyrion schluckte den Rotwein hinunter und nickte.

"Auch die Männer auf Eurons Schiff, "Die Stumme", müssen ohne dieses wertvolle Organ auskommen. Euron hat ihnen allen die Zunge entfernen lassen."

"Mir scheint", sagte Danaerys, "fast jeder hier im Raum kennt meine Feinde besser als ich", dabei fiel ihr Blick auf Varys. "Ihr solltet mich das nächste Mal besser über die widerlichen Vorlieben meiner Gegner informieren oder muss ich an der Loyalität meiner Berater zweifeln?" Plötzlich fühlte sie sich kraftlos, die Erinnerung an den Augenblick als Missandaes hübsches Gesicht mitten im Sand mit toten Augen zu ihr hochblickte, ließ ihren Magen rebellieren. Ihr war kalt und ein Zittern, tief aus ihrem Inneren, begann sich einen Weg nach außen zu bahnen.

"Ja", bekräftigte Tyrion Varys Aussage," das könnte das Werk von Euron gewesen sein. Er und Cersei passen wirklich gut zusammen. Aber warum hat er die arme Frau an die Truhe gekettet?"

Der Winter des DrachensWo Geschichten leben. Entdecke jetzt