Kapitel 18 Drachengift

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Rhaegal schnaubte leise als Daenerys ihm sanft über die Nüstern streichelte. Sein riesiger Brustkorb hob und senkte sich schwer, jeder Atemzug schien ihm Schmerzen zu bereiten. Er war eindeutig geschwächt, das war nicht zu übersehen, aber er würde es überleben. Dany war sofort nach dem Erhalt der Nachricht des Giftanschlages mit einem Dutzend der Unbefleckten und ihren beiden Blutreitern Wrachon und Xorox zu dem Höhlenversteck geritten. Der Unbefleckte – sein Name war Mastif -, der sie auf dem Festbankett über das Attentat informiert hatte, war auch derjenige gewesen, dem aufgefallen war, das irgendetwas mit dem Tier nicht stimmte. Die Unbefleckten, die bisher die Höhle des Drachen bewacht hatten, waren auch für die Beschaffung des Futters verantwortlich. Sie hatten in der näheren Umgebung Hirsche gejagt und auch schon mal ein oder zwei Schafe geschlachtet, aber nachdem Rhaegal einen Rehbock halb verschlungen hatte, den Kadaver hatten sie in einem nahegelegenen Wäldchen gefunden, war er zusammen gebrochen. Mastif hatte daraufhin ein Stückchen Fleisch aus dem Rehkadaver an einen Hund gefüttert, der bereits nach dem ersten Bissen zu würgen und zu jaulen begann, um kurz darauf tot zusammen zu sinken. Wütend über seine eigene Nachlässigkeit hatte Mastif den beiden Männern befohlen den Ort, an dem der Kadaver gefunden worden war, nach Spuren und einem möglichen Attentäter abzusuchen.

Dany hörte Stimmen aus der Richtung des Höhleneingangs, die beiden Soldaten waren zurückgekehrt und berichteten Mastif, dass sie einen Verdächtigen festgenommen hatten. Sie gab Rhaegal einen großen Schluck Wasser aus einer Kalabasse zu trinken und lief nach draußen. Die beiden Soldaten schleppten einen gefesselten Mann hinter sich her, er trug zerschlissene Hosen und auf seinem groben Pullover waren Blutflecken zu erkennen. Den Kopf hielt er gesenkt, als Dany aber fragte:" Wo habt Ihr diesen Mann gefunden?" hob er ihn und sah sie direkt mit kalten blauen Augen an. Daenerys erkannte sofort die typischen Gesichtszüge der Menschen aus dem Norden.

"Nicht weit von hier. Er hatte sich in einem Gebüsch versteckt und uns beobachtet. Dies hier, haben wir in seiner Hosentasche gefunden." Der Unbefleckte hielt ihr eine halbleere Phiole entgegen und Dany nahm sie. Sie entfernte den Korken und schnüffelte an der Flaschenöffnung. Die darin enthaltene Lösung roch nach nichts. Die meisten Gifte waren geruchs- und geschmackslos, das machte sie ja so gefährlich.

"Was ist das für ein Zeug?", fragte sie den Gefangenen, sichtlich bemüht ihren Zorn im Zaum zu halten. Am liebsten hätte sie ihn geschüttelt und geohrfeigt, jemand hatte versucht ihr Kind zu töten.

Der Angesprochene zuckte mit den Achseln und sah sie weiterhin ohne eine Gefühlsregung an.

"Du willst nicht sprechen oder verstehst Du mich nicht? Hast Du versucht meinen Drachen zu vergiften? Was ist in diesem Fläschchen?" Dany trat näher auf den Gefangenen zu und hielt ihm die Phiole vors Gesicht, Wrachon und Xorox folgten ihr auf den Fersen. Der Mann blickte zur Seite.

"Nun, vielleicht magst Du einen Schluck dieser Mixtur trinken? Wenn sie harmlos ist, kann sie dir ja nicht schaden." Wieder ging Daenerys einen Schritt näher auf den Gefangenen zu. Sie spürte den unwiderstehlichen Drang, diesem Widerling die Flüssigkeit in den Rachen zu schütten. Feinde, überall Feinde, sie war nur von Feinden umgeben und sie wollte dem ein Ende machen. Doch sie hielt sich zurück, wenn sie diesen Mann vergiftete würde sie nie herausfinden, wer hinter diesem widerlichen Anschlag stand. Sie wollte wissen, wer sie schwächen, wer ihren Untergang wollte.

"Nein", meinte sie und tat einen Schritt rückwärts, "das wäre ein allzu leichter Tod. Wir werden dich mitnehmen und verhören lassen. Dann werden wir schon herausfinden was für eine Tinktur dies ist und wer dich beauftragt hat. Glaub mir, wenn ich dich meinen Blutreitern überlasse, dann wirst du dir wünschen niemals geboren worden zu sein."

Der Gefangene starrte sie an und versuchte sich aus dem eisernen Griff der beiden Unbefleckten zu winden, zwecklos. Auf einmal gab er allen Widerstand auf und fiel in sich zusammen. Dany wollte gerade den Befehl geben, in den Roten Bergfried zurück zu kehren, als er seine Muskeln erneut anspannte, ihr einen verächtlichen Blick zuwarf und laut ausrief: "Lang lebe Aegon Targaryen der wahre Erbe des Eisernen Throns!"

Daenerys fühlte wie sich ihre Muskeln in Eis verwandelten, die Realität um sie herum begann zu verschwimmen, aus ihren gefühllosen Fingern glitt die kleine Phiole zu Boden. Auch die beiden Unbefleckten waren für einen Sekundenbruchteil wie gelähmt, so dass sich der Gefangene erneut in ihrem Griff zu winden und an seinen Fesseln zu zerren begann. Bevor die beiden Soldaten sich aus ihrer Starre lösten, gelang es dem Gefangenen durch sein Gezappel ein Amulett, das ihm an einer kurzen Kette um den Hals hing, in den Mund zu nehmen und drauf zu beißen. Es knackte leise, etwas Flüssigkeit und Speichel lief aus dem Mundwinkel des Gefangenen, er schluckte und brach dann zusammen. Mastif lief zu dem Mann, der schlaff zwischen den beiden Soldaten hing, und hielt ihm die Finger an die Schlagader.

"Er ist tot, Eure Majestät", sagte er zu Daenerys. Wütend biss sie sich auf die Lippe, nun würden sie nie herausfinden, wer hinter dem Giftanschlag steckte. Sie hob die am Boden liegende Phiole auf, achtete darauf, dass die noch darin befindliche Flüssigkeit nicht ihre Haut benetzte und gab diese Mastif.

"Lasst uns zurückkehren, meine ehrenwerten Gäste werden sich schon wundern, wo ihre Königin abgeblieben ist", meinte sie und bestieg ihre silberweiße Stute. 'Kann es sein, dass der versuchte Mord an Rhaegal mit dem Eintreffen der zahlreichen Lords und Ladies aus ganz Westeros zusammenhängt?' fragte sie sich. 'Vielleicht hat einer meiner Gäste, der sich in diesem Moment meiner Gastfreundschaft erfreut und Wein aus meinem Weinkeller die Kehle herunterfließen lässt, diesen Giftmörder eingeschleust. Ich sollte schleunigst mit Jon sprechen, wie wir hier am besten vorgehen sollen, um die Hintermänner zu entlarven.'

Doch dann musste sie an den Ausruf des Mannes kurz vor seinem Tod denken. War Jon hier wirklich der richtige Ratgeber? Konnte sie ihm in dieser Angelegenheit vertrauen? Sie selbst hatte ihn zur Hand der Königin erhoben und schon zweifelte sie an seiner Loyalität.

Sie gab der Stute die Sporen, die sofort angaloppierte. Eine knappe Stunde später schritt sie durch die Gänge des Roten Bergfrieds. Letztendlich hatte sie sich doch dazu entschlossen, Jon über den Giftanschlag auf Rhaegal zu informieren: Erstens hatte Jon eine enge Verbindung zu dem Drachen und somit ein Recht darauf alles über seinen Gesundheitszustand zu erfahren und zweitens, wenn sie in dieser wichtigen Angelegenheit ihrer Hand nicht vertrauen konnte, dann konnte sie Jon gleich des Amtes entheben.

Sie bog gerade in den Korridor an dessen Ende Jons Gemächer lagen, als sie ein helles Lachen vernahm. Das Lachen war eindeutig weiblicher Natur und es klang irgendwie aufreizend. Die Tür von Jons Zimmer wurde geöffnet und Dany stockte der Atem. Eine rothaarige Frau verließ rückwärts Jons Schlafzimmer und Daenerys brauchte nicht zweimal hinzuschauen, um zu erkennen, dass es die Rothaarige vom Festbankett war. Wut überkam Daenerys und sie ballte die Hände zu Fäusten. Darauf bedacht jegliche Geräusche zu vermeiden drückte sie sich nahe an eine Wandsäule, sodass sie im Schatten verborgen blieb. Sie beobachtete aus ihrem Versteck, wie die Rothaarige ihre Arme um Jons Hals schlang. Dany musste die Augen schließen und presste eine Faust gegen ihren Mund, um nicht laut aufzuschreien. 'Aha, der Herr hatte anscheinend einen vergnüglichen Tag gehabt', dachte sie bitter. 'Während Rhaegal mit dem Tod gerungen hat, hatte Jon wohl nichts Besseres zu tun als sich mit dem Flittchen in den Kissen rumzudrücken.' Vor Enttäuschung konnte sie kaum atmen und kniff weiterhin ihre Lider zusammen, so bemerkte sie nicht, dass Jon die Hände der Frau mit einem energischen Kopfschütteln von seinem Hals entfernte und ihr die Tür vor der Nase zuwarf.

Der Winter des DrachensWhere stories live. Discover now