Kapitel 6

52 3 0
                                    

Die Wellen des Meeres brandeten unablässig gegen die Küste und ein leichter Wind vertrieb die grauen Nebel des frühen Morgens.

Daenerys war mit fünf ihrer Soldaten zur Bucht geritten, der Schmied von Drachenstein hatte sie ebenso begleitet. Der Schmied, ein drahtiger, grauhaariger Mann, war nicht nur für das Herstellen von Waffen und die Hufpflege der Pferde zuständig, sondern er versorgte die Tiere auch bei Verletzungen. Leider stand ihnen kein Maester zur Verfügung, der mit seiner Heilkunst Rhaegals Wunden bearbeiten konnte und so hatte Tyrion vorgeschlagen, den Hufschmied mitzunehmen.

Rhaegal, der immer noch auf der gleichen Stelle lag, wo Dany ihn zuvor auf dem Rücken von Drogon ausgemacht hatte, hob den Kopf als er die Reiter wahrnahm und blies kleine Rauchwölkchen aus seinen Nüstern, während seine gelben Augen die Gruppe musterten. Dany sprang von ihrer silbergrauen Stute, sprach Rhaegal beruhigend an und er legte seinen Kopf flach auf den Boden. Sie hörte den Schmied hinter sich keuchen, er hatte eindeutig Angst vor Rhaegal.

"Fürchtet euch nicht vor meinem Drachen", bemerkte sie zu dem Mann, der mit zusammen gekniffenem Mund nickte, "er bleibt ruhig, solange ich bei ihm bin. Er weiß, dass wir ihm helfen möchten."

Trotzdem musste der Schmied all seinen Mut zusammennehmen, um sich dem rot-geschuppten Tier zu nähern. Er hatte auf seinem Pferd einen großen Sack mit Verbandszeug gepackt, zusammen mit einem Tontopf, randvoll gefüllt mit Kamillen- und Ringelblumensalbe. An seinem Gürtel hing eine große Phiole mit einer Tinktur, die er normalerweise zur Erstversorgung von Fleischwunden der Pferde benutzte. Die Menge allein hätte gereicht einen kompletten Pferdestall zu versorgen.

"Eure Hoheit", meinte er, während er vorsichtig die klaffende Wunde an Rhaegals Brust beäugte," ich weiß nicht so recht, ob meine Fähigkeit hier ausreicht. Ich kenne mich eher mit Gäulen als mit Drachen aus."

"Versuch dein Bestes", antwortete Dany, "es kann ihm ja nicht schaden. Wenn du meinen Drachen anständig verarztest und es ihm bald wieder besser geht, werde ich dich reich belohnen. Und welcher Schmied kann schon von sich behaupten, dass er einen Drachen wieder zum Leben erweckt hat." Ein Lächeln glitt über ihr Gesicht. "Grauer Wurm", sie drehte sich zu ihrem Hauptmann um, der gerade von seinem Pferd abstieg, "schau dich mit deinen Männern um, ob du irgendwo ein passendes Versteck für Rhaegal findest. Wir können ihn nicht hier am Strand liegen lassen, wo er jederzeit von einem Schiff aus entdeckt werden kann."

Kurze Zeit später kehrte Grauer Wurm und seine Soldaten schnellen Schrittes zu Daenerys zurück. "Wir haben eine kleine Höhle, nur wenige Meter von hier gefunden. Sie ist groß genug, um Rhaegal in sich aufzunehmen", sagte Grauer Wurm.

"Gut", antwortete Dany, "nun müssen wir Rhaegal nur noch überzeugen, dort hineinzugehen. Am besten ihr flankiert ihn und ich führe ihn in sein zukünftiges Versteck. Wo müssen wir hin?"

Grauer Wurm deutete mit seiner Hand über eine kleine Sanddüne hinweg. Der Schmied hatte in der Zwischenzeit die Wunde des Drachens verbunden und entfernte sich von ihm. Die Unbefleckten stellten sich zu beiden Seiten des gewaltigen Tieres auf und Dany begann leise auf Rhaegal einzusprechen. Unter großer Anstrengung drückte sich der Drache mit seinen Hinterbeinen und den beflügelten Vorderbeinen vom Boden ab und setzte sich in Bewegung.

Nach fast einer halben Stunde hatten sie es endlich geschafft. Rhaegal lag nun lang ausgestreckt in der Felsenhöhle, deren Öffnung von Sandgras so gut bedeckt wurde, dass sie kaum auszumachen war. Dany befahl den Soldaten Fleisch für Rhaegal zu besorgen und einer der Männer musste immer in seiner Nähe Wache halten.

3 Tage später

Die Höhle war dunkel und angenehm kühl. Dany war froh zu sehen, dass Rhaegal mit viel Appetit ein Wildschwein verschlang. Den Eber, den einer der Unbefleckten im nahegelegenen Wald erlegt hatte, hatte Rhaegal mit seinem Drachenfeuer geröstet und riss nun, mit sichtlichem Genuss, große Teile aus dem Kadaver. Stimmen drangen in das kühle Dunkle der Höhle. Dany drehte den Kopf in Richtung Ausgang und lauschte. Es waren Männerstimmen und eine kam ihr bekannt vor. Jon? Ihr Herz begann schneller zu schlagen. Schritte näherten sich dem Drachenversteck und das hohe, dichte Sandgras vor der ovalen Öffnung wurde zur Seite geschoben. Daenerys musste die Augen zusammenkneifen, da das hereinströmende Tageslicht sie blendete. Als erstes betrat einer der Unbefleckten, der zur Wache eingeteilt worden war, die Felsenaushöhlung, dicht gefolgt von einer kleineren, aber kräftigen Gestalt.

"Jon!", rief Dany und rannte auf den Mann zu. Jon Schnee lachte und breitete die Arme aus. Verlegen blickte der Wachsoldat zur Seite und Daenerys musste an sich halten, um nicht sofort Jons Kopf in ihre Hände zu nehmen und ihm einen Kuss direkt auf den Mund zu geben. "Es ist in Ordnung", meinte sie an den Soldaten gewandt, "du kannst wieder nach draußen gehen". Pflichtbewusst verließ der Angesprochene die Höhle.

Endlich allein konnten beide ihre Gefühle nicht länger zurückhalten. Jon nahm Dany fest in seine Arme und bedeckte ihr Gesicht mit Küssen. Sie schmiegte sich dicht an ihn, genoss einfach den Augenblick und sog gierig seinen warmen, männlichen Duft ein. Als sie ihm erneut ihre Lippen zum Kuss anbot, stahl sich ein fieser, kleiner Gedanke in ihr Bewusstsein: 'Er hat dich hintergangen'. Sie senkte den Kopf und löste sich aus seiner Umarmung. Hinter ihr schreckte Rhaegal hoch, ließ ein Stück Fleisch aus seinem Maul fallen und gab ein warnendes Schnauben von sich. Beunruhigt glitten Danys Augen zur Höhlenöffnung. Hatte sich ein Eindringling angeschlichen?

"Da ist Ghost", stieß sie freudig überrascht aus.

Jons Kopf drehte sich in Richtung seines Schattenwolfes und er rief:" Bleib draußen, Ghost. Ich will nicht, dass du Rhaegal zu nahekommst." Der riesige Wolf stieß ein leises Winseln aus, leckte sich kurz die Lefzen und trollte sich.

"Warum hast du ihn mit in den Süden gebracht? Du hattest doch gesagt, er würde sich nur im Norden wohlfühlen," meinte Dany.

"Nicht ich habe ihn mitgebracht, nein, er hat mich gefunden. Als ich bei der Truppe angekommen war, den Hinterhalt von ein paar versprengten Lannister Soldaten hatten sie bereits erfolgreich niedergeschlagen, kam er mir schon entgegengelaufen. Anscheinend hatte er es nicht einen Tag ohne mich im Norden ausgehalten und sich auf den Weg zu mir gemacht. Aber wie ich sehe, hat Rhaegal ja auch zu dir zurückgefunden."

"Ja", antwortete Dany glücklich und schob ihre Gedanken von Misstrauen und Enttäuschung von sich, "ich habe ihn vor einigen Tagen verletzt am Strand gefunden."

"Das wurde mir bereits in Drachenstein berichtet und ich musste sofort zu dir und zu meinem ehemaligen Reitdrachen." Dabei musterte er mit glänzenden Augen Rhaegal, der sich wieder in Ruhe seinem Wildschwein widmete. Seitdem er das erste Mal auf Rhaegal geritten war, hatte er eine besondere Beziehung zu dem Drachen. Neben Dany war Jon die einzige Person, den das Schuppentier auf seinem Rücken akzeptierte. Bei Drogon sah es etwas anders aus, er war einzig und allein seiner Menschenmutter verbunden, gehorchte nur ihr und duldete keinen anderen Reiter.

"Ich freue mich so sehr, dass er noch lebt", sagte Jon, "und dass ich wieder bei dir bin." Er fuhr ihr über das silberblonde Haar, ließ seine Finger durch die weiche Masse gleiten, bis sie sich in ihren Flechten verfingen. Dann strichen seine Hände über ihren Hals, hinauf zu ihrem Antlitz. Dany stand ganz still da und schaute in seine dunklen Augen.

"Jon", flüsterte sie, "wenn du wüsstest, was du mir bedeutest."

Er erwiderte ihren Blick und küsste sie. Erst ganz leicht, dann fordernder. Dany überließ sich seinen Küssen, schob ihn dann weg und öffnete die ersten Knöpfe seines schwarzen Wamses. Sie drückte ihren Mund auf die kleine Kuhle zwischen seinen Schlüsselbeinen und fuhr mit der Zunge seinen Hals bis zu seinem Kinn hoch. Sie wollte ihn schmecken, ihn aufnehmen und ihn niemals loslassen. Jon stöhnte auf und begann an der Fibel ihres Umhangs zu nesteln. Der dunkelgraue, wollene Umhang glitt zu Boden, Jons Hände umfassten ihren Hinterkopf, seine Lippen berührten die ihren. Er drängte sich noch dichter an sie und seine Hände glitten ihren Rücken hinab, über ihr Gesäß bis hin zu ihren Oberschenkeln. Er hob sie hoch und Dany schlang ihre Beine um seine Hüfte. So trug er sie zur Höhlenwand und gemeinsam sanken sie zu Boden. Dany hörte das Echo ihres eigenen Keuchens, als Jon begann ihre Brüste zu küssen. Ihre Finger wühlten in seinen schwarzen Locken, während er zwischen den Küssen immer wieder ihren Namen murmelte.

"Dany, meine Süße, mein Ein und Alles, ich liebe dich."

Reines Glücksgefühl durchflutete Daenerys Körper. "Ich dich auch. Jon, Jon, heirate mich."

Jon verstummte und seine Lippen lösten sich von Danys Hals. Schweigen. Dany drehte den Kopf zur Seite, schloss für einen Moment die Augen und biss sich auf die Lippen.

Der Winter des DrachensOpowieści tętniące życiem. Odkryj je teraz