Kapitel 2

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Kapitel 2

"Dany", tönte es hinter der Tür. Daenerys, die in Gedanken versunken auf ihrem Bett saß, die blutbefleckte Bürste immer noch in der rechten Hand, drehte sich um. "Dany, lass mich rein." Jon! Ihr Herz begann schneller zu schlagen, ihm konnte sie vertrauen. Sie erhob sich und wollte gerade zur Tür eilen, als sie sich an ihr letztes Gespräch auf Winterfell erinnerte. Er hatte sie abgewiesen, ihren Kuss kaum erwidert, um sie dann von sich zu schieben. Wann war dieser Keil zwischen sie getrieben worden? Genau in dem Moment als er von seiner wahren Identität erfahren hatte und dass sie beide vom gleichen Blut waren. Mitten im Raum verharrte sie und starrte auf die Tür, sah wie sich die Klinke nach unten bewegte, um Augenblicke später erfolglos nach oben zu schnellen. Ein Scharren war zu hören, Schritte, die sich entfernten. Daenerys stürzte zur Tür, drehte den Schlüssel um und riss die schwere Eichentür auf. "Jon", rief sie leise der Gestalt hinterher, die gerade um die Ecke des schmalen Ganges biegen wollte. Er stoppte sofort und drehte sich um. In seinem Gesicht spiegelte sich Sorge, Trauer und Mitleid, dann schlüpfte er in ihr Schlafzimmer und zog bedächtig die Tür hinter sich zu. Es sollte ja niemand auf der Burg von ihrem geheimen Treffen erfahren. Erst stand er nur da und schaute sie an, dann hob er die Hand und berührte sanft eine Stelle auf ihrem Kopf. "Du blutest." Daenerys konnte sich nicht länger zurückhalten, sie warf sich in seine Arme und begann zu schluchzen. All die aufgestaute Angst, Traurigkeit und Ohnmacht bahnten sich ihren Weg und sie konnte nur stammeln: "Rhaegal! Warum nur? Es ist alles meine Schuld."

"Was ist denn passiert? Ist Rhaegal verwundet worden? Ist er abgestürzt?"

"Die Eiserne Flotte hatte in einem Hinterhalt auf mich gewartet. Sie wussten anscheinend von unseren Plänen nach Drachenstein zurückzukehren und dass ich mit meinen Drachen über das Meer fliegen würde. Es lag schwerer Nebel in der Luft, sodass ich die Schiffe viel zu spät bemerkte. Und dann ging alles so schnell, Pfeile zischten durch die Luft, ich musste mit Drogon ausweichen und Augenblicke später hörte ich Rhaegal schreien. Ein schweres Geschoß steckte mitten in seiner Brust und Blut spritzte heraus. Er versuchte noch höher zu steigen, doch dann fiel er wie ein Stein vom Himmel. Drogon wollte sich auf das Schiff stürzen, aber da flog erneut eines dieser massiven Geschoße auf uns zu und ich musste ihn zwingen abzuwenden. Ach, Jon, es ist alles meine Schuld. Erst musste Jorah, mein treuer Bär, sein Leben für mich lassen und nun wurde Rhaegal von unseren Feinden abgeschlachtet."

"Es war nicht deine Schuld. Du hast getan, was getan werden musste. Dany, es tut mir so leid mit Rhaegal, niemand konnte das voraussehen", murmelte Jon.

Sie hob ihren Kopf, der bis dahin an seiner Schulter gelegen hatte und sah ihm direkt in die Augen. Er erwiderte ihren Blick voller Mitgefühl und Liebe. Wie von selbst fanden sich ihre Lippen und verschmolzen für einen Augenblick. Doch dann spürte sie, wie er die Zähne zusammenbiss und sie ganz sanft von sich schob. Es hatte sich also nichts seit ihrem letzten Treffen geändert.

Sie presste die Lippen zusammen und setzte sich auf ihr Bett. "Konnte wirklich niemand diesen Hinterhalt vorausahnen? Wo waren hier die teuren Ratschläge meiner klugen Berater? Varys, der anscheinend über jedes Detail, jede Angewohnheit der wichtigsten Menschen in Westeros Bescheid weiß, der wusste nichts von Eurons Plänen?"

Jon schloss kurz die Augen und schüttelte leicht den Kopf. "Dany, jetzt wirst Du ungerecht. Wenn er in die Köpfe unsere Feinde sehen könnte, dann wäre der Krieg bereits gewonnen."

"So? Ich kenne ihn besser als du. Seit über einem Jahr steht er mir mit seinem klugen Kopf zur Seite und viele seiner Ratschläge haben mir gezeigt, dass er diesen Platz zu Recht einnimmt. Aber weißt du wie er seine Informationen erhält?"

Wieder schüttelte Jon den Kopf, politisches Taktieren und das Ränkeschmieden, wie es an königlichen Höfen üblich war, waren ihm schon immer suspekt gewesen.

Der Winter des DrachensWhere stories live. Discover now