Kapitel 10, Nach der Eroberung, Danerys schaut über Königsmund

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Das eindringliche Rufen Tyrions holte Daenerys aus ihren Erinnerungen zurück in die Gegenwart.

"Eure Hoheit", rief der Zwerg hinter der immer noch verschlossenen Tür, die zu dem Balkon führte auf dem Dany stand, "Cersei's Leichnam wurde gefunden."

Daenerys wirbelte herum, wollte zur Tür eilen, besann sich aber dann, strich sich eine feine Haarsträhne aus dem Gesicht und straffte die Schultern. Tyrions hochrotes Gesicht blickte ihr entgegen, nachdem sie ihm die Tür geöffnet hatte. Hinter ihm standen zwei ihrer Blutreiter.

"Einer Eurer Soldaten hat sie unten im Gewölbe in der Nähe der Familiengruft gefunden", presste Tyrion hervor, während er zwischen den Worten nach Atem rang. "Ich habe mir die Leiche angesehen und kann bestätigen, dass es wirklich Cersei ist." Sein Gesicht verzog sich kurz zu einer Grimasse, die eine Mischung zwischen Schock, Trauer und Genugtuung zeigte.

"Wie ist sie gestorben?", fragte Daenerys.

"Sie wurde erwürgt", antwortete der Gnom, "und ihren Mörder haben wir auch schon gefasst."

"Wer ist es?"

Tyrions Blick glitt zur Seite, seine rechte Hand strich kurz über seinen Mund und seine Stirn legte sich in Falten. "Es ist mein Bruder, Jaime. Er hat die Tat sofort gestanden, als wir ihn zusammengekauert in der hintersten Ecke der Gruft gefunden haben."

Daenerys Augen weiteten sich vor Überraschung. Das erste Mal, als sie Tyrions Bruder zu Gesicht bekommen hatte, war auf dem Schlachtfeld gewesen. Er war auf sie zugeritten während sie versucht hatte, Drogon von einem abgeschossenen Bolzen zu befreien. Der Kommandant der Königswache war ihr so nahegekommen, dass sie sein goldfarbenes Haar unter dem Helm hatte ausmachen können, doch dann hatte Drogon den Angriff mit seinem Feuer abgewehrt. Später in Winterfell, als er sich im großen Burg Saal vor sie hingestellt hatte, um sich ihr und Jon als Kämpfer gegen die Wiedergänger und Weißen Wanderer anzubieten, hatte sie in seinen Augen weder Rachedurst noch Ablehnung ihr gegenüber erkennen können. Im Gegenteil, der Lannister Löwe erschien ihr wie ein Mann, der zu seinem Wort steht und er hatte sich in der Langen Nacht als erbitterter Kämpfer bewiesen. Was mochte ihn bewogen haben, seine Schwester zu töten?

"Führt mich zu ihm", befahl sie Tyrion.

"Jawohl", antwortete Tyrion, drehte sich um und ging los. Daenerys folgte ihm in das angrenzende Zimmer, indem einige Männer und eine Frau standen, die ihr alle erwartungsvoll entgegenblickten. Als sie den Raum durchschritt, teilte sich die kleine Gruppe an Leuten und alle neigten das Haupt vor ihr. Danys Blick glitt über ihre Gesichter, bis auf die Frau und einen kleinen beleibten Mann, waren ihr alle bekannt: Grauer Wurm, Wrachon und Xorox – zwei ihrer Blutreiter -, Ser Davos und zwei Offiziere der Nordarmee. Nur, wo war Jon? Sie winkte Wrachon und Xorox ihr zu folgen, sicher war sicher.

Während sie die Treppen zum Gewölbe hinabstiegen, sprach Tyrion kein einziges Wort und hielt die ganze Zeit den Kopf gesenkt.

'Er hat Angst um seinen Bruder', ging es Dany durch den Kopf, 'er fragt sich, was ich mit ihm anstellen werde. Ob ich ihn in ein Verlies werfe oder hinrichten lasse. Warten wir ab, was der Löwe mir zu erzählen hat.'

Das Kellergewölbe wurde von dem Schein einzelner Wandfackeln, die skurrile Schattenbilder an die Wand warfen, mehr schlecht als recht beleuchtet. Es roch nach Erde und altem Gemäuer, während ihre Schritte dumpf von den Wänden widerhallten. Daenerys erschrak als sie in einer Ecke den Umriss eines Drachenschädels ausmachte. Der bleiche Schädel lag auf die Seite gekippt, in seiner knöchernen Stirn prangte ein Loch. Sie mussten einen schmalen Gang durchschreiten und kamen vor einer niedrigen Maueröffnung zu stehen. Tyrion drehte sich zu ihr um und sagte leise:" Dahinter befindet sich die Gruft. Meine Schwester hatte sie neu errichten lassen, zumindest hat mir Jaime es so erzählt, nachdem die Große Septe durch eine Explosion komplett zerstört worden war." Er schlüpfte durch die Öffnung und gab Daenerys zu verstehen, ihm zu folgen. Jedoch schob sich Xorox dazwischen. "Lasst mich vorausgehen, Khaleesi, ich möchte nicht, dass Ihr in einen Hinterhalt geratet."

Dany zögerte kurz, nickte dann aber und ließ ihrem Blutreiter den Vortritt. Die Gruft war recht klein und die Decke war niedriger als in dem restlichen Kellergewölbe. Ihr Herz machte einen Sprung als sie Jon entdeckte. Er stand in einer Ecke und blickte zu einem Mann, der auf dem Boden saß. Als er ihr den Kopf zu wendete und direkt in ihr Gesicht schaute, begann ihr Herz wilder zu pochen, aber er senkte sofort den Blick. Dany betrachtete die Gestalt auf dem Boden. Ja, das war eindeutig Jaime Lannister, auch wenn der Staub und Schmutz auf seinem Haar es eher grau als goldfarben erscheinen ließ. Jaime sah zu ihr hoch und Dany erkannte, dass sie einen gebrochenen Mann vor sich hatte.

"Ist es wahr, dass Ihr Cersei getötet habt?"

Jaime nickte.

"Wollt Ihr mir erklären, wie und aus welchen Gründen Ihr das getan habt?"

Wieder nickte Jaime und begann zu erzählen.

Der Winter des DrachensWhere stories live. Discover now