Kapitel 8

43 3 0
                                    

Die erste Welle des Angriffs auf Königsmund lag hinter ihnen. Daenerys ließ Drogon auf der Stadtmauer landen, direkt neben einen der Wehrtürme. Alles war viel leichter und schneller von statten gegangen, als sie und ihr kleiner Rat befürchtet hatten. Noch vor dem Morgengrauen hatte sie Eurons Flotte angegriffen und dabei den Vorteil der Dunkelheit ausgenutzt. Drachenaugen konnten sowohl bei Tag als auch bei pechschwarzer Nacht besser sehen, als menschliche Augen und so flogen die abgeschossenen Pfeile der Skorpiongeschütze meterweit an ihnen vorbei. Die Seeleute waren zu hunderten von Bord gesprungen, nachdem Drogon die ersten Schiffe in Brand gesetzt hatte. Die Eiserne Flotte war nicht länger eine Bedrohung für sie.

Dany ließ Drogon einen weiten Bogen um Königsmund fliegen, lenkte ihn zurück in Richtung Stadtmitte und startete ihren Angriff auf die Wehrmauer. Da sie die Stadtmauer von hinten anflog, konnten ihr die schweren Skorpione, positioniert auf den Wachtürmen und Wehrgängen, kaum gefährlich werden. Bevor die Soldaten reagieren und die Geschütze in ihre Richtung positionieren konnten, hatte Drogon die Skorpione in Schutt und Asche gelegt. Danach steuerte Daenerys das gewaltige Stadttor an, das unter dem Feuerschwall aus Drogons Rachen in Millionen Stücke zerbarst, und fegte über die Goldene Kompanie. Das Schreien der Soldaten, die versuchten sich vor dem Feuerangriff in Sicherheit zu bringen, drang nicht bis zu ihren Ohren, Dany nahm nur das gewaltige Brüllen von Drogon wahr, wenn er seinen feurigen Atem aus seinen Lungen presste. Endlich war der Weg für ihre Dothraki, ihre Unbefleckten und die Armee aus dem Norden frei. Mit lautem Gejohle preschten die Dothraki durch das weit klaffende Loch in der Stadtmauer, die Unbefleckten, angeführt von Grauer Wurm, folgten ihnen und die Nordmänner, immer wieder "Für den König des Nordens" rufend rannten hinterher.

Nun saß sie hier auf Drogon, der mit seinen mächtigen Klauen auf der Spitze der Stadtmauer balancierte und ihre Augen suchten im Kampfgetümmel, das sich unter ihnen abspielte, nach Jon. Sie konnte ihn nirgends entdecken. Das Schreien, das Klirren von Schwertern, wenn ihre Klingen aufeinander trafen, verebbte plötzlich, nur noch das Kriegsgeheul der Dothraki war deutlich zu vernehmen. Irritiert ließ Dany ihren Blick über die Straßen von Königsmund wandern, sie entdeckte einige ihrer eigenen Männer, die eine kleine Truppe bewaffneter Lannister Soldaten eingekreist hatten. Die Soldaten der Stadtwache senkten ihre Schwerter und endlich konnte Dany in den eigenen Reihen Jon ausmachen. Neben ihm stand Ser Davos, die Spitze seines Schwertes ebenfalls zum Boden geneigt. Was bedeutete das? Hatte sich die Stadtwache bereits ergeben? Konnte es so einfach sein, die Hauptstadt von ganz Westeros zu erobern? Jon blickte zu ihr hoch, seinen Blick konnte sie nicht deuten. Wartete er auf ein Zeichen von ihr?

Auf einmal begann eine Glocke zu läuten, kurze Zeit später folgte eine zweite ihrem Beispiel. Tyrion hatte ihr gestern mehrmals gesagt, dass das Läuten der Glocke die Kapitulation von Königsmund bedeute. Immer wieder hatte er betont, dass sie bei der Übernahme der Hauptstadt ein Blutvergießen vermeiden sollten, das Volk solle Daenerys Sturmtocher nicht als Eroberin, sondern als Befreierin von Cersei's Tyrannei erleben. Und nun erschallte das volle "Klong, Klong" gepaart mit dem aufgeregten "Kling, Kling" einer kleineren Glocke durch die Straßenschluchten.

'Jetzt, endlich ist es soweit', dachte Dany, 'die Stadt liegt mir zu Füßen. Habe ich gewonnen?' Wieder glitt ihr Blick zu Jon, der seinen Männern befahl die Waffen zu senken, während die Lannister Soldaten ihre Schwerter auf den Boden warfen.

'Aber kann es wirklich so einfach sein?' fragte sie sich und der Anflug eines Zweifels meldete sich. 'Die Eroberung war viel zu leicht gewesen.' Ihr fiel ein, dass einer der Unbefleckten ihr gestern Abend gemeldet hatte, dass ihm ein Reiter aufgefallen war, der in Richtung Königsmund galoppierte. Nun ein einzelner Mann war keine Bedrohung, aber an diesem Reiter war etwas Merkwürdiges gewesen, er hatte seine Hand in die Höhe gehalten und diese hatte das untergehende Sonnenlicht golden reflektiert. Daenerys hatte dieser Meldung kaum Beachtung geschenkt, aber jetzt erschien ihr diese Information in einem neuen Licht. Wenn dieser Mann nun Jaime Lannister gewesen war, der Bruder dieser vermaledeiten Cersei? Warum war er in die Hauptstadt zurückgekehrt? Wahrscheinlich um seine Schwester zu retten.

'Das ist ein Komplott', durchfuhr es Dany, 'ein Plan, geschmiedet von den Lannister Brüdern, um mich in die Irre zu leiten. Mit dem Läuten der Glocken und der vermeintlichen Unterwerfung der Stadt wollen sie mich ablenken, damit Cersei und ihre engen Vertrauten fliehen können. Cersei, dieses falsche Biest, opfert Königsmund, um in einem Versteck gemeinsam mit meinen Feinden einen Rachefeldzug zu starten.' Das durfte nicht sein.

Daenerys sah zum Roten Bergfried, der mächtig mit seinen vielen rotbraunen Türmen über der Stadt thronte und nahm die Verbindung zu Drogon auf. 'Flieg los', dachte sie und der Drache spreizte die Flügel, 'lass uns Jagd auf Cersei machen.' Der Drache stieß sich von der Stadtmauer ab und erhob sich. Daenerys glaubte zu hören, wie Jon ihren Namen rief, doch Drogon stieß einen lauten Schrei aus, der alle anderen Geräusche um sie herum verschluckte.

Sie lenkte den Drachen in Richtung Bergfried, als plötzlich ein riesiger Pfeil knapp an Drogons Kopf vorbeizischte. Also hatten sie doch nicht alle Skorpione in der Stadt vernichtet, anscheinend waren einige der Wurfgeschoße innerhalb der Wehrmauer aufgestellt worden. Drogon schüttelte sein schwarzes Haupt, sog tief die Luft ein und stieß einen Strahl Feuer in die Richtung des Geschoßes aus. Dany konnte gerade noch einen Blick auf einen Mann werfen, der panisch von dem hölzernen Skorpion floh, da ging die Ballista schon zusammen mit dem Schützen in Flammen auf. Der gesamte Körper des Drachens zitterte vor Wut und Dany hatte Mühe, ihn unter Kontrolle zu bringen. "Drogon", schrie sie, "beruhige dich wieder."

Drogon ließ seine gewaltigen Flügel auf und niederschwingen, er verharrte in der Luft, ohne sich vom Fleck zu bewegen. Dany versuchte in Gedanken Kontakt mit ihrem Drachen aufzunehmen, doch ihr Geist prallte an einer unsichtbaren Mauer von Zorn und Hass ab. Endlich konnte sie zu ihm durchdringen und befahl ihm zum Roten Bergfried zu fliegen. Der Drache schüttelte sich kurz und flog dann los. Dany spürte, wie der schuppige Körper unter ihr von Adrenalin geschüttelt wurde und wie sich die Lungen erneut mit Luft füllten. Bevor sie es verhindern konnte, stieß Drogon erneut einen todbringenden Feuerschwall aus, sodass Häuserdächer unter ihr zusammenbrachen, und Menschen, die laut kreischend durch die engen Straßen liefen, anfingen zu brennen.

'Nein, nein', dachte Dany, 'das habe ich nicht gewollt. Los Drogon, wir müssen diese Festung erreichen auf der sich Cersei verschanzt hat. Sie ist der wahre Feind, den wir besiegen müssen.'

Der Winter des DrachensOù les histoires vivent. Découvrez maintenant