Kapitel 12

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Nachdenklich betrachte Daenerys Jaime Lannister, der sein Gesicht mit den Händen bedeckt hatte und leise zu schluchzen begann.

'Was soll ich nun mit ihm machen?', fragte sie sich in Gedanken, 'er hat seine eigene Schwester ermordet, die aber meine ärgste Feindin war. Soll ich ihn dafür bestrafen, dass er sie getötet hat, obwohl ich sie wegen ihrer Verbrechen hätte hinrichten lassen, wenn ich sie in die Finger bekommen hätte. Aber er wollte ihr zur Flucht verhelfen, das ist Hochverrat.' Sie sah von Jaime hoch und direkt in Jons dunkle Augen. Eine unausgesprochene Frage lag in ihnen: Wie wirst du über diesen Mann dort am Boden urteilen?

Wieder glitt ihr Blick zu Jaime zurück, der verstummt war und mit seiner gesunden linken Hand Tränen und Schmutz von seinem Gesicht wischte.

"Erhebt euch Jaime Lannister", sprach sie und Jaime rappelte sich hoch, "Ihr wolltet Cersei aus der Burg schmuggeln, um mit ihr ein neues Leben zu beginnen. In Winterfell hattet Ihr auch mir die Treue geschworen und mir versichert, Euch von Cersei losgesagt zu haben."

"Ich habe meine Meinung geändert, weil..."

"Schweigt!", unterbrach ihn Daenerys, "Das was Ihr getan habt war Hochverrat. Aber ich kann Eure Entscheidung nachvollziehen, wolltet Ihr doch euer ungeborenes Kind vor dem sicheren Tod bewahren und gute Eltern geben sogar ihr Leben für ihre Kinder. Darum verzeih ich Euch den Ungehorsam. Ihr habt damals meinen Vater auf hinterlistige Art ermordet und ich habe euch dafür, in der Zeit meines Exils, bis aufs Blut gehasst. Aber, weise Männer", sie nickte Tyrion kurz zu, der leicht den Kopf neigte, "haben mir von dem Wahnsinn meines königlichen Vaters berichtet und dass Ihr den Königsmord begangen habt, um unschuldige Leben zu beschützen. Nun habt Ihr ein Mitglied Eurer eigenen Familie getötet, die eine Thronräuberin und meine Feindin war. Ich sehe damit Eure Schuld, den Mord an Eurem eigenen König und meinem Vater getilgt." Sie hielt inne und für Sekunden herrschte eine angespannte Stille in der engen Familiengruft, die man fast mit den Händen ergreifen konnte.

"Jaime Lannister, ich stelle Euch nun vor die Wahl. Ihr könnt entweder weiter der Kommandant der Königsgarde bleiben", ein erschrockenes Keuchen aus Jons Kehle unterbrach Danys Ansprache, doch sie fuhr unbeirrt fort, "oder Ihr kehrt auf Euren Familiensitz, Casterlystein, zurück. Wie ich mit den weiteren Besitztümern und Ländereien der Lannisters verfahre, muss ich noch mit meinem Rat besprechen."

Tyrion räusperte sich und trat von einem Fuß auf den anderen, Daenerys beachtete ihn nicht.

Jaime, der bis dahin den Kopf gesenkt hatte, reckte das Kinn und sah direkt in Danys Augen. "Ich werde nach Casterlystein zurückgehen und verzichte darauf, weiterhin Kommandant der Königswache zu bleiben. Wenn Ihr in Zukunft meiner Dienste benötigt, meine Königin", fuhr er leise fort," werde ich Euch zur Seite stehen, sei es mit meinem Schwert oder mit meiner Erfahrung."

"Gut", antwortete Daenerys und gab Tyrion ein Zeichen, mit ihr gemeinsam die beengte Gruft zu verlassen.

Einige Schritte von dem Mauerdurchgang entfernt, beugte sie sich leicht hinab zu dem Zwerg und meinte leise: "Ich hatte das Gefühl, Ihr wart nicht ganz einverstanden mit meiner Entscheidung."

Tyrion schüttelte leicht den Kopf und flüsterte zurück:" So würde ich das nicht ausdrücken, ich war überrascht über Euer mildes Urteil. Ja, ich gebe es zu, ich trauere nicht ein Quäntchen um meine Schwester, Sie war Zeit meines Lebens mein schlimmster Albtraum. Aber, Jaime, auch wenn ich meinen Bruder liebe, hat sich ohne Euer Wissen und Eure Zustimmung Cersei genähert und wollte mit ihr fliehen."

"Ich kann keinen Vater dafür bestrafen, dass er sein eigenes Kind vor dem Tod retten möchte", antwortete sie, "und letztendlich hat er mir die Exekution von ..."

"Daenerys, auf ein Wort!", unterbrach Jons laute Stimme die Unterhaltung. Dany drehte sich zu ihm um und erkannte an Jons gefurchter Stirn, dass er wütend war. Erst wollte sie ihn zurechtweisen, doch sie konnte nicht.

"Tyrion", fragte sie, "könnt Ihr zusammen mit Wrachon und Xorox Euren Bruder nach oben geleiten und alles für seine Reise nach Casterlystein vorbereiten? Ich möchte mit Jon sprechen."

Jons Kiefer mahlten, während er ungeduldig wartete bis die Männer aus dem Kellergewölbe gegangen waren.

"Wie konntest Du Jaime Lannister den Posten als Oberhaupt der Königsgarde anbieten?" zischte er.

"Ich wusste, dass er ablehnen würde. Wie hätte er vor seinen Gardisten und dem Volk dagestanden? Erst der Königsmörder, nun der Henker seiner eigenen Schwester und Königin?"

"Aber, wenn er ja gesagt hätte? Was dann? Als Kommandant der Leibgarde hätte er dir gefährlich werden können."

"Du stellst meine Entscheidungen in Frage?", fragte Daenerys.

"Ich will dich nur vor Feinden und eventuellen Attacken beschützen.", entgegnete er.

Auf Danys Lippen zeigte sich der Hauch eines Lächelns und sie fuhr fort: "Jaime Lannister hatte tapfer mit uns Seite an Seite gegen diese Horde von Untoten gekämpft und vielleicht brauche ich ihn noch. Die Lords und Ladies sowie das gesamte Volk von Westeros muss erfahren, dass Cersei, diese falsche Hexe, ein Usurpator war und dass weder sie noch ihre Bastardkinder jemals einen Anspruch auf die Herrschaft hatten. Nur Jaime Lannister kennt die ganze Wahrheit und nur er kann seine Vaterschaft dieser drei Kinder bezeugen."

"Das wird er niemals zugeben. Er wird nie in aller Öffentlichkeit bekennen, dass er mit seiner Schwester das Bett geteilt hat."

"Sei dir da nicht so sicher", sagte Daenerys, "er hatte Cersei so sehr geliebt, dass er seine Liebe zu ihr nicht als Schande, sondern als Glück gesehen hat." Mit diesen Worten wandte sie sich von ihm ab und ging.

Der Winter des DrachensWo Geschichten leben. Entdecke jetzt