Kapitel 9

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Endlich erreichte sie den Roten Bergfried. Sie steuerte einen der hohen Türme an, Drogon schwang seine klauenbewehrten Hinterbeine nach vorne und klammerte sich an eine Brüstung, die eine Aussichtsplattform umgab. Dany hatte ihre liebe Not sich auf dem fast senkrechten Rücken des Drachens zu halten und hielt Ausschau nach einem besseren Landeplatz, als sie auf dem breiten Balkon, der sich in der Mitte der Festung befand, eine Bewegung ausmachte. Eine Frau mit blondem kurzem Haar, in einem langen schwarzen Kleid, drehte ihr den Rücken zu und eilte schnellen Schrittes von dannen. Das musste Cersei sein. Daenerys befahl Drogon wieder loszufliegen, um in die Nähe des Balkons zu gelangen. Die herausgehauene Öffnung in der Mauer war zu klein für das gewaltige Tier, so war es gezwungen, kurz vor der überdachten Veranda, auf einem Erker zu landen. Hier verharrte Drogon, während er beständig mit den Flügeln schlug, um sein Gleichgewicht zu halten. Daenerys erkannte, dass es tatsächlich Cersei war, die sie kurz zuvor ausgemacht hatte. Cersei wollte mit Maester Qyburn und einem hünenhaften Wachsoldaten aus dem Zimmer fliehen, welches an den Balkon angrenzte. "Cersei!", rief Dany, "bleibt stehen! Oder ich lasse meinen Drachen deine Burg in Schutt und Asche legen."

Cersei stoppte abrupt und drehte sich um. Maester Qyburn war weitergelaufen und winkte seiner Herrin ihm zu folgen. Der riesige Soldat hatte ebenso in seinem Lauf innegehalten und stellte sich halb vor seine Königin. Cersei musterte Daenerys mit hasserfülltem Blick: "Ihr habt gewonnen, was wollt ihr noch von mir?"

"Gerechtigkeit!", antwortete Dany.

Cersei lachte kurz auf, ihr Leibwächter zog sein Schwert aus der Scheide. "Gerechtigkeit, was für ein großes Wort. Hätte ich so ein Ungeheuer wie Ihr, wäre der Sieg wohl auf meiner Seite gewesen. Heutzutage werden Kriege nicht mehr von Kriegsherren und Königen gewonnen, sondern von feuerspuckenden Monstern."

Dany spürte wie die Wut sie überwältigte, Drogon begann unruhig seinen Kopf hin und her zuschlagen. "Ihr habt uns im Kampf gegen die Untoten in Stich gelassen, Ihr habt euer Wort gebrochen", presste sie hervor, "Ihr habt euch den Thron eigenmächtig einverleibt und Ihr habt Missandae getötet."

"Ach, die kleine Hure, die Euch so am Herzen gelegen hat."

Danys Finger krallten sich vor Zorn fester in Drogons Schuppen und der Drache reagierte sofort. Sein Kopf schnellte in Richtung Cersei, er fletschte die Zähne und stieß ein lautes Knurren aus. Cersei Lannister erbleichte und jede Spur von Arroganz und Hohn in ihrem Gesicht wich nackter Furcht.

"Bitte nicht", rief sie Daenerys mit zittriger Stimme zu, "habt Erbarmen. Ich trage ein Kind unter meinem Herzen."

Diese Worte trafen Dany wie ein Blitzschlag und sie rang nach Atem. Bilder ihres eigenen totgeborenen Kindes, das sie durch Blutmagie verloren hatte, Bilder einer verkohlten Kinderleiche und Bilder von kleinen Menschenwesen an Kreuze genagelt, prasselten auf sie ein. Sie wollte kein unschuldiges Kind ermorden.

Plötzlich hörte sie ein Zischen, etwas flog durch die Luft. Sie war so gefangen von ihren Erinnerungen gewesen, dass sie Cersei und ihr Gefolge für einen Moment aus den Augen gelassen hatte, das hatte der Hüne ausgenutzt und einen Speer in ihre Richtung geworfen. Drogon schrie auf, zog seinen Kopf zurück, verlor das Gleichgewicht, versuchte sich auf dem Dach des Erkers zu halten, aber die Dachziegeln gaben unter seinem Gewicht nach und brachen ein. Der Drache fiel zur Seite und Dany klammerte sich mit ihren Händen und Beinen auf seinem Rücken fest. Durch das Schlagen seiner Schwingen bremste er den Sturz, balancierte sich aus und flog wieder auf Höhe des Balkons. Danys Augen glitten durch das angrenzende Zimmer, aber Cersei war verschwunden. Nur dieser riesige Soldat stand mit gezücktem Schwert im Raum.

'Du wolltest mich töten', dachte Dany und sagte nur ein Wort zu Drogon: "Drakarys!"

Der Winter des DrachensWhere stories live. Discover now