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Ich saß im Schneidersitz auf meinem Sofa und hielt meine Kaffeetasse umschlungen. Immer wieder nippte ich daran, während ich Yoongi dabei beobachtete, wie er das Geschirr in die Spülmaschine packte.

Es war ein komisches Gefühl, dass jemand in meiner Wohnung war. Es war schon so lange her, dass ich mich kaum noch erinnern konnte, wie es sich anfühlte, nicht alleine zu sein. Eigentlich war es angenehm, doch dann machte es mir auch wieder Angst.

Als Yoongi seine Hände an einem Geschirrtuch abwischte und zu mir rüber sah, senkte ich schnell meinen Blick und trank aus meiner Tasse.

"Hast du was zum Schreiben da?", fragte er und ich sah wieder zu ihm auf. "J-ja, dort in der Schublade..", antwortete ich und zeigte auf einen Schrank neben ihm. Yoongi schnappte sich die Sachen, ergriff seine Tasse und kam dann auf mich zu.

Er setzte sich so nah neben mich, dass er mein Bein berührte und ich rückte sofort ein wenig von ihm weg. Der Schreibblock lag auf seinem Schoß und er malte eine Tabelle mit zwei Spalten. Auf die eine Seite schrieb er Pro auf die andere Contra.

Dann sah er mich erwartungsvoll an. "Also, leg los."

Kurz zögerte ich und kaute auf meiner Unterlippe. Dann beugte ich mich zu ihm vor und nahm ihm den Kugelschreiber aus seiner Hand. Ich schrieb auf die Pro-Seite Tod und auf die Contra-Seite Leben. Dann sah ich ihn an und unsere Blicke trafen sich.

Sein Gesicht war meinem in diesem Augenblick so nah. Ich konnte genau sehen, dass seine Augen doch nicht so dunkel waren, sondern eher in einem schokoladenbraun leuchteten. Und sein Duft stieg mir in die Nase. Ich wusste nicht, ob es ein Parfum war oder sein Waschmittel aber es roch angenehm anziehend. Ich konnte sogar auf die kurze Entfernung wahrnehmen wie warm sein Körper war.

Etwas zögernd riss er sich von meinem Gesicht los und schaute nach, was ich da geschrieben hatte. Er schnaufte und grinste etwas. "Ich glaube, du hast da was nicht ganz verstanden", meinte er und ich entfernte mich ein wenig von ihm. Ich musste etwas Abstand zwischen uns bringen.

"Nein, ich glaube du hast da was nicht verstanden. Ich will sterben. Ich muss nicht erst abwägen, was daran richtig oder falsch ist", sagte ich und meine Stimme wurde dabei immer lauter. Ich verkroch mich wieder in die Ecke meines Sofas und zog meine Beine fest an meinen Körper. Immer wieder sah ich verstohlen in seine Richtung.

Ich konnte sein Gesicht nicht sehen, doch er blickte immer noch wortlos auf den Block auf seinem Schoß. "Okay", sagte er nach einer Weile, legte den Block auf den Tisch und stand auf. Ich verfolgte ihn mit meinen Blicken. Er kramte in einer seiner Einkaufstüten herum und ich runzelte die Stirn ein wenig, da sich doch eigentlich nichts mehr darin befand.

Bis es mir wieder einfiel und er sich schon wieder auf dem Weg zu mir zurück befand. Ich konnte in seiner Hand eine silberne Rasierklinge aufblitzen sehen und ehe ich irgendwie reagieren konnte, saß er genau vor mir und dadurch, dass er halb auf meinen Füßen saß, drückte er meine Beine noch fester an meinen Körper. Ich konnte mich kaum noch rühren und blitzschnell ergriff er meinen Unterarm.

Ich keuchte auf und sah ihn erschrocken an. "Dann bringen wir es doch sofort hinter uns", sagte er und sah mir tief in meine weit aufgerissenen Augen. Mein Mund öffnete und schloss sich mehrmals, als suchte ich nach Worten, die mir allerdings in dieser Situation einfach nicht in den Sinn kommen wollten. Mein Kopf war komplett leer. Ich war leer. Das Einzige was ich spürte, war mein Herz, dass in meiner Brust mit einem Mal wie wild hämmerte.

Seine Hand hielt meinen Arm so fest, dass es fast wehtat und ich verzog ein wenig mein Gesicht. "Was soll das..?", brachte ich hervor und Yoongi zog meinen Arm näher zu sich. Ich ließ es zu und sah ihm in die Augen. "Ich tue nur was du wirklich willst", meinte Yoongi und sah mir eindringlich in die Augen.

Meine Lippen öffneten sich und sogleich führte er mit seiner anderen Hand die Klinge an die Pulsadern meines Handgelenks. Ich erschrak ein wenig. "Warte...", sagte ich atemlos. Yoongis Blick wanderte von meinem Handgelenk zu meinen Augen. "Worauf denn?", fragte er mich und ich saß stumm da. 

Ich presste meine Lippen aufeinander. Meine Augen fuhren ein wenig hektisch hin und her. Mein Körper fing an zu zittern und ich wusste überhaupt nicht, warum ich so heftig auf diese Situation reagierte. Warum war ich denn so nervös? Es könnte jetzt tatsächlich passieren. Alles könnte jetzt in den nächsten Augenblicken ein Ende haben.

"I-ich will das nicht...", kam es mir über die Lippen und Yoongi hob seine Augenbrauen in die Stirn. "Ach nein? Warum denn nicht?", wollte er wissen und ich versuchte sachte mein Handgelenk zu befreien, doch er ließ es nicht los. Er hatte mir mittlerweile mein Blut so abgeklemmt, dass meine Hand ganz kalt wurde.

"I-ich will das nicht... s-so...", stammelte ich und Yoongi zerrte kurz an meinem Arm, sodass ich ihn eingeschüchtert ansah. "Das ist 'ne sichere Methode. Nachdem du einen Liter Blut verloren hast, wirst du dich schwach fühlen. Durstig. Vielleicht auch ein wenig ängstlich", sagte er und mein Atem beschleunigte sich immer mehr, "dir wird schwindelig. Du bekommst kaum Luft. Du wirst ziemlich verwirrt sein. Und dann, ab zwei Litern Blutverlust ist es endlich soweit: du verlierst das Bewusstsein", er machte eine kurze Pause, bevor er fortfuhr, "und ich verspreche dir, dass ich nicht den Notarzt rufen werde."

Ausdruckslos sah Yoongi mich an und ich war vollkommen verängstigt. Ich fragte mich, warum er das hier tat und dann auch wieder nicht. Es war ja schließlich das, was ich wollte. Erneut zerrte er an meinem Handgelenk und zog mich ruckartig näher an sich, sodass ich nun aufrecht saß. Ich sah ihm in seine Augen und für einen Moment verspürte ich keinerlei Angst mehr. 

Bis ich plötzlich die kalte Klinge an meiner Haut spürte und ich zusammenzuckte. "Senkrecht", sagte Yoongi und sah mein Handgelenk an, "man muss senkrecht schneiden, dann... geht es viel einfacher. Wenn man waagerecht schneidet, sind einfach nur die Sehnen im Weg und man erwischt nicht gleich die Ader." Ich folgte langsam seinem Blick. Die Spitze der Klinge drückte sich gegen meine helle Haut.

Erneut fing ich an laut zu keuchen und meine Augen füllten sich mit Tränen. "D-das wird aber doch sicher weh tun...", sagte ich leise und ich wusste, dass, wenn ich nur einmal blinzeln würde, diese dummen Tränen meine Wangen benetzen würden. 

"Die Klinge ist so scharf. Es wird so sein, als fahre ein Messer durch weiche Butter. Du wirst gar nichts spüren", entgegnete Yoongi und strich sanft mit der Rasierklinge über meine Haut.

"I-ich kann kein Blut sehen...", stammelte ich und Yoongi sah mich an. "Dann schließ deine Augen", sagte er leise und ich spürte, wie die ersten heißen Tränen über meine Wange liefen und auf meiner Haut Spuren aus Feuer hinterließen. "Ich... ich kann das so nicht... bitte...", stotterte ich leise. Ein unglaubliche Angst überkam mich und ich versuchte erneut mein Handgelenk zu befreien. 

"Stell dich nicht so an, Jaden. Du wolltest sterben. Was ist jetzt? Meinst du, du müsstest erst den richtigen Zeitpunkt abwarten? Nach der richtigen Methode suchen? Jede Methode ist die richtige, denn sie haben letztendlich alle das gleiche Ergebnis. Wieso länger warten. Tun wir es jetzt einfach und du hast es hinter dir. Du brauchst jemanden, der dir die Entscheidung abnimmt. Das tue ich jetzt." Yoongi redete immer weiter. Wie ein Wasserfall und ich hörte ihm irgendwie gar nicht mehr wirklich zu.

Hektisch riss ich immer wieder meinen Arm zurück und er zog ihn jedesmal zu sich zurück. Ich wurde unruhig und ängstlich. Bis ich plötzlich einen kurzen Schmerz an meinem Handgelenk spürte und aufschrie. Yoongi ließ mich sofort los. Die Klinge hatte meine Haut bei unserem Handgemenge aus Versehen angeritzt. Es blutete ziemlich stark und mir wurde bei dem Anblick ganz anders.

Mein Mund klappte auf und ich starrte auf das rote Rinnsal, das sich langsam seinen Weg über meinen Arm suchte. "Es tut mir leid, Jaden. Das wollte ich nicht..", sagte Yoongi entsetzt und ich konnte gar nicht auf seine Worte reagieren. 

Er rannte ins Badezimmer und kam mit Verbandszeug zurück. Wie erstarrt saß ich da, als Yoongi sich neben mich setzte und meine Wunde verarztete. Er legte mir einen Verband an und strich zum Schluss sanft über mein Handgelenk.

"Du hattest Unrecht", sagte ich, während ich ausdruckslos vor mich hinstarrte. Ich konnte aus dem Augenwinkel sehen, dass Yoongi zu mir rübersah. 

Dann sah ich ebenfalls zu ihm auf und wir blickten uns in die Augen. "Ich habe etwas gespürt", sagte ich leise.

Can you hold me? ---YoonminWhere stories live. Discover now