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Wieder sah ich ihn nur sprachlos an. 

Ich holte tief Luft und fuhr mir hektisch durchs Haar. Dann stand er plötzlich auf und lief an mir vorbei. Doch sobald er neben mir stand, blieb er stehen und beugte sich zu mir hinunter. "Ich geh kurz zur Toilette", sagte er in mein Ohr und ich bekam durch seinen Atem, der meine Haut traf, eine Gänsehaut.

Verstohlen drehte ich mich um und sah ihm nach, als mein Blick mit einem Mal auf die Kellnerin fiel, die an der Theke lehnte, mich ansah und wie eine widerkäuende Kuh ihren Kaugummi bearbeitete. Ihrem Ausdruck nach zu urteilen, war sie sich wohl absolut nicht sicher, was sie von mir und meinen andauernden Treffen hier halten sollte.

Ich lächelte verlegen. "D-das waren alles Bekannte..", sagte ich, als müsse ich mich und meine Treffen mit so vielen verschiedenen Männern innerhalb so kurzer Zeit irgendwie rechtfertigen.

"Süßer, wenn ich die Chance hätte, diese Typen kennenzulernen, wünschte ich die wären viel mehr als nur meine Bekannten", entgegnete sie und wandte sich wieder anderen Dingen zu. Nein, das wünschst du dir nicht, dachte ich und versank verlegen in meinem Sitz.

Als ich plötzlich eine Hand spürte, die über meine Schulter und meinen Arm streifte, überkam mich eine erneute Gänsehaut. Ich hätte fast die Augen geschlossenen, als Yoongi auch schon wieder vor mir Platz genommen hatte.

"Das ging aber schnell", bemerkte ich und trank mein Glas leer. "Ich war gar nicht", sagte Yoongi. Ich schluckte langsam den Alkohol hinunter und sah ihn fragend an. "Die Toiletten sind 'ne Zumutung. So wie die ganze Bar. Komm, wir gehen woanders hin." Mit diesen Worten stand er auf und ich sah ihm verdutzt hinterher.

Doch ich erhob mich ebenfalls und folgte ihm nach draußen. Dort angekommen, vergrub Yoongi seine Hände in seinen Taschen. Er richtete mit geschlossenen Augen sein Gesicht Richtung Himmel und holte tief Luft. 

"Viel besser", sagte er dabei und ich konnte meinen Blick nicht von ihm abwenden. Gleich darauf lief er los und ich folgte ihm wie auf Kommando. Als ich dann jedoch feststellte, dass er an einem Gebüsch stehenblieb und ich hören konnte, dass er den Reißverschluss seiner Hose öffnete, um zu pinkeln, machte ich auf dem Absatz kehrt und verzog peinlich berührt mein Gesicht.

Als er fertig war, kam er langsam auf mich zu. Er ließ mich nicht aus den Augen und schloss geräuschvoll seinen Reißverschluss, als er direkt vor mir stand. Ich presste die Lippen aufeinander und sah zu ihm auf.

"Und was jetzt?", fragte ich ihn und sah ihn mit großen Augen an. "Jetzt gehen wir ein bisschen spazieren", entgegnete er und ich nickte leicht.

"Wie alt bist du, Jaden?", wollte Yoongi, nachdem wir einige Zeit schweigend nebeneinander hergelaufen waren, wissen. 

"Ich bin vierundzwanzig", antwortete ich und hatte meinen Blick auf die Pflastersteine vor mir gerichtet. Das tat ich immer. Immer, wenn ich durch die Straßen lief, hatte ich meinen Blick zu Boden gerichtet, um die Blicke der anderen Leute nicht sehen zu müssen. Allerdings waren zu dieser späten Stunde ohnehin keine Leute mehr unterwegs.

"Wow", meinte Yoongi daraufhin und ich sah kurz zu ihm rüber. "Wieso wow!?", wollte ich wissen und fühlte mich durch diese kleine Äußerung direkt angegriffen.

"Du bist noch so jung. Hast du eine schlimme Krankheit?", fragte der Mann weiter. "Nein, habe ich nicht. Wieso fragst du?", entgegnete ich und wurde ein klein wenig gereizt, denn ich ahnte worauf er eventuell hinauswollte. 

"Ich frage mich nur, was einen vierundzwanzig jährigen jungen Mann dazu bringen könnte, seinem Leben ein Ende zu setzen", sagte Yoongi und ich blieb stehen. "Würde es etwa irgendetwas ändern, wenn ich zwanzig Jahre älter wäre?", fragte ich nach und Yoongi blieb ebenfalls stehen.

"Nein, dann würde ich es mich immer noch fragen", meinte Yoongi und wandte sich mir zu. Bevor ich etwas erwidern konnte, fiel er mir ins Wort: "Ich werde dir helfen, Jaden. Das habe ich dir geschrieben und ich sage es dir jetzt. Wenn du willst, dann werde ich alles tun, damit genau das geschieht, was du wirklich von Herzen willst."

"Ich möchte... nur sterben", sagte ich leise und sah zu ihm auf. Erst jetzt, wo ich ihn so intensiv betrachtete fiel mir auf, wie hell seine Haut doch war. Er leuchtete förmlich mit dem Mond hinter ihm am dunklen Himmel um die Wette. Nur sein braunes Haar und seine dunklen tiefen Augen hoben sich von seiner Elfenbeinhaut ab.

Und bei näherer Betrachtung, trugen auch seine Augen eine gewisse Traurigkeit in sich.

Ich weiß nicht, wie lange wir einfach nur dastanden und uns gegenseitig ansahen. Wie lange ich in diesen Augen ertrank, wie lange mein Atem so schnell ging, als würde ich keine Luft mehr bekommen und wie lange mein Herz so sehr raste, als würde es jeden Moment stehen bleiben.

Plötzlich hob Yoongi seine Hand an und strich eine lose Strähne meines Haares hinter mein Ohr. Ich wich jedoch nicht zurück, sondern war vielmehr in der Versuchung meine Augen zu schließen und diese Gänsehaut zu genießen, die er mir dadurch bereitete.

"Wir werden sehen", sagte Yoongi leise.

Can you hold me? ---YoonminWhere stories live. Discover now