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Lieber Yoongi,

es ist nun schon fast ein Jahr her. 

Dennoch fühlt es sich für mich so an, als sei es erst gestern gewesen. 

Als hätte ich gestern diesen Anruf bekommen, in dem man mir sagte: Jaden, Yoongi ist tot.

Ich habe darauf gar nichts erwidert. Dieser Satz fühlte sich an wie mein eigenes Todesurteil. Ich hatte das Gefühl, als zöge mir jemand den Boden unter den Füßen weg. 

Ich weiß noch, dass ich dachte, ich träumte. Alles schien so unwirklich. Dieser Satz war für diesen Moment nicht real und ergab absolut keinen Sinn.

Erst als ich weiter zuhörte, kam der Satz langsam bei mir an. Ich habe einfach nur zugehört und still geweint. Mein Hals hat sich zugeschnürt. So sehr, dass es weh tat und ich konnte kaum noch etwas vor mir sehen, so sehr waren meine Augen mit Tränen verhangen.

Und weißt du was? Ich hielt die ganze Zeit über das kleine hübsch verpackte Päckchen in der Hand, dass du für mich auf die Küchentheke gelegt hattest, weil du wusstest, dass ich es dort sofort finden würde, weil ich mir, wenn ich nach Hause komme immer als erstes einen Kaffee mache.

Ich hatte es auch sofort geöffnet, weil ich nicht warten konnte, bis du nach Hause kommen würdest. Du würdest jetzt sagen, ich sei so sehr von mir selbst überzeugt, wenn ich dir sagte, dass ich wusste was darin war, schon als ich es gesehen hatte. Und ich konnte dir nie eine Antwort geben. Eine Antwort auf deinen kleinen Brief, der ebenfalls in der Schachtel lag.

Ich werde dir heute antworten: Ja, ich will Yoongi. Ich wünschte ich hätte dir meine Antwort ins Gesicht sagen können, wenn du nach Hause gekommen wärst. Ich hätte gerne deine Augen dabei gesehen. 

Ich hätte dich so unheimlich gern im Smoking gesehen und hätte mit dir gern unsere Hochzeitstorte angeschnitten. Ich hätte gerne deinen Namen getragen und ich wäre gerne mit dir alt geworden.

Aber das Schicksal wollte es nicht so. Du hattest einen Autounfall und bist an diesem Tag nie wieder zu mir zurückgekommen. 

Ich vermisse dich so sehr, Yoongi. Es ist so als hätte man mir die Luft zum Atmen genommen oder auch mein Herz, dass eigentlich in meiner Brust schlagen sollte. Doch es ist fort. Es schlägt nicht mehr und du wirst nie mehr zu mir nach Hause kommen. 

Anfangs habe ich stundenlang dagesessen und gedacht, dass ich vielleicht doch höre, wie du den Schlüssel ins Schloss steckst und aufschließt. 

Ich habe dich sogar gespürt, nachts, wenn ich in unserem Bett gelegen habe und ich habe dich gerochen, weil ich deine Kleidung getragen habe, bis der Duft verflogen ist und ich habe Angst, dass ich eines Tages vergesse, wie du riechst. Ich habe Angst, dass ich vergesse, wie du mich angesehen hast. Wie du mich berührt hast. Wie deine Lippen sich anfühlten. Deine Haut. Und deine Haare, zwischen meinen Fingern.

Dieser Schmerz hörte einfach nicht auf. Ich versank immer tiefer in einem dunklen Loch und ich ließ niemanden mehr an mich ran. 

Wie konnte ich auch leben, wenn du doch mein Leben bist. Unsere Familien sorgten sich um mich und ihnen zuliebe begann ich eine Therapie, die mich ins Leben zurückführen sollte.

Doch die Therapie half nicht. Ich machte komplett dicht. Saß teilweise einfach nur meine Zeit ab, ohne ein Wort mit dem Arzt zu wechseln und stand, sobald der Zeiger die volle Stunde erreicht hatte, ebenso wortlos auf und verließ das Zimmer.

Dr. Lee ließ das auch immerzu geschehen. Er drängte mich zu nichts und konnte mit mir schweigen. Irgendwann öffnete ich mich ihm immer mehr. Erzählte ihm von meinen Gedanken und Ängsten. Von meinem Schmerz und meinem Wunsch nach Erlösung. Von meiner Sehnsucht nach dem Tode.

Ich erzählte ihm irgendwann auch von meiner Suche im Darknet und er fragte mich, was du davon halten würdest. Ob du wollen würdest, dass ich sterbe. 

Und dann warst du da. Wenn auch nur in meiner Fantasie, habe ich die letzten Tage mit dir verbracht. 

Es fühlte sich so real an. Ich habe dich neu kennengelernt und doch warst du mir natürlich von Anfang an so vertraut wie sonst nichts.

Du warst immer bei mir. Du bist immer schon der Stärkere von uns beiden gewesen und natürlich wärst nur du dazu imstande gewesen, mich davon zu überzeugen, dass ich leben und kämpfen soll.

Ich werde dich niemals vergessen. Du wirst immer bei mir sein. Ich habe mich sogar an deinen Duft erinnert und ich habe dir in deine wunderschönen Augen gesehen. Ich habe mich an alles erinnert. An deine Berührungen, deine Küsse, deine Stimme und diese besondere sinnliche Art von dir geliebt zu werden, mit der du mir immer wieder den Atem geraubt hattest.

Du willst nicht, dass ich traurig bin. Du willst, dass ich lebe und glücklich sein kann. In meiner Erinnerung lebst du ewig weiter aber ich werde dich mit einem Lächeln im Gesicht gehen lassen, anstatt mich mit Tränen in den Augen an etwas zu klammern, was nicht mehr zurückkommen wird.

Ich trage heute den Verlobungsring, den du mir geschenkt hast. Zum ersten Mal. Denn eigentlich wollte ich, dass du ihn mir an meinen Finger steckst. 

Aber ich trage ihn heute für dich. Ich werde ihn eine ganze Weile nicht mehr ablegen. Aber das ist in Ordnung. Es macht mich nicht mehr traurig, sondern sehr glücklich. 

Ich liebe dich, Yoongi. Ich liebe dich so sehr.

Eines Tages sehen wir uns wieder und dann sage ich dir persönlich: Ja.


Dein Jaden


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ENDE

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"Can you hold me?" ist übrigens mit "Pain and Suffering" auf vielen Ebenen verknüpft.


















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I miss you, Dad

Can you hold me? ---YoonminWhere stories live. Discover now