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Die Therapiestunde hatte so unfassbar an meinen Nerven gezehrt. Ich fühlte mich ausgelaugt. Komplett leer gesaugt. Und mein Schädel fühlte sich an, als würde er jeden Moment platzen. 

Ich holte mir aus dem Spiegelschrank in meinem Badezimmer eine Aspirin, lief damit in die Küche und füllte ein Glas mit Kranwasser, das ich gleich darauf mit der Tablette auf Ex hinunterspülte. Einen Moment stützte ich mich auf der Kücheninsel ab und ließ meinen Kopf weit nach unten sinken.

In dieser Position verharrte ich eine Weile und hielt meine Augen geschlossen. Dann stieß ich mich ab und lief langsam ins Schlafzimmer, wo ich mich auf der Bettkante niederließ und mein Gesicht in meinen Händen vergrub. Wann würde das alles nur ein Ende haben?

Ich ließ mich nach hinten aufs Bett fallen und schlief nach kürzester Zeit ein.

Erst als es schon dunkel in meinem Zimmer war, schreckte ich auf, denn sobald ich wach war, fiel mir JustinSeagull ein. Hektisch drehte ich mich um und mein Blick fuhr sofort zu der roten Digitalanzeige meines Weckers, der auf dem Nachttisch stand. 

Es war tatsächlich schon halb acht, was bedeutete, dass ich bald losgehen musste. Schwerfällig richtete ich mich auf und rieb mir mit beiden Händen mein Gesicht. Eigentlich hätte ich nur zu gern weitergeschlafen, doch vielleicht war JustinSeagull derjenige, der mir dazu verhelfen konnte, für immer zu schlafen und niemehr aufzuwachen.

Also stand ich stöhnend auf, stürzte noch ein Glas Wasser hinunter, zog mir meine Schuhe an und machte mich genauso wie ich war auf den Weg zum Darkroom.

Ich war früh dran und so war ich dieses Mal vor meiner Verabredung da. Ich lief an der Bar entlang und steuerte auf eine der Sitzbänke zu. Als mein Blick auf den Wirt hinter der Theke fiel und dieser mir zunickte, als sei ich mittlerweile ein Stammgast, zwang ich mich zu einem Lächeln und ließ mich dann peinlich berührt auf einer der Bänke nieder, wobei ich es in diesem Moment eher bevorzugt hätte, mich unter dem Tisch zu verstecken.

Kurz nachdem ich bei der Kellnerin einen Gin Tonic bestellt hatte und diese zur Bar lief, fiel mir sofort ein junger Mann auf, der soeben die Kneipe betreten hatte und an der die Kellnerin gerade vorbeilief.

Er hatte dunkelbraunes Haar, dass ihm locker in die Stirn fiel. Sein Blick fuhr suchend durch den Raum. 

Er trug eine schwarze Lederjacke, ein weißes Shirt, eine schwarze komplett zerrissene Jeans und ebenso schwarze Boots. Ich wusste nicht warum aber er wirkte auf mich wie ein kleiner Drogendealer.

Als er mich ansah, grinste er sofort, was wirklich sehr niedlich aussah, wie ich schmunzelnd feststellte. Schnellen Schrittes kam er auf mich zu und setzte sich an meinen Tisch.

"Ich hab dich sofort erkannt, Jaden", grinste er mich immer noch an. "Ja, das dachte ich mir", sagte ich und strich mir demonstrativ über mein kupferrot gefärbtes Haar. 

Nachdem die Kellnerin mir meinen Drink gebracht hatte und er sich selbst eine Coke bestellte, fiel mir gleich etwas auf. Schon als Kookie die Bar betreten hatte, hatte er etwas in seinen Händen gehalten. Nun da er direkt vor mir saß und seine Arme auf dem Tisch abgelegt hatte, konnte ich auch erkennen was es war.

Es war ein Feuerzeug, dessen Reibrad er immer wieder hektisch mit seinem Daumen betätigte. Ich betrachtete seine Hand dabei und merkte, dass er mich damit irgendwie ziemlich nervös machte. Nun ja, vielleicht war er selbst gerade angespannt und brauchte das, um sich abzureagieren.

Das war bei mir genauso. Gab man mir einen Kugelschreiber in die Hand, betätigte ich immer wieder den Drücker, bis mich die Leute in meiner näheren Umgebung genervt und mit der Zunge schnalzend ansahen.

Mein Blick fuhr zu seinem Gesicht und ich wusste nicht warum, aber er wirkte auf mich sehr unruhig. Er sah sich auch einige Male so um, als fühlte er sich unwohl und auf eine komische Art und Weise verfolgt.

"Dein Haar gefällt mir", sagte Kookie und trank einen Schluck, während ich immer wieder das Reibrädchen gegen den Feuerstein schlagen hörte, "es glüht wie Feuer." Kookie sah mich an und ich konnte an der Seite des Tisches sehen, dass er immer wieder mit seinem Bein unheimlich schnell hoch und runter wippte. Er musste wahrlich ein sehr unruhiger Zeitgenosse sein.

"Also Kookie... du hast eine absolut sichere Methode?", wollte ich das Gespräch nun direkt vorantreiben. "Ja allerdings", erwiderte Kookie und trank erneut hektisch einen Schluck von seinem Getränk.

Mit einem Mal bemerkte ich nun auch, dass Kookie ein nervöses Augenzucken besaß. Ab und zu presste er seine Lider fest aufeinander, was aber auf eine Art süß aussah.

Immer und immer wieder hörte ich dieses Reiben des Feuerzeuges und starrte ihn nahezu an, in Erwartung einer weiteren Erläuterung seinerseits. Doch Kookie schaute sich nur flüchtig im Raum um, als sei ich gar nicht anwesend.

"Und welche Methode ist es, Kookie..!?", fragte ich irgendwann skeptisch nach und er hörte schlagartig auf mit seinem Bein zu wippen. Wir beide hatten unsere Arme auf der dreckigen Tischplatte abgestützt und waren uns somit ziemlich nah.

Plötzlich sah er mich an und hielt mir so unerwartet sein Feuerzeug mit angezündeter Flamme vor mein Gesicht, dass ich ein wenig erschrocken zurückwich.

"Das hier ist meine Methode", entgegnete Kookie und presste seine Augenlider kurz zusammen. Auch ich fing nun an ungläubig zu blinzeln und fragte mich, ob er mich mit dem Feuerzeug zu Tode prügeln wollte, bis mir ein Licht aufging, doch Kookie fuhr fort.

"Feuer ist die Lösung für alles. Was gebe es geileres, als in einem Inferno zu sterben", meinte Kookie, ließ das Feuerzeug sinken und ließ das Rädchen wieder unaufhörlich rasseln.

"Ich glaube zu verbrennen... wäre nicht ganz angenehm...", drückte ich es noch harmlos aus, doch Kookie schüttelte leise lachend den Kopf. "Du hast ja keine Ahnung, Jaden", meinte er nur und fing wieder an hektisch mit seinem Bein zu wippen.

"Du etwa?", fragte ich ihn und stützte mich wieder mit verschränkten Armen auf dem Tisch ab.

"Wenn ich 'nen Abgang machen würde, dann würde ich mich verbrennen. Ich mein, bisher habe ich nur ein paar Sachen angezündet... Autos, Mülltonnen, 'ne Lagerhalle... aber die Katze letztens...", meinte er und ich sah zu ihm auf, "das war echt... wow das hättest du sehen müssen, Jaden... BOOM!!!", sagte er auf einmal laut und ich zuckte zusammen, "und wie unfassbar geil es sein muss, einen Menschen anzuzünden." Beim letzten Satz sah er mich eindringlich an und ich schluckte.

Der kleine JustinSeagull war also kein Drogendealer, sondern der fleischgewordene Feuerteufel. "Du verbrennst Tiere, Kookie?", fragte ich ihn mit ruhiger Stimme, die dennoch einen vorwurfsvollen Unterton mit sich trug.

Kookie sah mich mit großen Augen an. Dann ließ er hektisch und schneller als vorher das Reibrad klicken. "Es war nur 'ne scheiß Straßenkatze. Na ja, und vorher ein paar Ratten. Du hättest sehen sollen, wie die Mistviecher abgegangen sind", meinte er und lachte heiser.

"Und du?", fragte ich weiterhin mit überraschend gefestigter Stimme nach, "bist du dabei... auch abgegangen..?" Fest zwinkernd sah Kookie zu mir auf und leckte sich seine Lippen. Ich konnte sehen, dass seine Atmung sich beschleunigte. 

"Es hat mich immer schon unglaublich angemacht zu sehen, wie etwas brennt aber diese Drecksviecher dabei zu sehen", Kookie wischte sich kurz wie beiläufig über seinen Mund, "wenn ich mir vorstelle, dass du vor mir in Flammen stehst...dann..."

"Gott!", unterbrach ich ihn, als ich es nicht mehr ertragen konnte, dass er genau in diesem Moment dieses Bild von mir in seinem Kopf zu haben schien und der Gedanke daran, dass er vielleicht deshalb sogar einen Ständer in seiner scheiß Hose hatte, bereitete mir Übelkeit.

Dann trank ich mein Glas leer. "Lebwohl Kookie", sagte ich und stand auf.

"W-was?! Aber ich dachte... ich dachte du wolltest sterben", meinte Kookie und ich hielt kurz inne.

"Ich möchte nach wie vor selbstbestimmt Sterben. Aber... nicht so."


Can you hold me? ---YoonminWo Geschichten leben. Entdecke jetzt