Christmas Special- Kapitel 39- Poinsettie

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Die Tage verstrichen, aus Stunden wurden Wochen. Ich hatte jeden der Briefe an Eloise verschickt, bis auf den letzten. Meine Finger klammerten sich um den Umschlag, es fehlte nicht viel und das Papier wäre gerissen. Ein Teil von mir verstand, dass ich ihn loslassen musste, aber ein Rest von mir weigerte sich dies zu tun. Mir war, als würde mein Gehirn die Befehle nicht an meine Hand vermitteln können, als würde sich mein Herz mit jedem Schlag mehr wehren. Es war endgültig, der letzte Schritt in einem Prozess, einer Reise, von der ich nicht einmal wusste, ob sie zu Ende gebracht werden kann. Hatte Eloise die anderen Briefe überhaupt gelesen? Hatte sie verstanden, was ich ihr so mühevoll versucht hatte zu sagen? Und dennoch stand ich hier, vor einem Kasten der über mein Leben entscheiden sollte? Mit der Zeit verschwand die Sonne hinter dunklen Wolken. Wie Sinnbildlich dachte ich mir, vielleicht würde es mir auch so ergehen, vielleicht würde ich die Sonne verschlucken. Vielleicht hatte ich es schon längst? Ich kicherte über die Vorstellung, ein verzweifelter Versuch mich selbst zu Beruhigen. Das Lachen blieb mir im Hals stecken, schwer atmend hob ich die kleine Klappe des gelben Briefkastens hoch. Erneut drückte ich den Umschlag an mich heran, bevor ich ihn einwarf.
Selbst jetzt wo er endlich eingeworfen war, lag die Schwere des Umschlages, des Briefes und dessen Inhaltes, in meiner Hand. Krampfhaft schüttelte ich sie aus, doch ich konnte es nicht abschütteln. Wie auch, es war ein Teil von mir.
„Ich hab es getan." Schrieb ich Damjan. Ich hab es getan, jetzt lag es nicht mehr an mir.

Gedämpft nahm ich die Geräusche um mich herum wahr, die Stimmen und die Musik. Sie alle waren so unfassbar fröhlich, so unbeschwert in ihrem Trubel. Lachend gingen sie an mir vorbei, die Hände beladen mit Tüten und Päckchen. Der unverkennbare Duft von Zimt und Mandeln lag in der Luft. Noch gut 5 Tage bis Weihnachten. Ein Fest, das sich mir im Grunde nie wirklich erschlossen hattet, jedoch eins, das ich trotzdem immer als schön empfunden hatte. Doch dieses Jahr war mir nicht zum Feiern zu mute. Die ausgelassenen Menschen um mich herum empfand ich als anstrengend, ihr Lachen schien mich förmlich zu verhöhnen.
„Ich sterbe", flüsterte ich den Kragen meines Mantels.
Es war, als wäre ich gar nicht wirklich da, als würde ich in meiner eigenen Blase leben und dort gab es nur mich. Mich und meine Gedanken.
Und obwohl ich das Treiben um mich herum kaum ertrug, war es besser als die leere meiner eigenen Wohnung. Hier zwischen all diesen Menschen fühlte ich mich zumindest ein bisschen lebendig. Und so streifte ich weiter an den geschmückten und leuchtenden Schaufenstern vorbei.

Wie so oft in den letzten Tagen führte mich mein Weg zu dem Schaufenster des kleinen Juweliers in der Altstadt. Es war eine Routine für mich geworden, neben der großen Tanne zu stehen und die kleinen Nussknacker zu betrachten. Sie waren allesamt in einem kleinen Weihnachtsdorf verteilt und trugen den Schmuck, der sonst in der Auslage lag. Und ER war noch da, der Goldring in der Mitte des Dorfes, der als Krone auf dem Kopf des Nussknackers thronte. Irgendwie hatte es mir der Ring angetan, in dem sanften Roségold unterschied er sich von den anderen Ringen, die sonst dort lagen. Schlicht war er und dennoch einzigartig mit den drei Spitzen und den Saphir der von den kleinen Malachiten eingeschlossen wurde. Wie eine Schlange schlängelte sich das Metall um die Steine.
„Ah da sind Sie ja wieder. Wie geht es Ihnen?"
Ich wand meinen Kopf zu dem alten Mann, der an der Schwelle der Tür erschien. Seit meinem ersten Besuch hier sah ich ihn täglich. Wieder hatte er seien Schiebermütze aufgesetzt, nachdem er aus dem Geschäft getreten war. Die Lederschürze um seinen Körper gewickelt und ein freundliches Lächeln unter seinem vollen blond-grauen Bart begrüßten mich seitdem immer.
„Unverändert Tom. Und Ihnen?" Ich zwang ein Lächeln auf mein Gesicht und nickte dem kleinen Mann zu.
„Es könnte besser, aber auch sehr viel schlechter sein." Er zog seine Pfeife aus der Tasche seiner Schürze und zündete sie an. „Haben Sie sich entschieden Mira, werden Sie mit ihren Freunden nach Dänemark fahren?"
Da ich täglich hier stehen geblieben war, hatten Tom und ich uns ein wenig unterhalten. Er erzählte von seinem Juwelierladen, den er seit 45 Jahren hier hatte und fragte mich, auf eine unaufdringliche, Großväterliche Art nach meinem Befinden.
„Noch nicht. Aber ich denke ich bleibe hier. Dieses Jahr ist mir nicht nach Weihnachten."
Tom drehte sich zu mir. „Wissen Sie, mein Angebot steht noch. Sie können auch gerne mit uns feiern." Er legte seine Hand auf meine Schulter und drückte leicht zu.
„Dankeschön, das ist wirklich sehr nett von Ihnen."
„Sicher mein Kind, dafür ist Weihnachten da." Er lächelte wieder aufrichtig und stellte sich neben mich.

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