Teil 42- Vinca Teil 1

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70 Jahre später

Das Geräusch war vertraut und doch so fremd. Etwas das tief in einem verankert war. Tief in mir. Mit halb geschlossenen Augen schaute ich zu der kleinen Gruppe Menschen hinüber. Sie saßen auf Baustämmen und Decken verteilt um das Lagerfeuer, das von dem rauen Wind des Meeres immer wieder angestachelt wurde. Doch es war nicht der Wind der sie beherrschte. Die Flammen schlängelten sich dem Himmel entgegen und mit ihnen wurden die Schläge auf den Trommeln immer schneller. Fast hypnotisch. Damjan saß zwischen ihnen und gab auf seiner Tabla den Rhythmus vor, spielte eine Melodie, die die anderen zwar folgten, sie jedoch nicht verstanden. Seine Schläge waren zu schnell für sie. Er jedoch war eins mit der Musik, verschmolz mit ihr. Seine Musik schien selbst das Feuer zu beherrschen. Die Melodie schlug ständig um. Stärker und dunkler, in der einen Minute, heller und sanfter in der nächsten. Es fiel mir schwer ein Seufzen zu unterdrücken. Ein Seufzen, das den tiefen Schmerz verraten würde, ihn enthüllen, den ich in mir verschlossen hielt. 

Die Motorhaube, auf der ich lag, hob und senkte sich wieder. „Seit wann spielt er wieder?" Villads folgte meinen Blick und beobachte Damjan wie er mit geschlossenen Augen auf die Trommel, die er zwischen seine Knie gestellt hatte, schlug.
„Heute." Erwiderte ich und nahm die Flasche, die er mir entgegenhielt und trank um nicht weiter sprechen zu müssen.
Er ließ sich langsam zurückfallen, sodass er auch fast auf der Motorhaube des Jeeps lag, lediglich abgestützt auf seinen linken Unterarm. „Geht es dir gut?"
Diese Frage. Ich hasste sie. Hasste, was sie bedeutete. Hasste ihren klang, den Zwang sie zu beantworten. Hasste es, das ich niemals die Wahrheit sagen würde. „Gut."
Villads nickte, lächelnd. Eins das genau das widerspiegelte, was ich fühlte. Leere.
Die Musik verstummte. Die junge Frau, die bis eben noch neben Damjan gesessen hatte, erhob sich und stellte ihre Gitarre ab. Er nickte ihr lediglich zu und stimmte die hypnotische Melodie wieder an. Ihr blonder Pferdeschwanz wurde vom Wind aufgewirbelt und sie verließ stolpernd den Kreis, die Haare aus dem Gesicht wischend.
„Hast du sie gefragt?" Wechselte ich das Thema.
„Nein, ich glaub sie hat kein Interesse daran mit mir auszugehen." Villads beobachtet die junge Frau. Sie schaute sich suchend um und blieb mit ihrem Blick an uns hängen. Sie hob ihre Hand, in der sie eine Flasche Bier hielt und deute fragend auf uns. Als Antwort hob ich ebenfalls meine Flasche und sie zuckte mit ihren Schultern. Schnell drehte sie sich um, löste ihren Pferdeschwanz und kam dann auf uns zu.
„Wollt ihr nicht rüberkommen?" Fragte sie, als sie leicht außeratem vor uns zu stehen kam.
Villads schaute mich abwartend an. Ich schüttelte den Kopf. „Ich bleib lieber ein bisschen Abseits, Danke."
Zähneknirschend nickte sie. Sie ließ ihre blauen Augen zwischen Villads und mir hin und her wandern. „Wann geht es bei euch los?"
„Nächsten Monat." Antworte ihr Villads. „Und bei dir?"
Sie seufzte. „Nächste Woche schon, die haben die Pläne einfach geändert. Und bei dir Mira?"
„Morgen." Antworte ich knapp.
Erstaunt über meine Worte verschluckte sie sich an ihrem Bier. Keuchend klopfte sie sich gegen die Brust. „Und dann bist du hier?"
Ihre Stimme war schon fast ein Kreischen. „Hmm." Brummte ich nur.
„Mira braucht glaub ich nie schlaf, oder?" Versuchte Villads einen Witz zu machen.
„Du musst es ja wissen." Erwiderte ich und die junge Frau schaute wieder neugierig zwischen uns hin und her. Villads lachte und schlug auf meine Schulter, ein Schlag der einen Menschen wahrscheinlich die Knochen gebrochen hätte.
„Wollt ihr etwas vom Grill?" Die junge Frau schüttelte bei seiner Frage den Kopf und ich tat es ihr gleich. „Wie ihr wollt." Noch immer lächelnd sprang er von der Motorhaube und verschwand hinter einem der Felsen, die den Strand einrahmten.
Die junge Frau blieb noch immer neben mir stehen und ließ ihren Blick über den Strand gleiten. „Ich find es schön, dass wir noch einmal hier zusammen gekommen sind. Es ist fast wie die Party im ersten Semester, findest du nicht?"
Ich stimmte ihr stumm zu.
Sie kickte mehrere kleine Äste mit ihrer Schuhspitze weg. „Kann ich dich etwas fragen?"
Es war absehbar das so etwas jetzt kommen würde. Als ich nicht antworte, fuhr sie einfach weiter fort. „Sind Yannick und du ein Paar?" Presste sie hervor und schaute mich abwartend an, ihre Unterlippe zwischen ihre Zähne gezogen.
Yannick. So nannte sich Villads jetzt. Yannick ... Er hätte jeden Namen nehmen können und dann nimmt er den. „Nein."
„Ich dachte nur, weil",
„Nein!" Unterstrich ich meine Antwort.
Die junge Frau wirkte erleichtert und lehnte sich nun gegen die Motorhaube. Auch sie schaute zu dem Kreis an Menschen, die sich um Damjan gebildet hatten und ihm bei seinem Spiel zuhörten.
„Und bevor du fragst, ich führe auch keine Beziehung zu Dawid."
Aus dem Augenwinkel sah ich wie ihre Wangen Knallrot wurden, sie senkte den Kopf, sodass ihre Haare mir einen weiteren Blick verwehrten.
„Sorry, das war unpassend." Entschuldigte sie sich fast schon flüsternd.
„Schon gut."
Sie schwieg. Eine wahrscheinlich unangenehme Stille für sie, mich störte es nicht weiter.
„Mira?" Ihre Stimme war noch leiser als zuvor, als sie ansetzte zu sprechen. „Würdest du, also würdest du mal mit mir etwas trinken gehen?" Sie strich sich ihre Haare zurück und schaute verlegen zu mir herüber. Darauf lief es also hinaus.
„Tut mir Leid, ich kann nicht."
„Oh." Fast hätte ich geglaubt sie würde wütend werden, doch sie nickte nur. „Hast du schon jemanden?"
„So in etwa." Flüsterte ich.
Sie drehte sich nun zu mir um und schaute mich direkt an. „Wie meinst du das?"
„Es ist kompliziert."
„Liebt sie dich nicht?" Fragte sie direkt. „Sorry, das war wieder unpassend."
Irgendwie gefiel mir ihre direkte Art. „Ich weiß es nicht." Antworte ich also.
„Wie kannst du das nicht wissen?"
Ich lächelte bitter. „Sie ... Sie spricht im Moment nicht mit mir. Es ist komplizierter als das, sie weiß eigentlich nicht das es mich gibt."
Die junge Frau legte ihren Kopf in den Nacken. „Oh man, das tut mir leid." Meinte sie aufrichtig.
„Ich bin es selbst schuld." Die Worte waren zu leise für ihre Ohren.
„Sie verpasst was." Sagte sie schließlich und löste sich von der Motorhaube. „Wohin gehts für dich morgen?"
„Unfallchirurgie im Florence." Froh um den Themenwechsel Antworte ich ihr sofort.
„Bei wem bist du den? Ich habe dort mein Jahrespraktikum letztes Jahr gemacht." Ihre Hand spielte mit den langen blonden Strähnen, die ihr immer wieder ins Gesicht flogen.
„In der Mail stand kein Name."
„Hoffentlich ist es Elias, der war wirklich sehr nett." Sie stoppte als sie Villads auf uns zukommen saß. „Die Frau ist ein Drachen." Beendet sie ihren Satz.
Villads hatte zwei Teller in der Hand und lächelte uns unschuldig an.
„Nimmst du dir eine Auszeit Elli?" Fragte er sie.
Sie nickte. „Aber ich geh noch eine Runde spielen. Wir sehen uns." Sie winkte uns zu und machte sich auf den Weg zu ihrer Gitarre. Plötzlich drehte sie sich um und schaute mich grinsend an. „Und Mira, viel Erfolg!"
Ich wusste das sie nicht das Krankenhaus meinte. Meine Lippen formten ein stummes Danke und sie winkte noch einmal diesmal mit einem strahlenden Lächeln auf den Lippen.
„Hab ich was verpasst?" Villads hielt mir auffordernd den vollen Teller entgegen.
Die gegrillte Paprika in meinem Mund verhinderte, dass ich sofort sprechen musste.
„Nein, eigentlich nicht."

SEELENWANDERERWhere stories live. Discover now