Teil 15- Veilchen

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Ein Kuss, so zart, so zerbrechlich, so vernichtend und unumgänglich.
Unzählige Gedichte habe ich gelesen über Küsse, Verlangen, Sehnsucht. Große Worte, die abertausende leere Blätter füllten, berichteten von dem Moment, wenn die Welt anscheinend still zu stehen vermag. Doch kein einziges beschrieb nur annähernd das Gefühl, als ich sanft meine Lippen auf Eloises drückte.
Ich hatte es getan, hatte mich ins Verderben gestürzt, hatte die wenigen Millimeter überwunden, ihren leicht geöffneten Mund mit meinen verschlossen. Es sollte ein einfacher Kuss werden, keine Bedeutung haben, einfach ein Verlangen stillen, das ich insgeheim seit unserem ersten treffen in mir trug. Es sollte mir unter Beweis stellen, das ich so etwas wie Gefühle, nicht hatte.
Nicht für sie, für keinen.
Es sollte mir verdeutlichen, dass ich einfach nur ihr Äußeres begehrte, mich nach Abwechslung, Vergnügen, die Befriedigung menschlicher Triebe sehnte.
Doch das tat es nicht.
Die Welt blieb nicht stehen.
Sie explodierte.
Explodierte, wie ein Kommet der auf die Erde krachte und diese in Abermillionen winzigen Teilen zurückließ. Sie detonierte in den hellsten Farben, so leuchtend, so klar und rein, blendete mich, ließ mich erblinden. Zog mich in einen Sog in das schwarze Loch, welches sich vor mir öffnete. Es war als gebe es die Jahrtausende nicht, die ich schon gelebt hatte, als gebe es nur sie, nur mich.
Nur diesen einen Moment.

Ich war wie erstarrt, konnte meine Lippen nicht von ihren lösen, konnte mich nicht bewegen. Erst langsam realisierte, was ich getan hatte, realisierte das auch sie wie erstarrt dastand. Kurz schlug ich die Augen auf, versuchte mich von ihr zu lösen, doch ich konnte es nicht. Eloise drückte mich gegen die Wand hinter mir. Presste mir jetzt ihre Lippen auf, so sanft, wie ein Lufthauch. Doch sie wurde fordernder, drückte mich immer fester mit ihrem Körper gegeben die Wand, stöhnte auf als ich ihren Kuss erwiderte und wieder explodierte meine Welt.
Unwiderruflich.
Ich war meinem Verderben noch nie so nah, kostete von der süßen Verlockung des Glücks, das es mir versprach, wollte sie für immer an mich binden.

Ein unterfangen das zum Scheitern geboren war.

Keuchend ließ sie von mir ab und wich einige Schritte zurück. Atemlos schauten wir uns an. Vorsichtig fuhren meine Finger an meine Lippen, aus angst mich daran zu verbrennen.
„Mira, ich. Ich. Es war ein Fehler, es tut mir leid!"
Stolpernd drehte sich um und lief weg. Ich war immer noch wie versteinert, konnte meine Gedanken nicht ordnen, begriff nicht, was sie meinte. Nur langsam setzte mein Verstand ihre Worte zusammen.
Ein Fehler, wie recht sie doch hatte. Doch ich wollte diesen Fehler, ich war bereit uns beide in unser Unglück zu stürzen.
„Ein Fehler?" Rief ich ihr zu, doch sie war schnell, sie lief vor mir weg.
„Eloise, warte!"
Sie beschleunigte ihr Tempo, sie konnte mir nicht mehr entkommen.
„Eloise!" Rief ich wieder.
Sie bog in die nächste Straße ein. Ich beschleunigte mein Tempo, binnen Sekunden war ich bei ihr, hielt sie zurück.
„Eloise bitte lauf nicht wieder fort."
Erstaunt schaute sie mich an, sagte nichts und wand einfach ihren Blick ab.
„Eloise." Setzte ich wieder an, doch ihre kalte Stimme ließ mich zurückschrecken.
„Mira, es war ein Fehler, es tut mir leid, aber es hätte nicht passieren dürfen." Fuhr sie mich an.
„Warum?" Ich verstand sie nicht, hatte sie nichts gespürt?
„Es hätte einfach nicht passieren dürfen!" Wiederholte sie sich emotionslos.
„Warum Eloise, warum?" meine Stimme war genauso klar wie ihre, ihre Art verletzte mich auf eine Art und Weise, wie ich es niemals für möglich gehalten hätte. Sie schnaufte, schien sich zu ordnen. „Zum einen bin ich deine Vorgesetzt, zum anderen deine Professorin. Außerdem bin ich 15 Jahre älter als du und ich habe keine Lust auf deine Spielchen." erbost funkelte sie mich an. 15 Jahre älter als ich, das ich nicht lache. „Welche Spielchen?", wütend lachte sie auf. „Stell dich nicht so dumm Mira."
Ich verstand nicht, was sie meinte. „Welche Spielchen Eloise?" Wiederholte ich.
„Deine Spielchen Mira, deine unzähligen Spielchen. Ich bekomme doch mit wie du dich mit anderen Menschen verhältst. Mal hier, mal dort jemanden, ist das ein Spiel für dich? Ein Spiel zwischen dir und Damjan? Oder weiß er nichts davon?" Sie schrie fast.
„Ich weiß nicht, was du meinst. Außerdem würde es Damjan überhaupt nicht angehen, wenn es so wäre."
Sie fixierte meinen Blick. Ich ging auf sie zu.
„Mira, ich habe kein Interesse daran. Das ist mir alles zu anstrengend."
Vorsichtig hob ich ihr Kinn wieder nach oben, sodass sie mich anschauen musste.
„Ich auch nicht. Lass das hier und jetzt doch einfach das sein was es ist."
Ich wollte sie nicht verletzen, doch gleichzeitig wusste ich nicht, was das alles hier zu bedeuten hatte. Sie schaute mich an, seufzte, beugte sich vor und gab mir einen Kuss auf die Wange.
„Lass uns einfach Freunde sein, ok?"
War das gerade wirklich ihr Ernst? Stumm schaute ich sie an, das quälte Lächeln auf ihren Lippen.
„Schön." Mehr brachte ich nicht her raus.
Sie drehte sich um und setzte sich in Bewegung Richtung Hotel. Freunde, Freunde die sich geküsst hatten. Ich hatte jetzt also Eloise als Freundin, etwas was ich niemals wollte. Ich wollte nicht ihre Freundin sein, ich wollte sie! Mein Herz zog sich schmerzhaft zusammen.
Für einen winzigen Augenblick, kaum merkliche Sekunden, habe ich tatsächlich gedacht ich könnte wieder so etwas wie Glück empfinden.

SEELENWANDERERWhere stories live. Discover now