Teil 3- Gerbera

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Das Wochenende und die kommende Woche verbrachte ich mit ungedachten Gedanken. Ich meldete mich bei der Arbeit krank und schwebte in einem Delirium aus Trauer und Einsamkeit, aus Schmerz und vollkommener Gleichgültigkeit. Ich hatte schon lange keine Tränen mehr zum Weinen, es war ein Zustand des absoluten nichts.

Am Sonntag kam Damjan mit einem kleinen Reagenzglas zu mir und überreichte es mir feierlich. Er hatte eine Seele gefunden, während einer Operation, die so voll und rein war, dass der Verlust des winzigen Splitters, den er ihr entnommen hatte, von ihr gänzlich unbeachtet bleiben würde.
„Du hast den Zyklus zehn Monate unterbrochen Mira, das ist zu viel! Du kennst mich, du weißt das ich niemanden schaden kann. Sie hat und wird es nicht merken!" Redete auf mich ein, während er einen Tropf vorbereitete, er hatte alles für eine Injektion dabei. Schon lange machte niemand mehr eine große Zeremonie daraus, was nicht bedeutet, dass wir unseren Spender nicht ehrten. Ich pflegte die Angewohnheit ihnen Blumen zukommen zu lassen, anonym, eine Art kleine Wiedergutmachung. Damjan war zwar der Überzeugung die Spender merkten es kaum oder gar nicht, doch ich spürte ihr Leid so deutlich wie mein eigenes. Es war schon immer ein Teil von mir, man könnte es eine Art Begabung nennen... Vielleicht so etwas in die Richtung. Ich weigerte mich oft jemanden einen Teil seiner Seele zu rauben, ich hatte es diesmal zehn Monate geschafft. Zehn Monate, er hatte recht, es war zu lang. In den letzten zwei davon, war ich immer mehr abgestumpft, meine eigene Seele fand nur noch selten Befriedigung.

Deswegen studierte ich auch seit Jahrhunderten irgendetwas was mir interessant erschien, ging arbeiten, einfach nur um eine Stimulation zu finden, eine Ablenkung im ewigen Leben. Damjan tat dasselbe, er hatte sich voll und ganz der Medizin verschrieben und er war ziemlich gut darin. Er war mehr als das, er war begnadet. Obwohl mir bewusst war, dass er recht hatte, währte ich mich dagegen. Trotz allem schaute ich kurz darauf stumm dabei zu, wie er eine Nadel in meinen Arm jagte und die kalte Flüssigkeit sich in den Adern ausbreitete. Es war so als würde man Licht in absoluter Finsternis sehen, so zart wie ein Flügelschlag nur wenige Sekunden, pures Licht in jeder Zelle des Körpers. Und dann war es vorbei. Man fühlt sich jedes Mal wieder lebendiger, wacher.
„Wie ein Junkie nach einem Schuss." Sagte ich und lehnte mich zurück. Damjan lächelte mich an und schüttelte den Kopf und fühlte meinen Puls.
„Du darfst es nicht so lange hinauszögern, das bringt doch nichts." Morgen würde ich wieder arbeiten gehen und zu meinem Kurs an der Universität, ein wenig freute ich mich sogar drauf.
„Wir können uns ja noch mal in sechs Monaten zusammensetzen und darüber diskutieren." Schlug ich ihm vor. Sechs Monate war ein guter Zeitrahmen, das wusste er und so ging er wieder kurze Zeit später. Er kannte mich,

Am nächsten Tag erwachte ich noch vor Sonnenaufgang. Gestern hatte ich noch mit Lisa telefoniert, sie war, man könnte fast sagen, so etwas wie meine Vertraute bei HUNTED. Im Gegensatz zu mir hatte sie bereits die Woche mit Eloise zusammen gearbeitet. Lisa war Torbens Assistentin und würde neben mir, am meisten Kontakt mit ihr haben.
„Sie besteht darauf das wir beim Sie bleiben, kannst du das glauben? Ich dachte ich hör nicht recht, als Torben sie vorgestellt hat: Head of Mediamarketing, Socialmedia and design, unglaublich gleich drei Stellen und bestimmt das dreifache Gehalt! Jedenfalls arbeitet sie auch nur drei Tage in Vollzeit, die anderen Tage nur vier Stunden. So ein Leben möchte ich haben. Und weißt du was das allerbeste ist? Sie lässt ihr Büro komplett umbauen, es ist ihr nicht hell genug! Pah, dafür haben wir also Geld, aber ich muss seit Monaten für einen dritten Kühlschrank kämpfen." Redete Lisa sich in rage, so war sie nun einmal, extrem impulsiv, aber auch ziemlich erfrischend.
„Hast du morgen den wieder Uni, oder kommst du mit ins Gym?" Wechselte sie wie immer abrupt das Thema.
„Ich habe eine Vorlesung, die ich nicht ausfallen lassen kann, aber ein anderes Mal OK?" Antwortete ich ihr und konnte mir vorstellen wie sie am anderen Ende der Leitung die Augen verdrehte.
„Ich verstehe nicht, warum du noch einen Abschluss im Kunstgeschichte machen willst. Du hast einen festen Job und alle Chancen mit deinen Designs. Mich würden keine zehn Pferde in einen Hörsaal bringen, um irgendetwas über uralte Bilder und 500 Jahre alte Maler zu lernen." Tja, wenn du so alt bist wie ich, dann warst du nun mal auch dabei als die Bilder entstanden sind, lag mir schon auf den Lippen, aber ich behielt es für mich. Ich mochte die Kurse, es war eine willkommene Abwechslung zu sehen, was vermeintliche Experten alles in die Bilder hineininterpretieren. Das meiste war absoluter Schwachsinn- es wurde gemalt, weil es schön war. Doch die Menschen suchten einen Sinn, eine Bedeutung. Es war ihnen zu simpel, das es nur aufgrund seiner Schönheit erschaffen wurde. Eine Banalität mit der sie nicht umgehen konnten.

Doch mein erster Gedanke an diesen Morgen galt Eloise... Wie würde sie wohl zu mir sein heute? Genauso seltsam wie an dem Abend?
Ich machte mir einen Tee und ließ mir aufgrund der frühen Stunde viel Zeit beim fertig machen. Um den Berufsverkehr zu entgehen, entschied ich mich dazu, mit meiner Ducati zu fahren. Mit den Jahren hatte ich mir angewöhnt, das Auto so oft es ging stehen zu lassen, es ging mir nie schnell genug. Die Straßen waren noch leer und so kam ich in kürzester Zeit an mein Ziel. HUNTED hatte mit den Jahren ein komplettes Bürogebäude am Hafen gemietet. Die Vorderseite war verspiegelt worden und mit Hängenden Gärten verziert, auf der Rückseite befanden sich die Einzelbüros mit kleinen Terrassen, die zwar idyllisch aussahen, aber nur am Nachmittag in natürliches Licht getaucht wurden. Ich hatte auch einen eigenen Raum dort, aus praktischen Gründen, wie Torben mir damals erklärt hatte. Zugegebenermaßen, meine Ordnung war nicht gerade die beste und da ich keine geregelten Zeiten hatten, war es einfacher mein Chaos auf einen Raum zu beschränken. Mit dem Paternoster fuhr ich in die vierte Etage, um meine Sachen in mein Büro zu bringen und mich umzuziehen, bevor das Montagsmeeting beginnen würde.

Es war unfassbar laut und staubig als ich ausstieg. Zwei Bauarbeiter diskutierten in dem Raum gegenüber von meinem, während sie den Boden aufrissen: sieh an, Eloise bekommt ihr Büro also direkt neben mir. Kaum hatte ich meinen Gedanken zu Ende gedacht, hörte ich eine Frau nach mir rufen.

Eloise stand mitten im Flur. Sie wirkte fast Majestätische in ihrem schwarzen Anzug und den zurück gekämmten Haaren. Obwohl wir gerade mal halb acht hatten, war sie perfekt hergerichtet, ihre markanten Züge gekonnt in Szene gesetzt.
„Guten Morgen", sie stockte,
„Mira!" Half ich ihr. Hatte sie tatsächlich meinen Namen vergessen?
„Guten Morgen Mira." Ihre Stimme klang wieder genauso forsch wie bei unserem ersten aufeinandertreffen.
„Guten Morgen!" Erwiderte ich, unschlüssig, ob ich sie beim Vor- oder Nachnamen ansprechen sollte.
„Ich würde gerne mit Ihnen einige Sachen besprechen heute. Sie waren ja letzte Woche nicht da." Ihr Blick war unruhig, sie musterte mich. Es war ihr anzusehen, dass ihr meine schwarze, abgewetzte Jeans und die Tunika als nicht passend erschienen. Noch mehr schienen sie meine Boots zu stören und mein Schulterzucken, das ich mir nicht verkneifen konnte. Sie verzog kaum merkbar ihren Mund, sprach dann aber unbeirrt weiter.
„Sie haben doch sicher Zeit nach dem Meeting?" Sie wartete meine Antwort nicht ab, es war nur eine formelle Frage gewesen.
„Ist der Meetingraum danach noch frei? Mein Büro ist im Moment nicht der richtige Ort dafür." Sie ging einen Schritt zurück, noch immer den Blick an meine Sachen und an mir geheftet.
„Nein, aber wir können uns gerne in meinem Büro treffen." Schlug ich ihr vor, zog die letzten Worte extra lang, ich wollte sie provozieren.
„In Ihrem?" Sie versuchte noch nichteinmal ihr Erstaunen zu überspielen.
„Ja in meinem!" Ich deutete mit dem Daumen hinter mich. Wieder verzog sie Ihren Mund kaum merklich und nickte dann.
„Gut dann um 11.30Uhr." erneut wartete sie meine Antwort nicht ab und ging an mir vorbei. „Bitch." Flüsterte ich so leise, dass es unmöglich war für sie es zu hören. Doch als sie um die Ecke bog, traf mich ihr Blick wie ein Pfeil, fast so als hätte sie es denoch getan. Ihre Augen leuchteten förmlich und ich war mir sicher ein Lächeln zu erkennen.

Mir wurde kurz schwindelig, bestimmt eine Nachwirkung von der Spende.

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