Teil 2- Fresie

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Gemeinsam betraten wir die alte Oper und ich konnte mir ein Seufzen nicht verkneifen. All diese leeren Hüllen, behangen mit teurem Schmuck, fröhliche Belanglosigkeiten die gierig den Besitzer wechselten und den Raum erfüllten. Der Geruch nach schwerem Parfüm und Champagner lag im Raum, benebelte ihn und mein einziger Lichtblick war das Quartett, das am Rande des Raums alte Romanzen aus aller Welt spielte.
„Damjan, da sind sie ja!" Ein dicklicher alter Mann kam auf uns zugelaufen und Damjan verdrehte die Augen in meine Richtung. Er deute mir an das ich mich entfernen konnte, etwas das ich mir gewiss nicht zweimal sagen lasse.

Im vorbeigehen griff ich mir ein Glas von dem Tablett, das mir von einem Kellner angeboten wurde und entfernte so weit es mir möglich war, von dem Geschehen um mich herum. Ich lauschte gerade einen Teil aus Scheherazade von Rimsky-Korsakov, als die Flötistin ihren Blick für einen Augenblick zu mir warf. Hübsch sah sie aus, das helle Haar floss glatt über ihren Rücken und staute sich auf ihrer Rückenlehne. Ihre Augen leuchten im Licht der schwachen Scheinwerfer und verliehen ihr etwas Wildes. Süß, sehr süß wie sie lächelte, als sie die Flöte absetzt und sich über die feuchten Lippen fuhr. Ich nickte ihr zu und hob mein Glas in ihre Richtung.

„Schau an, dich kann man auch keine fünf Minuten alleine lassen." Hörte ich Damians belustigte Stimme an meinem Ohr. Er grinste wie ein Kind, als ich mich zu ihm drehte und hielt mir ein silbernes Tablett hin mit zwei brennende Gläsern Absinth hin.
„Zum 100-Jährigen!" Eröffnete er feierlich und jetzt verstand ich es. Heute war der Tag unseres kennenlernen, deswegen musst ich auch an Kopenhagen denken- es lag in unserer Natur. Ich strahlte ihn an und hauchte ihm einen Kuss auf die Wange.
Gleichzeitig erloschen wir das Feuer und tranken in einem Zug den süß- bitteren Alkohol. Absinth war das einzige Mittel, das uns berauschen konnte, nur kurz, aber es war wie ein kleiner Flug, besonders wenn man, wie er, den Zucker mit Bittermandelöl beträufelt hatte. „Hundert Jahre." wiederholte ich seine Worte und schaute ihn belustigt an.
„Hundert Jahre?" Vernahm ich eine bekannte Stimme neben uns. Torben stand dort und schaute uns fragend an.
„Wir runden gerne alles auf. Nun ja, oder nehmen es mal zehn." Damjan fand seine Sprache schneller wieder als ich.
„Ihr kennt euch schon zehn Jahre? Aber dann warst du ja erst fünfzehn, oder?" Seine Augen wurden groß als er es aussprach.
„Ähm ja, das scheint ganz der Fall zu sein." Unbeholfen bestätigte ich einfach seine Vermutung, was blieb mir auch anderes übrig?

Ich mochte Torben, er war nett und in der Regel unkompliziert, aber auch verdammt neugierig. Aus Erfahrung wusste ich, das er aber für den Moment nicht weiter nachfragen würde, die Situation gab es nicht her. Er kannte Damjan von unserem Sommerfest letztes Jahr und anscheinend dachte er seitdem, Damjan ist mein Partner. Und wenn ich ihm sagen würde, dass ich damals weder fünfzehn war, noch das wir uns erst zehn Jahre kannten, dann würde er es lachend hinnehmen und mich einfach für verrückt erklären. Es war für Menschen nicht begreiflich, dass wir uns tatsächlich 100 Jahre kannten. Es passte nicht in ihre Welt. Damjan war jung, siebenunddreißig, zumindest seine Hülle war es. Seine Seele war älter, so viel älter, fast schon nicht greifbar für den Verstand eines einfachen Menschen. Und auch ich war schon zu lange fünfundzwanzig. Ich erinnerte mich nicht mehr wie lang, das Zählen wird nach den ersten paar 100 Jahren überflüssig. Wir waren selbst für unserer eins alt, wurden als das, was wir sind geboren, nicht wie viele nach uns geschaffen.

Unsere Hülle hat sich ihr Alter ausgesucht und hat aufgehört zu altern. Die Weisen meinen, dass die Seele den Körper ab den Zeitpunkt nicht mehr altern lässt, nachdem man absolute Freude erlebt hat. Ironie nenne ich das, auf dem Gipfel des höchsten Glücks wirst du mit dem schlimmsten verdammt, ewigen Leben. Anders als Fantasiewesen brauchten wir nichts zum Überleben, kein Blut von Menschen oder der gleichen, lediglich einen winzig kleinen Teil ihrer eigenen Seele. Und das auch nur alle paar Monate- es tötet sie nicht, eigentlich schadet es ihnen auch nicht. Es macht sie einfach nur traurig, wie der Verlust von etwas, von dem sie nicht wussten, dass sie es besitzen.
Wir aber waren gefangen an und in unseren Körper, es sei den wir töten. Dann war es uns möglich den Körper unseres Wirts, unseres Spenders, anzunehmen. Es war abstoßend und widerwärtig, sodass es keiner von den Geborenen je gewagt hatte, eine solche Abscheulichkeit zu begehen. Uns war unsere Menschlichkeit geblieben, die Geschaffenen hingegen hatten weniger Skrupel. Nicht alle gewiss, aber einige mussten wieder vernichtet werden, da sie anfingen ihre Spender zu töten. Mit jedem Mord verliert man immer mehr den Verstand, bis man nur noch ein vollgestopfter menschlicher Behälter ist, der alle Seelen seiner Opfer gespeichert hat. Sie vernichten einen und saugen die eigene Energie aus, ihr Leid wird dein eigenes und du suchst immer weiter nach Erlösung, sodass du unaufhörlich tötest, in der Hoffnung der neue Spender befreit dich. Die Geschaffenen verlieren sich. Und da sie geschaffen wurden, geschaffen von uns, ließen sie sich vernichten, anders als die Geborenen. Nichts konnte uns töten- gar nichts.

SEELENWANDERERWhere stories live. Discover now