Teil 32- Mohn

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Ich weiß nicht wie oft ich diesen Moment durchgespielt hatte, wie oft ich mir die passenden Worte zurechtgelegt hatte, wie oft ich sie wieder verworfen habe. In meinen Gedanken hatte ich es alles schon erlebt, doch als ich jetzt die Augen öffnete, stellte ich fest, dass nichts von dem je passiert war. Es war so real gewesen, ein Trugbild, ein Produkt meiner Fantasie. Ein Windhauch schloss die Flamme des Feuers ein und kleine Flocken Asche stiegen in Richtung Himmel , wie winzige Schmetterlinge die sich vor der nahenden Gefahr in Sicherheit bringen wollten. Mit ihnen flogen auch alle meine Worte hinfort, die mir noch auf der Zunge lagen. Sie hinterließen brennende leere die sich bis zu meinem Bauch zog und mich leise aufschluchzen ließ. Wie Klauen legte sich dieses brennen um mein Herz und drückte zu, so fest, dass ich dachte mein Herz würde ebenfalls zur Asche verpuffen ... Doch würde diese ihren Weg niemals zum Himmel finden, sondern einfach nur schwer in einer leeren Hülle des Nichts begraben bleiben. Ich hörte ihren Puls, hörte wie das Blut durch ihre Adern raste, ihr Herzschlag viel zu schnell regelrecht gegen ihren Brustkorb hämmerte. Scharf zog sie die kalte Luft ein und flutete ihre Lungen damit. Als sie sie wieder ausblies, war ihr Puls langsamer, ihr Herzschlag normal. Auf ihrem Gesicht zeichnete sich keine Regung ab, keine Emotion oder Gefühl. Es war kalt, ja fast schon versteinert. Nur ich erkannte das leichte, kaum merkbare Zucken ihrer rechten Augenbraue. Sie trat hinaus aus dem Zelt, stellte sich den neugierigen Blicken. Bei jedem ihrer Schritte wippte ihr Mantel im Takt ihrer Schritte. Augenblicklich verbeugten sie sich, gingen in die Knie und senkten ihre Köpfe. Sie ging unbeirrt weiter, umklammerte den Bogen mit ihrer linken Hand, den Pfeil in der rechten. Ich hörte wie ihre Knöchel unter den Druck, den sie ausübte, knackten. Ihre goldenen Augen fixierten mich, doch ich blieb stehen, verbeugte mich nicht, schaute sie einfach nur an. Als sie am Feuer angekommen war, erhoben sie sich wieder und bildeten einen Halbkreis gut fünf Meter hinter ihr. Ich stand noch immer auf der anderen Seite, folgte jeder ihrer Bewegungen, prägte mir jede noch so kleine Nichtigkeit an ihr ein. Ihre Augen schimmerten in dem Feuer wie flüssiges Gold, ihr Anblick floss in meine Seele, in mein Inneres, füllte mich aus und hinterließ seine Narben in jeder einzelnen Zelle. Ihre Augen, Gott wie sollte ich mich jemals davon losreißen. Sie verloren für einen kurzen Moment ihren Schein und Trauer legte sich über sie. Wie durch einen Nebel drang er zu mir vor, ihr Schmerz, das unausgesprochene Leid, welches sie so gekonnt verbarg. Sie öffnete ihren Mund, schloss ihn wieder, biss sich auf die vollen roten Lippen. Ein kurzes Nicken, ein schwaches, falsches Lächeln, zu mehr war ich nicht imstande. Sie nickte ebenfalls und führte die Pfeilspitze zu der lodernden Flamme und entzündete den Stoff, der daran gespannt war. Noch immer schaute sie mich an, wieder nickte ich und sie drehte sich zum Wasser, schritt die letzten Meter zum Ufer hinab. Sie begleiteten sie, nur ich blieb zurück. Sie spannte die Seiten des Bogens. Wieder warf sie mir einen Blick zu, schaute dann aber stur grade aus auf das klare, schwarze Wasser. Ihre Muskeln spannten den Stoff ihres Mantels, sie streckte sie noch einmal aus und hob sie an. Hunderte Sterne bedeckten den Himmel und erleuchten die dunkle Nacht in der ferne. Sie atmete tief ein, hob den Bogen höher und schoss.

Der brennende Pfeil flog in einem hohen Bogen über das Wasser, wie ein Komet, der auf die Erde einschlug, landete er zischend auf dem Floss, welches extra dafür zu Wasser gelassen wurden war. Augenblicklich stand es in Flammen. Ein ohrenbetäubender Schrei durchbrach die Nacht, der Adler schoss auf das brennende Floss zu, bannte sich unbeirrt seinen Weg, furchtlos wie er war. Kurz vor dem Feuer stoppte er und griff nach dem Pfeil mit seinen Krallen. Das Tier flog auf das Ufer zu, ließ wieder einen Schrei los und umkreiste sie zweimal bevor er nach oben flog, immer höher, solange bis man ihn nicht mehr sehen konnte. Es war geschafft, sie hatte die Zeremonie gemeistert, hatte sich ihrem Schicksal gestellt. Sie war also tatsächlich das, wofür sie alle gehalten haben. Ein Götterkind, der Adler hatte es bewiesen. Bald würden es auhc die Götter zeigen. Regungslos stand ich am Feuer, hier hatten sie es beschlossen, es schien mir so unfassbar, das es erst weniger als zwei Tage her ist. Jetzt stand ich hier, allein, so weit weg von ihr. Heiß lief mir eine Träne die Wange herunter, ich wischte sie nicht weg, ließ sie meine Augen benebeln, meine Sicht auf sie versperren. Unbemerkt verschwand ich in dem Zelt, aus dem sie gekommen war. Ihr Koffer lag noch immer auf dem Bett, darauf die Armbänder, die sie hatte ausziehen müssen. Sie würden nicht zu diesem Anlass passen, hatten sie gesagt. Ich griff nach einem der feinen Silber Reifen und schaute mir die Gravur an. Wie ihren Körper schmückten auch hier winzige Rosenknospen das Armband. Es schmerzte sie achtlos hier liegen zu sehen, schmückten sie doch sonst immer ihre Handgelenke. Ich streifte ihn mir über, das kalte Metall schloss sich dicht um mein Handgelenk, ich zog es höher, soweit bis die Kanten in meine Haut schnitten. Vorsichtig griff ich nach ihrem Pullover und roch daran, ein letztes Mal. Ein aller letztes Mal Eloise riechen. Beim Verlassen des Zeltes rieb ich meine nassen Wangen trocken. Noch immer standen sie am Ufer, sprachen miteinander. Umkreisten sie, lachten und fingen an liebliche Töne in die Nacht herauszuspielen. Ihr Blick suchte nach mir, doch fand mich nicht. Ich stand am Rand der Lichtung und verbarg mich hinter den Stamm einer alten Kiefer. Es war besser so. Wir würden nicht zusammen sein können, unsere Liebe nicht leben können. Wir durften es nicht. Eloise ... Flüsternd verließ ihr Name meine Lippen. Wir waren so viel mehr, so viel mehr als all das hier. Wir waren pure Energie, rein Kraftfelder die sich ihr eigenes Universum um sich herum erichtet hatten. Vielleicht sollte es so sein, vielleicht hat das alles doch einen Sinn. Vielleicht war es mein Schicksal sie zu finden, ihr ihr eigenes Schicksal zu offenbaren. Vielleicht ... ja vielleicht war es meine eigentliche Aufgabe im Leben. Ich wand mich ab und stand am Rande des dunklen Waldes, ohne ein Ziel vor mir zu haben. Das einzige, was ich wusste, ich musste weg. Es war mir unmöglich hier zu bleiben, hier bei ihr. Dabei zuzusehen wie sie sich von mir entfernen würde, wie Tag für Tag, Stunde um Stunde ihre Liebe verfliegen würde, bis das was wir hatten, für sie nur wie ein Traum war. Die göttlichen Kräfte würden ihre Erinnerungen auslöschen, sie wegwischen, sie würden mich aus ihrem Herzen treiben. Und doch musste ich mir eingestehen, das ich all dies gewusst hatte, als der Stammesälteste vor zwei Tagen von seinem Pferd gestiegen war und Eloise das erste Mal gesehen hat. Eloise ...

SEELENWANDERERWhere stories live. Discover now