Teil 36- Hamamelis

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„Denkst du?" Damjan schaut skeptisch auf das Auto vor uns und beugte sich leicht vor um besser hineinsehen zu können. „Wir könnten es ihr auch vor die Tür schieben, wenn du es nicht aufbrechen willst." Zum wiederholten Male schüttelte ich den Kopf. „Sie wird es sich schon holen kommen. Wir sollten jetzt gehen." Er löste sich von dem Auto und zuckte mit den Schultern. „Na schön. Vielleicht verrätst du mir dann auch, warum ich dich abholen kommen sollte?" Damjan griff nach meinem Arm und hackte ihn bei sich unter. „Mira, ist etwas vorgefallen?" Ich ließ mich von ihm mitziehen. Es stimmte nicht ganz, ich hatte ihn nicht darum gebeten mich abzuholen. Er war plötzlich da und hatte sich stumm neben mich gestellt und wie ich, das Auto von Eloise betrachtet. „Ich bin mir nicht sicher." Er verstärkte den Druck seiner Hand. „Du musst es mir nicht sagen, doch noch weniger brauchst du dich zu fürchten, es zu tun." Wir bogen langsam in eine der kleinen Seitengassen der Hauptstraße ein.

Die Laternen hier waren nur spärlich aufgestellt und tauchten die alten Fachwerkhäuser nur vereinzelt in ein dämmriges Licht. „Du weißt, dass ich mich seit Jahren von so gut wie allen Seelenwanderern verhalte? Dass ich auch die Weisen meide? Semjon, er hat nicht ohne Grund Angst vor mir. Das weißt du, oder?" Damjan nickte. „Ich weiß Mira, deine Familie gehört zu den ältesten, dein Großvater", abrupt blieb ich stehen und riss meinen Arm aus seinem Griff heraus. „Nein Damjan, das ist nicht der Grund." Die Worte sprudelten aus mir heraus, fast hätte ich sie hinausgeschrien. „Dann erzähl es mir." Beruhigend redete er auf mich ein. Das beherrschte er gut, diese ruhige, friedliche Art, sie nahm einen ein, schenkte einem den nötigen Mut. Vielleicht war dies seine ganz eigene besondere Gabe. „Ich bin nicht das, wofür mich alle halten. Ich bin nicht wie ihr." Ohne darauf zu achten, ob Damjan mir folgte, setzte ich hektisch einen Fuß vor den anderen. Gedankenlos rannte ich durch die Straßen, bis ich den dunkeln Teil des Hafens erreichte, der die Stadt einschloss. Kraftlos ließ ich mich in den Kies fallen, zog meine Knie an mich heran und schlang meine Arme um sie. Damjan ließ sich ebenfalls hinab gleiten, doch setzte er sich nicht neben mich, sondern nahm direkt hinter mir Platz, sodass wir Rücken an Rücken auf dem nassen Kies hockten. „Eloise ist nicht das einzige Götterkind, obgleich sie wohl Möglich selbst eine Göttin ist. Anders als ich." Ich wartete ab, gab Damjan Raum die Worte zu verarbeiten, sie zu verstehen.

Wir schwiegen, ließen die Wellen die Stille ausfüllen, die schwer und doch so leicht zwischen uns lag. Jeder Atemzug dauerte ewig. Als Damjan sprach, war seine Stimme ruhig, fast schon so, als ob er endlich den Beweis für eine lang gehegte Theorie bekommen hatte. „Also bist du das Kind des Todes." Eigentlich hätte ich überrascht sein müssen, doch tief in mir hatte ich es gewusst. Genau wie er. „Ja." Er legte seinen Kopf nach hinten, sodass er auf meiner linken Schulter zum Liegen kam. „Dein Vater ist also der Gott des Todes." Zur Bestätigung nickte ich. „Und deine Mutter?" Ich griff nach einigen Steinen und warf sie ins Wasser. „Sie war für ihn nicht das, was sie vorgab zu sein. Er brachte sie um, als sie ein Kind bekam, eins das er ihr nicht aufgezwungen hatte. Das Kind meines sterblichen Vaters." Meine Stimme brach, sie war gestorben, ermordet worden, alles seinetwegen. Ein Monster. „Wer war sie?" „Eine sterbliche Seelenwanderin, eine die der Göttin der Lieb so ähnlich sah, das die Menschen sich vor ihr fürchteten. Sie verehrten sie und gleichzeitig mieden Sie sie. Meine Mutter soll von den Göttern geliebt worden sein, besonders von der Liebesgöttin, sie war ihre die liebste Sterbliche. Angeblich war sie regelrecht vernarrt in sie." Es fiel mir schwer die richtigen Worte zu finden, die Wut und die Trauer zu kontrollieren.

„Mit den Jahren wurde auch dieses Monster auf sie aufmerksam. Er kam auf die Erde, in der Gestalt eines sterblichen Mannes. Er gab vor Hilfsbedürftig zu sein, das man ihn auf der Wanderung zurück zu seinem Stamm überfallen hatte. Meine Mutter bot ihm an seine Wunden zu versorgen und ihn mit in das Lager zu nehmen. Sie war zu gutmütig, zu sanft. Auf dem Weg machte er sie sich zueignen. Er folterte sie, zwang sie, ihm zu sagen, dass sie ihn auch liebte. Er hielt sie gefangen, mehrere Wochen lang. Ihr Mann suchte sie, doch er fand sie nicht, ein magischer Bann lag auf ihrem Versteck. Nach einigen Wochen spürte meine Mutter, dass sie mit mir schwanger war. Sie flehte ihn an, sie gehen zu lassen, um das Kind aufzuziehen und später, wenn ich alt genug war, würde sie zu ihm zurückkommen. Er willigte ein, er wollte kein Kind, nur sie. Doch meine Mutter liebte meinen Ziehvater, ihren Mann, so sehr, so unfassbar stark, dass sie ihn nicht verlassen konnte oder wollte. Der Stamm hatte die Suche damals nie aufgegeben und so fanden sie meine Mutter eines Tages alleine in einer Hölle. Sie brachten sie zurück und langsam erholte sie sich. Ich wurde geboren und sie sagte ihm nicht, das er nicht der Vater war. Ich glaube, er wusste es, doch er sagte nichts, zog mich auf wie sein eigenes Kind. Er liebte meine Mutter auf die selbe Art wie sie ihn. Nach einigen kurzen Jahren wurde meine Mutter wieder schwanger, doch das Monster, mein Vater, hatte sie nicht vergessen. Er wartete auf sie und als er rausfand das sie schwanger war, fing er an sie zu hassen. Er wollte sie und ihrem Mann das schlimmste zufügen, er wollte sie töten. Und so brachte er sie bei der Geburt meiner Schwester um. Er ließ meinen Ziehvater wissen, das ich genau so ein Monster war wie er." Meine Stimme brach. Damjan lehnte sich noch ein Stück weiter zu mir.

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