Teil 34- Amaryllis

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„Mira, Sie müssen mich heute nicht abholen, ich werde den heutigen Termin alleine wahrnehmen. Vielen Dank für Ihre Bemühungen. E." Mehrfach lass ich Ihre SMS und donnerte das Handy anschließend auf mein Bett. Sie wollte mich nicht, wollte nicht das ich sie begleite, bei Ihr war ... Um kurz nach sieben hatte mich das Piepen der eingehenden Nachricht aus meinen Gedanken gerissen. Zuerst wollte ich sie anrufen, doch was sollte ich sagen? „Hey, macht mir nichts aus. Eigentlich bin ich ja Verantwortlich für Deine Situation und außerdem finde ich, man sollte so was mit dem Menschen, den man liebt teilen." Alleine bei dem Gedanken musste ich lachen. Lieben. Sie liebte mich nicht, jetzt zumindest nicht. Ich war ein ungebetener Gast, der sich aufdrängte, sich selbst einlud, das fünfte Rad am Wagen. Um kurz nach acht hielt ich es nicht mehr aus und zog mich an. Ich konnte nicht länger hier bleiben, meine Wut auf mich und die ganze Welt stieg von Minute zu Minute. Die Musik voll aufgedreht machte ich mich auf den Weg in den nahe gelegen Stadtpark um zu joggen. Bescheuert eigentlich, den das langsame Traben machte mich nur Wahnsinnig. Zwei Frauen kamen mir lachend entgegen, versperrten den Weg und kicherten so laut, das selbst die Musik in meinen Ohren nicht ausreichte, um Ihre Stimmen auszublenden. Missmutig schaute ich sie an und wollte gerade auf die Wiese links von ihnen ausweichen, als eine der Frauen auf mich deutete und die andere wieder anfingen zu lachen. Abrupt blieb ich stehen und zog die Kopfhörer nach unten. Sie verstummten kurz, doch das Lachen gurgelte bereits in Ihren Hälsen und fand seinen Weg durch Ihre Lippen. Prustend legte die kleinere der zwei Ihre Arme um Ihren Bauch. „Was gibt es den zu lachen?" Fragte ich ruhig. Überrascht schauten zu mir hoch. „Ah gar nichts." Rief die kleine mir zu. „Es ist nur. Ist Ihnen nicht kalt?" Mischte sich nur die andere an und zog missmutig Ihre schnallen Lippen zusammen. Erst jetzt fiel mir auf das die zwei mit Weste und Ohrenwärmern ausgestattet waren, um Ihren Mund bildete sich kleine weiße Wölkchen, während sie keuchend auf eine Antwort von mir warteten. Ich hingegen trug nur eine Hotpants und einen Sport BH. „Wir haben nur vier Grad." Fügte die kleine wieder hinzu. „Aha." War alles, was ich ihnen als Antwort gab. „Komm, die scheint es nötig zu haben." Die große mit den schmalen Lippen zog Ihre Freundin mit sich und beide kicherten wieder. Ein Knurren, kaum lauter als Ihr Kichern ließ die beiden aufschrecken. Es war ein Reflex, unaufhaltsam. Erschrocken beschleunigten die zwei Ihre Schritte und schauten mir nur Kopfschüttelnd nach einigen Metern hinterher. Wieder knurrte ich und die zwei sprinteten nun fast davon. Tatsächlich war es aber plötzlich über Nacht kalt geworden. Ich zog mit meinem Outfit die Blicke auf mich, doch ich beherrschte mich und behielt meine Wut in mir. Nach zwei Kilometern bog auf einen Weg ab, der den meisten, der schon wenigen Besuchern des Parks, zu abgelegen war. Er führte aus dem Park hinaus, ein Trampelpfad zum See, mehrere Kilometer außerhalb der Stadt. Doch der Weg war durch die ganzen Büsche und kleinere Felsen so gut wie nicht Nutzbar für Menschen.


Innerhalb weniger Minuten war ich am Ziel, die Hindernisse waren für mich keine. Links neben mir ragte eine Felswand hinauf, kaum zehn Meter hoch. Ich legte mein Handy ans Ufer und zog meine Schuhe aus. Die scharfen Kanten der Steine bohrten sich in meine Fersen, doch es schmerzte nicht, nicht mehr. „Ich dachte wir stürzen jetzt in die Fluten." Eloise Stimme hallte in meine Ohren wieder, damals als ich Ihr zum ersten Mal wirklich gezeigt hab, wer ich bin. An dem Tag sprach sie zum ersten Mal in der Sprache Ihrer Seele. Gott wie ich diesen Tag verfluche. Damals ... Es war nur wenige Wochen seither verstrichen, doch sie reichten für ein ganzes Leben. „Hab ich Dich etwa zum Einschlafen gebracht?" Ich bekam Ihre Stimme nicht aus meinem Kopf, am liebsten hätte ich ihn gegen die Felsen geschlagen. Mehrfach hatte ich sie verlassen, mich vermeintlich damit abgefunden, dass ich sie nie wieder sehen würde. Doch diesmal war es anders, schlimmer, vernichtender. Den diesmal hatte sie mich verlassen, ich kam in Ihrer Erinnerung nicht mehr vor, hatte keinen Platz mehr in Ihrem Leben. Dumpf prallte mein Körper auf die spiegelglatte Oberfläche des Wassers. Eiskalt drang das Wasser durch den dünnen Stoff meiner Sachen und umschloss meinen Körper. Regungslos ließ ich meine Körper wieder nach oben gleiten, nur um wieder abzutauschen. Die Kälte legte sich wie ein Mantel um mich und langsam fing auch mein Kopf an leerer zu werden, lediglich Eloise Stimme bekam ich nicht aus ihm heraus. Mein Handy piepte in regelmäßigen Abständen am Ufer, ich war mir sicher, dass es Damjan war, doch ich wollte jetzt nicht mit ihm sprechen. Nach dem dritten Mal gab ich auf und schwamm an den Steg, meine Haut dampfte beim Verlassen des Wassers und auch meine Gedanken kehrten wieder zurück. Drei verpasste Anrufe von Damjan, doch die Abstände der einzelnen Anrufe waren zu groß, als dass das es etwas Wichtiges sein konnte. Gerade als ich meine Haare auswringen wollte klingelte es erneut. „Was?", gaffte ich in den Hörer, am anderen Ende war Stille. „Störe ich Sie gerade?" Verdammt, verdammt, verdammt, warum hatte ich nicht auf die Nummer geschaut. „Ähm nein, sorry. Ich, ich hatte ich nicht auf den Bildschirm geschaut." Eloise lachte leise am anderen Ende der Leitung. „Wer hat Sie den so erzürnt?" Sie wirkte amüsiert über mein Gestammel. „Niemand, ich war nur gerade schwimmen." Ich wusste nicht, warum ich Ihr das erzählte. „Oh, ich wollte Sie nicht stören Mira." Wieder rollte sie das R auf die gleiche Art und Weise wie am gestrigen Abend. Unfähig zu antworten, blieb ich einfach stumm. „Nun, wie dem auch sei. Hätten Sie Lust mich zu einer Ausstellung zu begleiten?" Ich war mir nicht Sicher, ob sie das gerade wirklich gefragt hatte. „Mira?" Anscheinend hatte ich auch nichts gesagt. „Wie bitte?" Eloise schien zu lachen, „Wollen Sie mich zu einer Ausstellung begleiten? Heute? Damjan meinte, Sie würden sich für Kunst interessieren und ich habe gestern zwei Einladungen in der Poste gefunden. Ich dachte, vielleicht möchten Sie mitkommen?" Abwartend senkte sie Ihre Stimme. „Ähm ja. Ja, gerne." Wieder konnte ich nur Stammeln, was mir ein amüsiertes Schnauben von Eloise einbrachte. „Gut, dann um 19 Uhr?" Endlich fand ich meine Sprache wieder, mehr oder weniger. „Ja." - „Ich hole sie ab. Schicken Sie mir gleich doch noch bitte Ihre Adresse. Dann bis später." Eloise legte nicht auf, sondern wartete auf eine Antwort von mir. „Mach ich, Danke." Wieder meinte ich ein Lachen zu hören. „Ich freu mich, Mi-ra." Stille. Sie gab mir nicht die Möglichkeit zu antworten. Meine schlechte Laune war verflogen, mein Kopf war frei. Zwar wusste ich nicht was es war, doch sie wollte mich wieder sehen. Schnell schrieb ich Ihr meine Adresse, griff nach meinen Schuhen und rannte barfuss los. Mich störten die Blicke der Leute nicht, als ich wieder in den Park trat, ebenso wenig wie die Tatsache, dass ich noch nicht mal wusste, weshalb Eloise mich einlud. Es war mir im Grunde auch egal, es interessierte mich nicht, ob sie es nur aus schlechtem Gewissen machte. Vielleicht tat sie es, vielleicht auch nicht. Doch wenn ich ehrlich zu mir war, dann hoffte ich, dass sie es machte, weil sie mich sehen wollte.

SEELENWANDERERWhere stories live. Discover now