41.) Ich brauche deine Hilfe

58 4 2
                                    

Sie wusste nicht, wie lange sie bereits auf dem Boden vor der Tür kauerte, die Arme um die Knie geschlungen, und auf den Werwolf einredete, versuchte, irgendeine menschliche Reaktion aus ihm herauszubekommen. Aber vergeblich. Remus' Bewusstsein wurde von dem des Tieres völlig überlagert. Er hatte ihr zwar erzählt, dass er im Nachhinein wusste, was er in den Vollmondnächten, in denen er verwandelt war, getan hätte. Aber es war wohl stets eine verschwommene und undeutliche Erinnerung. Er war nicht wirklich in diesem Körper, wenn er sich verwandelt hatte.

„Es ist alles meine Schuld", flüsterte sie tonlos, während sie wie hypnotisiert den Bewegungen des Wesens folgte.

Ihre Gedanken rasten, zerdrückten sie mit der Last an Emotionen, die sie aufwirbelten. Angst, Mitleid, Schuld, Zorn, alles stürzte auf einmal auf sie ein.

Als sie es nicht mehr ertragen konnte, zog sie den rechten Ärmel ihres Umhanges hoch. Sie schaffte das nicht alleine, sie brauchte Hilfe. Und es gab nur eine Person, die ihr in dieser Situation zur Seite stehen konnte, damit sie nicht den Verstand verlor. Sie berührte das schmale Armband an ihrem Handgelenk und flüsterte: „Mione, ich brauche dich."

Dann wartete sie, den Blick auf den Werwolf gerichtet.

Wie lange würde es dauern? Fünf Minuten? Zehn?

Nach dem Abendessen war Hermione zielstrebig zurück in ihre Wohnung gegangen. Heute Abend hatte sie nur drei Ziele. Duschen, es sich auf der Couch gemütlich machen und ein gutes Buch lesen.

Sie hatte bereits am Nachmittag ihre Sachen von der Reise wieder ausgepackt und sobald sich die Wohnungstür öffnete, lief sie schnurstracks ins Badezimmer ...

Es dauerte eine gute halbe Stunde, bis sie wieder auftauchte, ein Handtuch um den Kopf geschlungen, und sich aus ihrem Kleiderschrank im Schlafzimmer ein paar bequeme Hosen und einen dicken Pullover heraussuchte. Dann ließ sie ihre Haare mit einem Wink ihres Zauberstabes trocknen, steckte sie nachlässig zusammen und schlüpfte in die Anziehsachen. Zusammen mit dem Buch, das auf ihrem Nachttisch lag, ging sie in die Küche, holte sich noch ein Glas Rotwein und legte sich dann auf die Couch. Ein Schlenker mit ihrem Stab entfachte ein Feuer im Kamin und ein weiterer ließ ihre Daunendecke erscheinen. Sie kuschelte sich tief darin ein, seufzte zufrieden und öffnete das Buch.

Fünf Minuten später war sie in die „Zaubergeschichte des fünfzehnten Jahrhunderts" vertieft.

Es war ein spannendes Zeitalter gewesen, die Inquisition erlebte ihren Höhepunkt in Deutschland und die wirklichen Hexen und Zauberer mussten sich jeden ihrer Schritte genau überlegen.

Schon damals gab es Zauberersiedlungen in Europa, die mit der beginnenden Verfolgung immer größer wurden. Plötzlich wurden Schutzzauber immer wichtiger, die nicht nur die Entdeckung der Siedlungen verhindern sollten, sondern die Muggel auch von den Ländereien fernhalten mussten, auf denen die Dörfer standen. Die Herangehensweise an die Erfindung der Zauber war bemerkenswert gewesen und manchmal auch sehr gewalttätig. Es war öfters vorgekommen, dass die Zauberer einen Verurteilten aus einem Gefängnis herausholten, um an ihm die neuen Zauber auszuprobieren und zu verfeinern. Manch einer dieser armen Muggel hätte sich wohl gewünscht, einfach im Gefängnis sterben zu können ...

Hermione war so vertieft in die Lektüre und die Erkenntnis, wie grausam und herablassend manche Zauberer schon damals gegenüber den Muggeln waren, dass sie einige Sekunden brauchte, bis sie das Vibrieren an ihrem Fußgelenk bemerkte. Ungläubig sah sie auf ihr Bein, bis ihr Kopf die richtigen Schlüsse zog.

„Beth!", rief sie erschrocken aus. Sie sprang auf und versuchte, sich aus der Decke zu schälen, ohne hinzufallen.

„Jetzt ... verdammt noch mal", fluchte sie, als sie ihr Bein endlich befreit hatte. Sie schmiss die Decke unwirsch zur Seite und bückte sich hektisch, um das Band von ihrem Fuß zu lösen. In aller Eile schnappte sie sich ihren Zauberstab und rief ihren Umhang und Schuhe herbei. Ungeduldig zog sie beides über und war eine Sekunde später schon aus dem Wohnzimmer gestürmt.

Um den Liebsten zu schützenKde žijí příběhy. Začni objevovat