62.) Zwiespalt

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Severus stand vor dem Spiegel in seinem Badezimmer und betrachtete abwesend sein Abbild, das ihm entgegenblickte.

Er trug seinen üblichen schwarzen Rock, sein weißes Hemd, seine Drachenlederstiefel. Und er fragte sich zum mindestens hundertsten Mal, warum er vor zwei Wochen nicht etwas früher im St. Mungos hatte erscheinen können. Dann hätte er das Gedächtnis der alten Hexe noch verändern können, bevor sie wieder zu sich kam. Nur eine Winzigkeit, gerade so viel, dass sie Albus' Leidenschaft für Feste bei jeder verdammten Gelgenehit nicht mehr geteilt hätte. Und seine nervtötende Angewohnheit, jeden Lehrer dazu zu zwingen, an diesen teilzunehmen. Denn dann müsste er nicht in einigen Minuten in die Große Halle hoch, um diesen Humbug über sich ergehen zu lassen. Nein, stattdessen könnte er in aller Ruhe in seinem Labor sitzen und an seinem Trank weiterforschen. Zusammen mit Beth. Sein Gesicht wurde weich bei dem Gedanken an sie.

Die letzten zwei Wochen waren hektisch gewesen. Nachdem der Portschlüssel sie im St. Mungos abgeliefert hatte, hatte er alle Heiler aufgescheucht und sie in herrischem Tonfall angewiesen, der Frau, die den Fluch aufgehoben hatte, allen Komfort zu bieten, den sie verdient hatte. Erst, nachdem sie in seinen Augen angemessen versorgt war, hatte er es sich gestattet, der eigenen Bewusstlosigkeit stattzugeben, die unter der Oberfläche lauerte. Es schien nur einen Wimpernschlag zu dauern, bis er zwanzig Stunden später wieder erwachte, frisch und ausgeruht. Und in seiner gewohnten Art begann er sofort damit, die aktuelle Lage zu überprüfen. Harry, Remus, Hermione und die anderen waren bereits wieder entlassen worden, da der Gedächtnisverlust die Bewusstlosigkeit nach dem Wachhaltetrank schneller hatte eintreten lassen hatte und sie daher ihre zwanzig Stunden Schlaf schneller nachgeholt hatten.

Mit unerbittlichen Nachfragen bei den Heilern konnte Severus rekonstruieren, dass ungefähr zeitgleich mit seiner ... Heilung, all die anderen Betroffenen ebenfalls ihr Gedächtnis wiedererlangt hatten und bereits damit begonnen wurde, die Schule wiederzueröffnen, das Chaos der letzten Wochen zu beseitigen und die Schüler und Eltern über den aktuellen Stand zu unterrichten.

Nachdem er dies erfahren und sich davon überzeugt hatte, dass es Beth gutging, die immer noch schlief, war er in der Sekunde aus dem Krankenhaus verschwunden, in dem er seinen Zauberstab wiederbekommen hatte. Er war zum Schloss gehastet und hatte die anderen unterstützt, wo er nur konnte. Vor allem hatte er sich versichert, dass der Zauber wirklich erloschen und der Gang verschwunden war und hoffentlich die nächsten Jahrzehnte nicht mehr auftauchen würde. Es dauerte keine drei Stunden, bis Beth ebenfalls auftauchte und sich über die Fürsorglichkeit der Heiler beschwerte, was Severus bei der Erinnerung an ihren entrüsteten Tonfall selbst jetzt noch ein Lächeln entlockte. Danach hatte sie sich ebenfalls ohne Umschweife in die Arbeit gestürzt und sie schien nicht gewillt, das Geschehene mit ihm zu besprechen. Was ihm im Innern ganz recht war, denn er hatte zu vieles, was ihm im Kopf herumging.

Es dauerte zwei Tage, bis alle Schüler wieder in der Schule waren und ganz langsam der Alltag wieder einkehrte. Es war ein ungewohntes Gefühl, nach den Wochen der Stille wieder Lachen durch das Schloss hallen zu hören. Die Bilder plauderten unermüdlich mit jedem der vorbeiging, als ob sie die Tage der Apathie ausgleichen müssten. Auch Albus war zu Severus' innerlicher Erleichterung wieder ganz der Alte und dankte ihm dafür, dass er geholfen hatte, die Schule zu retten. Aber natürlich musste der Meister der Zaubertränke seinen Ruf waren und so begegnete er dem Dank mit Sarkasmus und drückte sein Bedauern aus, dass der alte Mann nicht einfach weiterhin so schön ruhig bleiben konnte, wie er es in den Wochen des Gedächtnisverlustes gewesen war.

Nachdem alles wieder seinen geregelten Gang ging, wandten sich Severus und Beth wieder ihrer Forschung zu. Beths Eingebung, dass der Trank über die Mundschleimhäute aufgenommen werden müsste, hatte sich als außerordentlich hilfreich erwiesen und nach einer Woche hatten sie den Trank soweit modifiziert, dass sie eine zweite Testreihe starten wollten. Remus hatte den Trank vor vier Tagen erneut eingenommen und alle warteten jetzt gespannt auf den Vollmond, der bald kommen würde. Aber im Grunde war Severus war überzeugt, dass der Trank dieses Mal funktionieren würde und Remus ein Leben ohne den Werwolf in ihm würde führen können.

Um den Liebsten zu schützenWhere stories live. Discover now