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Irgendwann waren auch Kadir und Gyth verschwunden, um sich ihren alltäglichen Aufgaben zu widmen. Es war Nachmittag und Faith wusste nicht, ob ihr Training heute schon begann oder erst morgen. Sie hatte auch keine Ahnung, was sie jetzt tun sollte. Und da wäre noch der Dolch... der hoffentlich immer noch unter Kadirs Kissen lag - unentdeckt. Sie lief aus der Halle und streunte einfach planlos in dem großen Raum mit der hohen Decke herum, der an alle Gänge, Räume und Treppen grenzte. Das war eindeutig das Zentrum. Plötzlich lief ein Mädchen auf sie zu. Es hatte fröhliche, bernsteinfarbene Augen und glatte, schwarze Haare. Ihr Teint und ihre Gesichtszüge ließen vermuten, dass sie asiatische Wurzeln hatte. "Du musst Faith sein! Ich bin Zoé. Komm, ich zeige dir wo unser Zimmer ist. Gyth hat mir gesagt, dass du uns zugeteilt wurdest." Voller Eifer nahm das Mädchen Faiths Handgelenk und zog sie hinter sich her. Vollkommen überrumpelt folgte Faith ihr. Zoé lief quer durch die Halle und dann irgendwann eine kleine Treppe nach unten. Hier führte ein Gang nach links und einer nach rechts. Zoé lief mit Faith nach rechts. "Links sind die Jungszimmer - bevor du in ein Schlamassel gerätst." Zoé grinste breit und öffnete die Tür zu einem der Räume. Zoé selbst trug eine schlichte Robe aus braunem Leder. Auch sonst war ihre Kleidung in diesem dezenten Ton gehalten. Faith erkannte an ihr einige Waffen, die sie aber noch nie gesehen hatte. Gut, manche, die sie selbst bei sich trug, kannte sie auch nicht... Neugierig sah Faith sich um, nachdem Zoé die Tür geschlossen und sich auf ihr Bett gesetzt hatte. Erwartungsvoll beobachtete sie die neue Mitbewohnerin. Hier standen vier Betten, zwei davon schienen besetzt zu sein. Es gab keine Fenster und natürlich nur graue Steinwände und Öllampen als Lichtspender. Die zweite Mitbewohnerin schien nicht hier zu sein. Und die Betten waren eher platzsparend gebaut und nicht gerade luxuriös. Fragend sah Faith zu Zoé. "Wo ist die andere?" Zoé zuckte mit den Schultern. "Du meinst Elora? Die kommt sicher bald, so wie ich sie kenne...", murmelte sie und gerade als Faith sich vorsichtig auf eines der freien Betten niederließ stürmte Elora auch schon herein. Sie schien im Gegenteil zu Zoé von eindeutig wilderer Natur zu sein. Ihre zerzausten, schwarz-braunen Haare reichten ihr bis zum Kinn, weiter nicht. Das Mädchen trug eine graue Robe mit ein wenig braunem Leder - Schuhe und Manschetten - und einem grünen Umhang, der ihren Rücken bedeckte. Sie knallte die Tür zu und setzte sich mit wütend funkelnden, blauen Augen im Schneidersitz auf ihr Bett. Sie verschränkte die Arme und starrte stur geradeaus. "Wieder Streit mit deinem Mentor?", fragte Zoé seufzend und spielte an einem Lederriemen herum, der an ihren Stiefeln befestigt war. Elora schüttelte knapp den Kopf, sodass ihre kurzen Haare hin- und herflogen. "Dem bin ich doch egal. Streit mit Aed trifft es eher." Faith musterte Elora mit schief gelegtem Kopf. Die beiden - oder zumindest Elora - kannten Aed. Zoé zögerte und deutete dann auf Faith. "Übrigens, wir haben eine neue Mitbewoh..." Sie wurde von Elora unterbrochen. "Natürlich habe ich gesehen, dass wir eine neue Mitbewohnerin haben. Der Haltung des Kopfes nach zu urteilen aus eher reicheren Verhältnissen, vermutlich aber ohne Vater, Bruder oder Onkel da sie ihre Shuriken fälschlicherweise rechts angebracht hat", redete Elora in einem Stakkato ohne Punkt und Komma herunter und warf kurz einen eher überheblichen Blick auf Faith. Dann starrte sie wieder den Punkt an der Wand gegenüber an und stützte ihr Kinn auf ihre aneinandergelegten Handflächen. Ihre Ellenbögen stützte sie dabei auf ihren Oberschenkeln ab. Dann sah sie so aus als würde sie nachdenken. Stirnrunzelnd wandte Faith sich an Zoé. "Ist die immer so?" Zoé nickte. "Es sei denn sie ist krank. Aber das ist so brilliant! Sie ist schlauer als viele hier im Hauptquartier und sogar manchen Meistern im Wissen über Strategie überlegen." Zoé quiekte fast schon vor Freude und warf kurz einen Blick auf Elora, die sich nicht mehr bewegt hatte. "Und - was ist mit Aed?", wollte Faith mit vorsichtigem Ton wissen. Zoé öffnete den Mund, aber da redete Elora schon wieder los. "Aed ist ein verlogener, kleiner Idiot der nur davon träumt, sich an den Großmeister ranzuschleimen und sich nicht um mich oder andere Mädchen kümmert." Trotzdem starrte sie immer noch den unsichtbaren Punkt an der Wand an. Nur ihr Mund hatte sich bewegt. Faith seufzte. Würde das nun immer so weitergehen? Während Elora weiter die Wand anstarrte stand Zoé seufzend auf. "Ich muss schnell noch etwas... nachsehen", erklärte sie kurz und verschwand dann durch die Tür nach draußen. Da Elora nicht geistig anwesend zu sein schien konnte Faith sich mit ihren eigenen Gedanken befassen. Irgendwie musste sie an Aeds Dolch kommen. Was würde Kadir bloß denken, wenn er einen Dolch unter seinem Kopfkissen fand? Nachher würde er Aed noch mit dem Tod bestrafen, weil er dachte, es sei eine Todesdrohung an den Großmeister. Oder er würde ihn Aed zurückgeben und der würde dann denken, Faith hätte ihn geklaut oder - noch schlimmer - ihn als eine Art 'Kuscheltier' behalten! Okay, also wie kam sie an diesen Dolch heran? Wahrscheinlich durfte man nicht einfach so in das Gemach des Großmeisters spazieren. Sie musste irgendeinen Vorwand finden, um mit Kadir sprechen zu können. Und dann irgendwie an den Dolch kommen... Ach, das war so heikel! Selbst wenn sie einen Vorwand fand - wie sollte sie dann unbemerkt an den Dolch kommen? Plötzlich trat Zoé wieder ein. Sie wirkte etwas zerstreuter als gerade eben noch. Trotzdem sah sie Faith mit leuchtenden Bernstein-Augen an. "Ich soll dich zu Cade bringen", verkündete sie und schien stolz darauf zu sein. Seufzend stand Faith auf. Man hörte kurz ein missmutiges Geräusch von Elora, als Faith ihr den Blick auf die Wand versperrte. Die beiden Novizen traten auf den Gang. "Bist du eigentlich schon lang Novizin?", wollte Faith wissen. Da Elora ja kaum soziale Zuneigung zeigte würde sie sich wohl mit Zoé anfreunden müssen. Dabei war sie ihr eigentlich viel zu lebhaft und naiv... Zumindest wirkte sie so auf Faith. Zoé schüttelte den Kopf. "Ich bin erst seit Kurzem Novizin - amit-amit", antwortete sie und Faith sah sie schief an. "Was?" Zoé sah sie nun fragend an. "Ich bin erst seit Kurzem Novizin", wiederholte sie stirnrunzelnd. "Nein, nein. Das andere." Was hatte Zoé gesagt? Ami-dingsda. Zoé zog kurz fragend eine Augenbraue hoch, dann atmete sie auf als hätte sie es nun verstanden und grinste. "Tut mir Leid. Habe ich etwa wieder indonesisch gesprochen?", wollte sie breit lächelnd wissen. Die beiden liefen nun die Treppe nach oben zurück ins Zentrum. Faith zuckte mit den Schultern. "Wahrscheinlich. Ja...", erwiderte sie nur und sah sich nach ihrem neuen Mentor um. Sie erkannte Cade in einiger Entfernung. Er kehrte ihr den Rücken zu und hatte die Arme verschränkt. Faith sah, dass er mit Heath diskutierte, die ihm gegenüberstand und ab und zu einige schnelle Worte sprach. Dabei sah sie ganz und gar nicht amüsiert aus. Als Cade Faith bemerkte verabschiedete Zoé sich und verschwand wieder dorthin, wo sie hergekommen waren. Cade sprach noch ein paar kurze Worte mit Heath, dann wandte er sich von der wütend wirkenden Ärztin ab und lief auf Faith zu. Fing er heute schon an mit dem Training? Oder wollte er nur etwas besprechen? Sie wusste immer noch nicht, wieso gerade Cade ihr Mentor werden musste... Okay, Kadir hatte einen Grund genannt. Aber den nahm sie ihm nicht ab. Er wirkte viel zu bedacht dafür. Fragend sah sie ihrem Mentor entgegen. Er trug nicht all seine Waffen bei sich. Kurz musterte der Meisterassassine sie, dann zuckte sein Mundwinkel kurz nach oben. Wieder so ein komisches Lächeln... "Dein Beutel hängt auf der falschen Seite", erläuterte er mit amüsierter Gleichgültigkeit. Faith tastete nach ihrem Beutel mit den Shuriken. Richtig, davon hatte Elora geredet... Schnell hängte sie ihn sich auf sie andere Seite. Cade nickte. "Folge mir", wies er sie dann an und lief dann nach einer eleganten Rechtsdrehung fort. Faith hielt Schritt. Cade stieg eine Treppe am linkem Teil der Wand hoch und irgendwann kamen die beiden in einen Gang, der eher wieder einer Höhle ähnelte. Nur noch selten hingen Fackeln an der Wand und als die Höhle einen Knick machte erkannte Faith in einiger Entfernung einen Ausgang, durch den Tageslicht hereinstrahlte. Cade hielt auf den Ausgang zu und trat nach draußen ins Freie. Faith folgte ihm. Es dauerte kurz, bis ihre Augen sich an das helle Licht der Nachmittagssonne gewöhnt hatten. Dann sah sie sich um. Sie stand auf einem Erdboden, auf dem hier und da noch ein paar Grasbüschel übrig waren. Sie blickte hinter sich. Ein schmales, schwarzes Loch wies auf einen Höhleneingang hin. Drum herum wuchsen dichte Sträucher und Büsche, in deren Ästen noch das letzte Grün zu sehen war. Die Novizin sah sich nach Cade um. Der war inzwischen weitergelaufen und stand nun an einem Abhang. Faith trat neben ihn. Sie standen am Rand des Plateaus, zu dem der Höhlenausgang führte. Vor ihnen fiel der Berg steil ab und zeigte nur karge Steinwand. Doch von hier aus hatte man einen unglaublichen Ausblick. Vor ihnen umringte der dichte Nadelwald den großen Berg, in dem das Hauptquartier lag. Weiter links und etwas vom Nadelwald entfernt erkannte Faith das Dorf. Dort sah man reges Treiben, viele Dorfbewohner wuselten wie Ameisen auf den Straßen umher und ab und zu blitzte eine Rüstung im goldenen Licht der Sonne auf. Die Sonne selbst bewegte sich inzwischen wieder langsam aber sicher auf den Horizont zu. Sie bescheinte die endlos wirkenden Wiesen und Felder rings um das Dorf, dessen Pflanzen im für den Herbst einigermaßen warmen Wind sanft hin- und hergeweht wurden. Und am Horizont - war das etwa Synva? Faith dachte, die hohen Stadtmauern im Sonnenlicht leuchten zu sehen, wie an dem Tag an dem sie von dort geflohen war. Ja, das musste die Hauptstadt sein. Cade brach das Schweigen. "Wir treffen uns morgen bei Sonnenaufgang hier, ja?" Faith nickte stumm. "Gut. Dann bis morgen." Er wandte sich gerade zum Gehen um als er sich nochmal zu Faith umdrehte. "Ach, und ich glaube Kadir wollte dich sprechen", ergänzte er noch, dann verschwand er endgültig in der Höhle. Faith hatte sofort wieder ein mulmiges Gefühl im Bauch. Oh nein, hoffentlich hatte er den Dolch nicht entdeckt! Sie ließ zur Beruhigung nochmal ihren Blick über die Aussicht schweifen, dann trat sie ebenfalls wieder den Weg durch die Höhle an. Schon nach Kurzem hatten sich ihre Augen wieder an das dunklere Licht gewöhnt. Jetzt musste sie nur zurück zum Zentrum finden. Von dort aus wusste sie ungefähr, wo das Gemach des Großmeisters lag. Sie lief bis zum Ende des Ganges und sah dann auch schon die Treppe, die nach unten führte. Gut, dann würde sie den Weg morgen auch finden. Das war irgendwie beruhigend. Nun wandte sie sich in Richtung Kadirs Gemach und fand auch irgendwann den Gang, in dem der Raum lag. Sie klopfte an. Kurz hörte man Geräusche, dann öffnete Kadir die Tür. Er trug seine Kapuze, aber als er Faith erkannte zog er sie ab und lächelte. "Komm doch rein", bat er sie und trat zur Seite. Faith lief in den Raum. Kadir schloss die Tür und deutete auf's Bett. Kurz befürchtete Faith Schlimmes, dann bot Kadir ihr aber an, sich dort zu setzen. Schon wieder zitterten ihre Hände leicht während sie sich auf dem weichen Bett niederließ. Viel weicher als das in ihrem Zimmer. Sie sah zum Kissen. Es war aufgeschüttelt worden! Verdammt! Sofort sah sie nervös zu Kadir. Der griff gerade hinten an seinen Gürtel um etwas hervorzuziehen. Mit einem wissenden Grinsen hielt er Aeds Dolch hoch. Faith starrte die Waffe erschrocken an und dann in Kadirs lächelndes Gesicht. "Vielleicht willst du Aed seinen Dolch wiedergeben?" Er drückte der Novizin die Klinge in die Hand. Die steckte sie schnell weg und sah den Großmeister mit schiefgelegtem Kopf an. "Das ist nicht der Grund, weshalb Ihr mich sprechen wolltet, nicht wahr?", wollte sie dann wissen und war froh, dass Kadir so ein freundlicher Mensch war. Der Großmeister nickte nun und wirkte dabei viel ernster. Faith fiel auf, dass nun nichts mehr im Zimmer auf Tageslicht schließen ließ. Kadir setzte sich auf einen Stuhl, der neben einem hölzernen Schreibtisch stand. Auf dem Tisch lagen ein paar Pergamente, ein Tintenfass in dem eine Feder steckte und eine rötliche Kerze, deren Flamme ab und zu flackerte. Erwartungsvoll sah Faith ihr Gegenüber an. "Die Templer haben dich nach einem Amulett gefragt, richtig?", hakte er nun nach und sah Faith mit einer Ernsthaftigkeit an, die sie nicht von ihm erwartet hätte. Sie nickte nur. "Wisst Ihr etwas darüber?" Kadir schwieg kurz nachdenklich, dann schüttelte er seufzend den Kopf. "Nicht viel. Und ich möchte, dass du herausfindest, was es mit dem Amulett auf sich hat." Faith sah ihn mit entgeisterter Miene an. "Aber ich habe doch keinerlei Anhaltspunkte!" Kadir schüttelte kurz den Kopf. "Doch. So viel weiß ich: Das Amulett hat mit deiner Familie zu tun. Insbesondere mit deinem Vater. Und... Sollte es den Templern in die Hände fallen..." Faith unterbrach ihn. "...ist die Welt verloren?" Kadir grinste einen kurzen Moment lang halbherzig. "Nun, so etwas in der Art, ja" Er musterte Faith kurz. "Ich habe deinem Vater versprochen, nichts zu erzählen - aber er war ein guter Mann, Faith. Und du ähnelst ihm so sehr." Mit diesen Worten stand er wieder auf und legte eine Hand auf den Türknauf. Doch Faith war noch nicht bereit zu gehen. "Kadir?" Der Großmeister drehte sich um. "Was ist noch?" Faith legte sich ihre Worte zurecht. "Kennt Ihr den Grund, wieso Cade so - naja, unfreundlich ist?" Sie sah den Mann vorsichtig an. Der atmete hörbar aus und sah Faith direkt in die Augen. "Nein. Ich weiß es nicht. Er ist schon so seit er hier ist", antwortete Kadir ernst und öffnete dann die Tür. Da draußen viele Personen durch den Gang liefen war es Faith nicht mehr möglich, weitere Fragen zu stellen. So nickte sie nur demütig, wie man es in der Gegenwart des Großmeisters tat, und trat auf den Gang. Gerade wollte sie wieder zu ihrem Zimmer gehen, als Kadir doch noch sprach. "Und Faith... Sei vorsichtig. Nicht jeder ist der, der er zu sein scheint." Faith drehte sich verwirrt um, doch Kadir hatte die Tür schon geschlossen. Kurz blieb die Novizin stehen. Was hatte er damit gemeint? Vielleicht würde sie irgendwann eine Antwort darauf bekommen. Jetzt wollte sie sich aber erstmal ausruhen. Sie war den ganzen Tag auf Trab gewesen. Einkleiden, Zeremonie, Zimmergenossinnen kennenlernen, mit Cade zu diesem Aussichtspunkt gehen, das Gespräch mit Kadir... Dieses Gespräch war nicht wirklich aufschlussreich gewesen. Es warf eher mehr Fragen auf. Während sie zurück zum Zimmer lief machte sie sich Gedanken über den Dolch. Kadir hatte recht, sie sollte Aed den Dolch zurückgeben. Wenn sie Glück hatte wussten Zoé oder Elora, wo Aed war. Sie kam in den Gang, in dem die Tür zu ihrem Zimmer war. Vorsichtig spähte sie in den linken Gang. Kein Aed zu sehen. Innerlich seufzend betrat Faith ihren Raum und sah, dass Elora sich anscheinend kein Stück bewegt hatte, seit sie fort war. Zoé schien momentan nicht anwesend zu sein. Faith setzte sich auf ihr Bett und legte ein paar Waffen ab. Nur die Dolche und die Messer behielt sie. Fragend sah sie zu Elora. "Wo ist Zoé?" Elora antwortete, ohne ihren Blick von der Wand abzuwenden. "Sie ist auf einer Nachtmission. Wird wahrscheinlich erst morgen wiederkommen", erläuterte sie in einem neutralen Ton. Dann sah sie stirnrunzelnd Faith an und musterte sie. "Was willst du fragen?" Die Novizin sah überrascht auf. Woher wusste sie das nun wieder? "Ich... Weißt du wo Aed ist? Ich will ihm ... was zurückgeben", stellte Faith dann ihre Frage. Elora musterte sie nochmal kurz. Dann nickte sie und setzte sich gerade hin, während sie tief einatmete. "Also... Aed müsste wieder beim Nox Pugnat sein." Faith sah die Novizin fragend an. "Kennst du nicht? Das sind Kämpfe, die die Novizen untereinander organisieren - und zwar geheim weil es illegal ist. Trotzdem tun sie's. Nachts." Elora zuckte mit den Schultern. Faith nickte nur langsam. Okay, also kämpften die Novizen nachts illegal gegeneinander - zur Unterhaltung?! Aber wenn sie Aed dort fand... Warte - wusste Gyth etwa von diesen Kämpfen? Immerhin hatte sie gestern erwähnt, dass Aed wohl nicht so viel schlief. Und diese Kämpfe fanden immer nachts statt. "Weißt du, wo die Kämpfe stattfinden?" Faith stand, während sie das fragte, auf und befestigte ihr Ninjatō wieder links an ihrem Ledergürtel. Elora stand nun ebenfalls auf, bei ihr wirkte es aber schon geschmeidiger als bei Faith. "Ja, ich weiß es. Komm." Elora nahm ihr Langschwert mit. Während sie aus dem Zimmer lief steckte sie es in dessen Halterung und sah sich auf dem Gang rechts und links um. Dann lief sie nach rechts. Nach rechts? Da ging es nicht zur Treppe... "Wie lange bist du schon Novizin?", fing Faith ein Gespräch an und folgte ihrer Mitbewohnerin, die es ziemlich eilig zu haben schien. "Ein Jahr, drei Wochen und vier Tage." Faith hatte nicht mit einer so konkreten Antwort gerechnet. Verblüfft folgte sie Elora weiter, die am Ende des Ganges durch eine Tür lief. Über ein Jahr?? Elora blieb in dem Raum stehen und griff nach einer Fackel, die dort hing. Der Raum war leer, fensterlos und besaß nur eine Tür - nämlich die, durch die sie gekommen waren. "Wie lang geht denn eine Ausbildung?" Während Elora anfing, die Wände abzutasten, antwortete sie: "Die Grundausbildung geht 2 Jahre. Ist der Mentor der Meinung, man ist noch nicht bereit, Assassine zu werden, wird die Ausbildung verlängert. Will man sich in etwas bestimmten Trainieren, zum Beispiel Spionieren, wird die Ausbildung ebenfalls verlängert. Im Gegenteil dazu, wenn man ein Naturtalent ist und schnell lernt kann es sein, dass man schon vor dem Abschluss der 2 Jahre zum Assassinen wird. Das kommt aber geschätzt nur alle paar Jahrhunderte vor." Faith verarbeitete ihre lange Antwort erstmal, dann hörte sie plötzlich ein Geräusch von schabendem Stein und sah auf. Elora hatte in der Wand auf eine der Steinfliesen gedrückt, nun schwang schwerfällig und von einem unsichtbaren Mechanismus angetrieben eine Tür auf und gab die Sicht auf einen kleinen Höhleneingang frei. Elora lächelte Faith mit einem fast schon arroganten Lächeln an und lief in die Höhle hinein. Hinter ihnen schloss sich die Tür wieder mit demselben schabenden Geräusch. Der Gang war niedrig und eng, sodass die beiden leicht gebückt hintereinander laufen mussten. Die einzige Lichtquelle in der dunklen Höhle war Eloras Fackel. Sie mussten nicht lang laufen, da sahen sie schon den Ausgang. Man erkannte das Licht flackernder Fackeln, hörte laute Rufe und ab und zu das Geräusch aufeinandertreffender Klingen. Außerdem, bemerkte Faith, wurde es immer kühler. Führte der Gang etwa nach draußen? Kurze Zeit später traten die beiden Novizinnen wirklich ins Freie. Es war eine kleine Lichtung, umringt von dichtem Dickicht und hohen Tannen. Man konnte diesen Platz wohl nur über die Höhle erreichen. Am Himmel erkannte man, dass die Sonne gerade ihre letzten Strahlen über die Erde sandte. Sogar ein paar Sterne waren schon zu erkennen. Es standen geschätzt um die 20 Novizen im Kreis um eine runde, mit Fackeln abgesteckte 'Arena', deren Boden aus Sand bestand. Das Publikum feuerte ihre Favoriten an und bemerkte die beiden nicht, während sie sich den Anwesenden näherten. "Wetten sie?", fragte Faith im Flüsterton. "Ja. Um das Geld, dass sie von Dorfbewohnern geklaut haben und um Waffen." Für Elora schien das selbstverständlich zu sein. Sie suchte sich einen Weg durch die ganzen Leute und stand irgendwann am Rand der Arena. Das einzige, was den Rand des Kampfplatzes andeutete, waren eben der Sand und die Fackeln. Elora steckte ihre Fackel dort ebenfalls in den Boden und beobachtete mit verschränkten Armen den Kampf. Faith gesellte sich zu ihr und sah sich etwas unsicher nach Aed um. Sie sah ihn nirgendwo. Das Mädchen wandte den Kopf vom Publikum ab und sah Elora zweifelnd an. "Wo ist Aed? Ich sehe ihn nicht..." Elora lächelte kurz ironisch und deutete mit einem kurzen Wink auf die Kämpfenden. Mit großen Augen folgte Faith Eloras Geste und erkannte Aed, der gerade gegen einen Novizen mit kurzen, braunen Haaren kämpfte. Elora schüttelte ab und zu den Kopf und murmelte etwas von wegen "...sollte mehr auf seine Deckung achten..." und "...was für ein unbedachter Schritt...". Ob sie damit Aed meinte, war nicht sicher - aber da sie Zoé ja von ihm erzählt hatte war das nur wahrscheinlich. Irgendwann war der Kampf vorbei. Zu Faiths Verwunderung hatte Aed verloren. Er lief vom Platz und setzte sich auf einen Baumstamm in der Nähe, wo er sich mit einem Tuch den Schweiß vom Gesicht wischte. Elora lief zu ihm, Faith folgte ihr einfach. "Seit wann verlierst du denn?", fragte Elora spöttisch und grinste ihn überheblich an. Als Aed sie sah lachte er kurz kraftlos auf. "Du bist mir immer noch böse, nicht wahr?" Faith kam näher und musterte Aed. Er trug immer noch den Verband, am Kinn und an der Schulter hatte er aber nun neue Wunden. Zum Glück sahen die nicht allzu schlimm aus. "Oh, Faith..." Aed wirkte überrascht. "Was machst du denn hier?" Er sah sie mit fragend hochgezogener Augenbraue an. Faith biss sich unauffällig auf die Unterlippe und zog seinen Dolch hervor. "Ich habe vergessen, dir deinen Dolch zurückzugeben", nuschelte sie entschuldigend. Aed sah sie kurz erstaunt an, dann nahm er den Dolch in die Hand. Er warf ihn probeweise in die Luft und fing ihn wieder auf. "Danke", meinte er dann lächelnd, stand auf und steckte die Waffe weg. "Wie ist es so mit Cade als Mentor?" Faith wurde sofort wieder ernster und zuckte mit den Schultern. Aed seufzte. "Mein Beileid", murmelte er und wuschelte Faith kurz durch die Haare. "He!", beschwerte sie sich und versuchte, ihre Frisur wieder in Ordnung zu bringen. Okay, Frisur konnte man nicht sagen. Sie trug ihre Haare meistens offen, sie machte sich höchstens mal einen Pferdeschwanz. Aed grinste und tastete kurz nach seiner Wunde an der Schulter. Dann lächelte er Elora herausfordernd an. "Ich kann noch eine Runde. Lust auf einen Kampf?" Elora nickte mit einem entschlossenen Lächeln. "Du wirst auch dieses Mal nicht gewinnen, Aed." Die beiden liefen auf die Arena zu, in der sich gerade ein rothaariges Mädchen und ein Junge, der seine Kapuze aufhatte, duellierten. Faith blieb nachdenklich zurück. So setzte sie sich einfach auf den Baumstamm und dachte nach. Sie war froh und erstaunt darüber, dass Aed nicht böse gewesen war. Aber umso besser... Sie hatte jetzt andere Sorgen. Wie kam sie an Informationen über ihren Vater?

Red SnowWhere stories live. Discover now