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Faith wurde grob geweckt. Der scheppernde Klang von Gitterstäben, die mit etwas angeschlagen wurden, rissen sie aus dem Schlaf. Müde öffnete sie die Augen. Sie hatte erstaunlich gut geschlafen dafür, dass der Boden schrecklich unbequem war und ihr heute der Tod drohte. Sie sah aus der Zelle hinaus. Im ständigen Halbdunkeln erkannte sie eine Wache, die mit ihrem Schwert gegen die Gitterstäbe geklopft hatte. Faiths Blick wanderte zu Ríona. Ihre Mutter sah ebenso müde aus, jedoch gleichzeitig auch angespannt. Faith war ruhig. Jedenfalls fühlte sie sich ruhig. Sie rappelte sich auf und streckte sich etwas, die Nacht auf dem Boden hatte mehr Nachteile als Vorteile. Ihre Mutter saß weiterhin mit glanzlosem, leerem Blick auf der Pritsche. Einer der Wachmänner schloss die Tür auf. Faith hatte keine Angst vor dem, was passieren würde. Ihre Hoffnung, dass noch Assassinen lebten, die sie retten konnten, bestand nicht mehr. Wer hätte schon überleben können? Und wieso sollten sie ausgerechnet ihr helfen? Der Blick ihrer Mutter beunruhigte sie dagegen sehr. Es war, als hätte ihre Seele den Körper bereits verlassen. Templer traten in die Zelle, griffen nach ihnen und eskortierten sie hinaus. Sie führten sie wieder durch die dunklen, muffigen Gänge durch den Innenhof und das Tor aus der Sharra hinaus in Synvas Straßen. Faith sah sich um. Die Hauptstadt. Dort, wo die aufgewachsen war. Wenn sie hier starb, wäre das keine schlechte Sache. Schnee lag in den Straßen, bereits grau von Pferdehufen und Schuhsohlen. Alles war mit einer dicken Schicht Schnee bedeckt. Die Luft war eiskalt und klar. Es ging kein Wind. Die Luft ruhte. Atemwölkchen bildeten sich vor den Gesichtern der Männer und Frauen. Faith und Ríona wurden durch die Straßen geführt bis hin zu einem großen Platz. Faith kannte ihn. Doch noch nie hatte sie ihn so voller Menschen gesehen. Mann sah zuerst Leute in der Straße, dann welche auf dem Platz selbst. Alle standen gedrängt beisammen, mit dem Versuch, die Kälte zu bekämpfen. In der Mitte des Platzes erhob sich eine hölzerne, gut bewachte Plattform. Zwei hölzerne Pfähle ragten in den wolkenbehangenen Himmel, an jedem der Querbalken war jeweils ein Strick befestigt. Faith schluckte. Würde es schnell gehen? Sie wendete den Blick ab und musterte stattdessen die Menschenmenge. Es war still, obwohl es so viele waren. Nur ein allgemeines Flüstern lag in der Luft. Die Templer vor ihnen schlugen eine Schneise in die Menge, indem sie die Leute zurückdrängten und für den Trupp eine Gasse bildeten. Faith achtete auf die Mienen der Leute. Sie waren emotionslos und kalt, aber gleichermaßen auch voller Furcht und Trauer. Die Templer plagten dieses Land wie eine Seuche. Als sie die beiden Frauen die Stufen hochzwangen, kam ein leichter Wind auf. Faith atmete die reine Luft ein. Sie wurden vor jeweils einem der Stricke positioniert, den Blick auf die Schlaufe gerichtet. Zwei Templer blieben bei ihnen, um aufzupassen, dass sie nicht flohen. Einige Sekunden lang herrschte Stille. Die Menge hielt die Luft an. Faith ließ ihren Blick darüberschweifen. Dann betrat Alistair mit schweren Schritten die 'Bühne'. Ihm folgten einige gut gepanzerte Soldaten. Auch Aed betrat die Holzplattform. Er sah sich nur kurz mit kaltem Blick um und stellte sich dann rechts hinter Alistair hin. Der Lord warf einen Blick in die frierende Menschenmenge. Ein kurzes, überhebliches Lächeln in die Richtung der Assassine, dann wandte er sich mit Worten an die Bewohner der Stadt. "Menschen der Hauptstadt! Ehrbare Bürger! Heute dürft ihr Zeuge einer einmaligen Hinrichtung werden. Diese beiden Frauen bilden einen Teil der letzten Überreste der Assassinen..." Er machte eine Kunstpause und wartete die Reaktion der Menge ab. Was erwartete er? Jubel? Ein staunendes ohhh? Egal was er erwartete, er wurde enttäuscht. Stille hatte sich über die Leute gelegt, Stille würde Alistairs Worte begleiten und auch Stille würde das letzte sein, was Faith und Ríona hören würden. "Der ein oder andere möchte vielleicht denken, dass es Unrecht sei zwei Frauen am Galgen baumeln zu lassen. Doch ich sage euch: Sie sind alle verkommen! Männer, Frauen, Kinder... Alle die ihrem Orden angehören und alle, die ihn unterstützen! Beugt euch nicht! Wehrt euch!" Faith lachte innerlich auf. Sich beugen? Das taten sie bereits. Genau hier und jetzt. Der Lord fuhr noch fort, doch Faith schaltete bereits ab. Sie versuchte, das Gefühl herbeizurufen, das sie bei einem Todessprung fühlte. Sobald sie es gefunden hatte, prägte sie es sich ein und schloss die Augen.
"Faith. Wenn ich 'jetzt' sage - dann renn."
Faith riss die Augen auf und sah sich um. Wer...? Sie erkannte keinen Assassinen in der Umgebung. Keinen Verbündeten, keinen Freund. Wer war es dann gewesen? "Hörst du Faith? Schau nicht zurück!", flüsterte ihre Mutter, die es nutzte, dass beide Templer gerade fast schon ergriffen Alistairs Rede lauschten. Faith starrte ihre Mutter ungläubig an. "Und du?"
"Das ist nicht wichtig."
"Doch ist es!"
"Ich werde Gavin wiedersehen..."
"Mum..."
Ein grober Stoß brachte Faith zum Schweigen. Die Wachen hatten das Gespräch bemerkt und unterbrochen. Faith warf einem der beiden einen finsteren Blick zu, doch der Betroffene grinste nur ironisch, als er es bemerkte. Denn nun schoben sie sie weiter vor, weiter in Richtung Strick. "Jetzt!", rief Ríona. Im selben Moment drehte sie sich um, zog einem Templer das Schwert aus dem Gürtel und begann, sie zurückzudrängen. Noch für einen Moment wie erstarrt vor Überraschung und Schreck tat Faith, was ihr aufgetragen worden war. Sie rannte. Sie lief quer über die Plattform, sprang hinunter und drängelte sich durch die nun wogende Menschenmasse. Manche schrien erschrocken auf, andere hielten die Luft an. Jeder machte der Assassine Platz, als sie auf ihrem Weg hindurch Ellenbögen und Knie einsetzte. "Aed! Hol sie zurück!", schallte Alistairs keifender Befehl über den Platz. Der junge Templer nickte knapp und nahm sofort die Verfolgung auf. Faith erreichte den Rand der Menschenmenge und hastete direkt in eine Gasse, wo sie begann, die Wand hinaufzuklettern. Sie war müde, hungrig und durstig, aber das Adrenalin und der Überlebensinstinkt brachten sie dazu, das Haus in enormer Geschwindigkeit zu erklimmen. Sie rannte über das Dach, sprang auf das nächste, rollte sich ab und rannte weiter. Ihr Blick huschte suchend umher. Sie brauchte einen Weg aus Synva hinaus. Sie durfte nicht in einer Sackgasse oder an der Grenze eines Daches landen. Dann wäre die Flucht umsonst gewesen. Und Ríonas Opfer. Sie hatte keine Zeit, darüber nachzudenken, sie musste nur weiter. Ihre Beine trugen sie wie automatisch über die Ziegel der Dächer. Ein leises Klackern ihrer Stiefel war zu hören. In der Ferne hörte sie die Schritte von Aed. Er war ihr dicht auf den Fersen. Und er war bewaffnet. Sie hätte kaum eine Chance. Sie musste so entkommen.
Faith schlug so viele Haken, wie es ihr möglich war, wechselte die Richtung, änderte die Höhe, sprang manchmal hinab in einen Heuhaufen und rannte in der Straße weiter. Doch Aed blieb weiter an ihre Fersen geheftet. Wenn sie nicht durch den Galgen starb, dann vielleicht durch ihn... Wäre sicher ein helfenhafteres Ende. Sie würde sich wehren und ihm keine andere Wahl lassen als sie zu töten. Dann konnte er sie nicht zurück zum Galgen führen. Faith hastete weiter. Sie war wieder auf einem der niedrigeren Dächer. Ihre flinken Schritte wirbelten Schnee auf. Ihr Atem schien in der Luft zu gefrieren. Sie spürte, wie ihre Muskeln belastet wurden und wie die kalte Luft in ihrer Lunge stach. Doch sie rannte weiter. Sie konnte nicht stehenbleiben - dieser Gedanke trieb sie voran. Sie erreichte das Ende des Daches - mehr als ein Schuppen war es nicht - und setzte zum Sprung auf das gegenüberliegende Dach eines Stalls an. Gerade, als sie abspringen wollte, bohrte sich etwas schmerzhaft in ihr Bein. Sie schrie auf, knickte ein und fiel. Ihr Sturz dauerte nur einige Sekundenbruchteile, doch die Landung unten im Hof war alles andere als angenehm. Ihre Seite und ihr Arm pochte, die Wunde an ihrem Bein brannte und nur mit Überwindung konnte Faith sich wieder aufrappeln und den Wurfpfeil aus ihrem Unterschenkel ziehen. Sie ließ das blutige Wurfgeschoss in den blütenweißen Schnee fallen. Jetzt konnte sie nicht mehr wegrennen. Nicht effektiv genug. Aed sprang vom Dach und landete katzengleich vor ihr auf dem Boden. Er federte sich gekonnt ab und kam dann mit einem fast schon grausamen Grinsen auf sie zu. Im Laufen zog er seinen Säbel. Faiths Blick war finster, konzentriert und ernst. Sie wich einen Schritt zurück, suchte nach Möglichkeiten, ihn zu entwaffnen. Er zeigte eine Schwäche in der Deckung links. Doch als sie versuchte, ihn dort in einen fairen Kampf zu locken, blockte er mit der Handfläche, griff ihre Faust mit einem triumphierenden Grinsen und verdrehte sie schmerzhaft. Faith biss die Zähne zusammen, um nicht vor Schmerz aufzuschreien, der ihren Arm durchzuckte. Aed lachte auf, trat ihr in den Bauch und zwang sie so zu Boden. Faith fiel in den kalten Schnee. Erneut machte sich die Wunde am Bein bemerkbar. Sie unterdrückte einen weiteren Schmerzenslaut. "Hast du wirklich gedacht, du könntest einfach so abhauen?", fragte er mit kalter Stimme und richtete den Säbel auf sie. "Vielleicht. Alles ist besser, als von euch unterdrückt zu werden!" Wieder lachte Aed, es klang jedoch kein bisschen fröhlich. "Unterdrückt? Wir befreien die Menschen!" Dieses Mal lachte Faith. "Ja, red' dir das ruhig weiter ein", erwiderte sie trocken. Aed schwieg. Sein Gesicht war wutverzerrt. Jenes Gesicht, das Cade entstellt hatte. Das, das nun von einer breiten, hässlichen Narbe geziert wurde. "Das ist dein Ende, Assassine...", knurrte Aed und hob den Säbel zum Todesstoß. Faith hielt die Luft an und starrte auf die Klinge. Gerade als die herabsauste kniff sie die Augen zusammen, wartete auf einen stechenden Schmerz - doch alles, was sie vernahm, war das Geräusch von aufeinandertreffendem Stahl. Eine Klinge hatte Aeds Todesstoß abgehalten. Die Klinge eines Degens.
"Wie ich sehe meinst du es wirklich ernst mit dieser Templersache", spottete eine Stimme provokant, jedoch mit der natürlichen Kälte darin. Faith schnappte geräuschlos nach Luft. Es sah aus, als ob Cade den Schlag mit Leichtigkeit parierte. Doch sie erkannte auch, dass er verletzt war. Verdammt. Er würde verlieren. Das sah sie jetzt schon. Aber wieso lebte er überhaupt noch? Faith hatte gesehen, wie der Templer ihm die Klinge in die Brust gebohrt hatte. Wie der Schnee sich tiefrot gefärbt hatte. Wie er reglos dagelegen hatte. Wer hätte ihn retten können?
Aed zog seine Klinge zurück und nahm die Grundposition ein. Ein gehässiges Lächeln umspielte seine Lippen. "Ah, der verlorene Rächer kehrt zurück. Was für eine Freude, dem Lord die Köpfe von euch beiden bringen zu dürfen." Cade hob den Degen ebenfalls. "Diese Freude mache ich dir nicht."
"Das werden wir ja sehen..."
Aed lächelte immer noch siegessicher. Auch er hatte erkannt, dass Cade verletzt war. Anfangs parierten beide noch die eher Versuchen gleichenden Angriffe. Aed setzte auf eine Taktik, die Cade die Kraft nehmen sollte. Immer wieder setzte er zu kleinen Täuschungen, Angriffen und Finten an. Cade realisierte das jedoch ziemlich schnell und griff seinerseits nun gezielt und stark an. Er drängte Aed etwas zurück. "Übrigens, hübsche Narbe."
"Danke, das hab ich ja wohl dir zu verdanken."
Die beiden provozierten sich mit sarkastischen Kommentaren immer weiter. Faith lag immer noch im Schnee. Die Kälte betäubte sie, doch ihr Bein fühlte sich inzwischen an, als stünde es in Flammen. Nur mühsam konnte sie aufstehen, indem sie sich an einer Wand abstützte und das verletzte Bein so wenig wie möglich belastete. Ihr Augenmerk lag auf den beiden Kämpfenden. Es war eine alte Rivalität, soviel sie wusste. Schon bevor sie die beiden gekannt hatte. Aber besonders danach. Der Kampf bei den Nox Pugnat... Damals hatte Cade gewonnen. Doch nun war er eingeschränkt durch seine Verletzungen. Faith beobachtete den Kampf mit der Angst, jederzeit Cade fallen zu sehen. Doch er tat es nicht. Er parierte Angriffe, versuchte, Aeds Deckung zu durchbrechen und erwischte ihn sogar ein paar Mal, was Aed jedoch nur noch aggressiver machte. Seine Schläge wurden kräftiger, er kämpfte offensiver und zwang Cade immer mehr in einen verteidigenden Stil. Gerade durch Cades Verletzungen war Aed das ein Leichtes. Als er ihm einmal beinahe das Schwert aus der Hand schlug lachte er auf. "Du wirst heute sterben, Cade", prophezeite er seinem Gegner. Faith lehnte immer noch an der Hauswand. Sie hatte keine Waffe und war verletzt, wie konnte sie helfen? Sie beobachtete mit besorgtem Blick den Kampf. Die beiden jungen Männer wollten beide nicht aufgeben, denn der Tod des anderen war das Ziel. Faith zuckte zusammen, als der Kampf sich wieder etwas in ihre Richtung verlagerte. Sie fragte sich insgeheim, wann wohl Templerverstärkung eintreffen würde. Alistair würde sicher nicht lang warten. Aber sie wussten ja nicht, wo sie waren.
Immer wieder hallte das Geräusch von aufeinandertreffendem Metall durch den Hof, immer wieder hoffte Faith von Neuem, dass der nächste Hieb kein Todesstreich war. Sie beobachtete den Kampf nun mit aufgerissenen, konzentrierten Augen. Sie wollte es nicht mit ansehen, doch irgendetwas zwang sie dazu, den Blick nicht abzuwenden. Sie zitterte vor Kälte, doch sie bekam es kaum mit, genauso wie den Schmerz am Bein, der langsam etwas dumpfer wurde. Sie analysierte sogut wie jeden Kampfschritt der beiden, was sie anders gemacht hätte und wo Aed die Deckung vernachlässigte. Irgendeine Stimme sagte ihr, dass das war als sei Aed immer noch ein Assassine. Wie ein Trainingskampf. Und dass die beiden immer noch Brüder waren, Ordensbrüder. Dass sie sich vielleicht nicht leiden konnten aber tolerierten. Doch die Realität sagte etwas anderes. Assassine gegen Templer, bis auf den Tod. Egal was früher gewesen war. Wie lang kämpften sie nun schon? Einige Minuten? Faith sah, wie beide etwas müder wurden, etwas unvorsichtiger. Irgendwann würde einer der beiden verlieren. Und jede Sekunde rückte dieser Augenblick näher. Cade hatte Schwierigkeiten, die Deckung höher zu halten, da seine Wunde an der Schulter schmerzte. Aed war etwas untrainierter und kannte nicht allzu viele Tricks. Jedoch erkannte er seine Chance, als Cade zu einem kräftigen Schlag auf Aeds Waffenarm ausholte. Aed wich leichtfüßig aus, drehte sich zur Seite, suchte nach Cades Degen, der sein Ziel verfehlt hatte, und stieß diesen so kräftig zurück, dass Cade überrascht aufatmete, zurücktaumelte und dabei seine Deckung völlig verlor. Faith holte erschrocken Luft. Die Zeit schien für einen Moment stillzustehen. Aed, wie er ausholte, sein Schwert in Cades Bauch zu rammen, und Cade, der seinem Gegner nur entgeistert in die Augen starrte, mit der Frage darin, wie er ihn hatte besiegen können. Doch Faiths Geist wollte das nicht so enden lassen. Nicht heute, nicht auf diese Weise. Sie machte einen Satz nach vorn, ignorierte den stechenden Schmerz, der ihr Bein dabei durchfuhr, und stellte sich mit einem heiseren "Nein!" zwischen die Kämpfenden. Die Zeit lief wieder wie im Normaltempo. Faith bekam zuerst Aeds Blick mit, der Schock und Triumph gleichermaßen widerspiegelte, da sie in seine Richtung schaute. Dann kam der Schmerz. Ein unglaublich heftiger und starker Schmerz, den sie sich niemals hätte vorstellen können. Aed zog, aus seiner Schockstarre erwachend, sein Schwert zurück. Alles war still. Nichts und niemand machte ein Geräusch. Faith stand kurz nur mit glasigem Blick da, dann presste sie automatisch beide Hände auf die blutende Wunde an ihrem Bauch. Sie wankte etwas zur Seite, stand jedoch noch auf beiden Beinen. Sie starrte in die Ferne, spürte nur noch das unerträgliche Brennen. Cade starrte sie genauso wie Aed mit einem ungläubigen, entsetzten Blick an. Jedoch erkannte er seine Chance als erster, löste sich aus der Regungslosigkeit und griff Aed wieder an. Der Fehler hätte ihm nicht passieren dürfen. Er war unvorsichtig gewesen. Aed bemerkte es zu spät. Erst, als Cades Degen eine tiefe, klaffende Wunde auf dessen Brust hinterließ, schnappte er nach Luft und starrte Cade mit aufgerissenen Augen an. Blut lief in Strömen aus der Wunde, Aed fiel das blutige Schwert aus der Hand. Es landete mit einem dumpfen Geräusch im Schnee. Aed sackte auf die Knie, immer noch den ungläubigen Blick im Gesicht. Er sah Cade mit einem fast schon flehenden Blick an. Doch der Assassine erwiderte ihn nur kalt und warf den Degen weit weg. Er wollte nicht mehr kämpfen. Er trat näher an Aed heran und trat ihn zu Boden, ohne mit der Wimper zu zucken. "Du Ratte. Hast du wirklich geglaubt, du könntest damit durchkommen?", fragte er kalt. Aed lächelte matt. "Ich bin damit durchgekommen. Hast du wirklich geglaubt, du und deine Bruderschaft würden ewig überleben?" Cade schwieg verbissen und stellte sich vor Aed hin, um ihm in die grünen Augen sehen zu können, aus denen nun langsam das lebendige Funkeln verschwand. "Ich glaube immer noch daran." Aed lachte auf und spuckte etwas Blut auf den Boden. "Du bist verloren." Cade musterte den blondhaarigen Jungen feindselig. Er hatte schon immer geahnt, wer er war, doch nie hätte er erwartet dass sein Verrat so schwerwiegend sein könnte. "Cade, bring es hinter dich", bat Aed nun und sah den Assassinen flehend an. "Eigentlich sollte ich das nicht. Du verdienst keinen schnellen Tod. Aber das wäre gegen unsere Ideale..." Cade sah Aed nochmal finster in die Augen. "Letzte Worte?" Aed lächelte plötzlich wieder heimtückisch. "Ja. Du solltest dir Sorgen um dich machen. Dein Blut ist kein Assassinenblut." Cades Miene wechselte von kalt zu erschrocken. Was wusste er, dass er nicht wusste? Oder war es nur eine Lüge, um ihn zu verunsichern? Als Aed daraufhin nur gehässig lachte setzte Cade dem ein schnelles Ende, indem er ihm seine versteckte Klinge in den Hals stieß. Aed röchelte und gurgelte, dann kippte er zur Seite und blieb reglos liegen, während sein Blut den Schnee tränkte. Cade bedachte ihn mit einem letzten, hasserfüllten Blick, dann sah er sich nach Faith um. Sie war ebenfalls umgekippt und lag nach Atem ringend auf dem Boden. Ihre Hände waren von der stark blutenden Wunde abgerutscht. Auch bei ihr färbte sich der Schnee rot. Cade lief eilig zu ihr, kniete sich neben sie in den kalten Schnee und hob vorsichtig ihren Kopf. Er musterte sie besorgt. "Faith?" Sie hustete leicht und öffnete die Augen. Ihre klaren, hellblauen Augen blickten in seine. Es lag eine merkwürdige Ruhe in ihrem Blick. "Aed ist tot." Cade spürte einen Kloß im Hals. Sie würde doch nicht sterben, oder? Er hatte selbst gesagt, dass sie das letzte war, wofür es sich zu kämpfen lohnte. Faith lächelte schwach. "Du bist da. Das reicht mir." Cade lächelte daraufhin traurig und strich ihr eine blutverklebte Strähne aus dem Gesicht. "Du wirst wieder. Heath wird sich um dich kümmern..." Er strich ihr über die Wange. Ihre Miene erhellte sich. "Sie lebt? Cade, erzähl es mir!" Er sah neben sie auf den Schnee. "Sie leben alle, Faith. Ace, Elora, Heath, Vaughn, ...", begann er sie aufzuzählen und wirkte dabei so hoffnungsvoll. Faith schloss mit einem Lächeln die Augen. "Gut." Sie fühlte sich so kraftlos. Der Schmerz entzog ihr jegliche Energie. Das Blut kühlte sie durch den leichten Wind unglaublich aus, ließ sie leicht zittern, während die Wunde selbst und ihr ganzer Körper gleichzeitig zu brennen schien. Sie glaubte nicht an Cades Worte - sie glaubte nicht, dass sie es schaffen würde. "Faith? Bleib wach!" Die Assassine öffnete mühsam die Augen. Sie wollte nicht wachbleiben. Sie wollte endlich schlafen. "Du darfst nicht nachgeben!" Faith seufzte leise. "Cade, nein..." Der Meisterassassine musterte sie besorgt, fast schon ängstlich. Sie würde nicht sterben, nicht, solange er es noch verhindern konnte. Bei ihren Worten spürte er ein Brennen in den Augen. Was war das? Irgendwoher kannte er dieses Gefühl doch... er würde doch nicht etwa weinen? Nicht nach all den Jahren. Oder doch? Er spürte etwas seine Wange hinunterlaufen und senkte den Blick, damit Faith es nicht bemerkte. Doch sie tat es und lächelte erschöpft. "Ich hatte unrecht. Dich lässt doch nicht alles kalt. Cade, du hast ein Herz." Bei ihren Worten hob sie kraftlos die Hand und legte sie auf Cades Brust, dorthin, wo sein Herz lag. Ihre warme Stimme klang in Cades Ohren wie zersplitterndes Glas. Ihr Leben entglitt ihr. Und er würde sie nicht mehr lang festhalten können. "Ich liebe dich", murmelte er mit belegter Stimme, während eine weitere Träne ihren Weg aus seinen Augen fand. Faith lächelte immer noch. "Und ich liebe dich." Cade versuchte, seine Emotionen zu unterdrücken wie immer, doch es funktionierte nicht. Es war zuviel auf einmal. Er konnte nicht mehr. Es waren einfach zu viele von diesen verdammten Gefühlen. Er merkte, wie das Leben jede Sekunde weiter aus Faith hinausfloss. Er wollte das nicht wahrhaben. Das konnte nicht sein! Sie konnte ihn nicht hier zurücklassen! Nicht einfach so... "Cade, küss mich." Er blickte sie verwirrt an. "Wieso?" Faith verdrehte grinsend die Augen. "Tu es einfach." Cade zögerte kurz, beugte sich dann aber zu ihr hinunter und küsste sie. Wie vor ein paar Tagen in der Villa. Und es war jedes Mal etwas Besonderes. Faith erwiderte den Kuss, doch sie wirkte bei allem, was sie nun tat, schrecklich schwach. Das versetzte Cade einen Stich im Herzen. Und dann spürte er, wie Faith in seinen Armen endgültig zusammensackte. Cade hob den Kopf. Sie hatte die Augen geschlossen. In Cade stieg Panik auf, er tastete nach ihrem Puls. Doch da war keiner. Auch keine Atmung. Nichts. Er versuchte, seine Panik zu verdrängen, doch der Schmerz blieb. Der Schmerz des Verlustes. So viel hatte er in seinem Leben verloren. So viel hatte er opfern müssen. Und nun saß er hier im Schnee und hatte das wichtigste verloren, was er je gehabt hatte. Er hatte Faith verloren.

Red SnowWhere stories live. Discover now