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Faith trug ihre Kapuze noch und lief quer durch das Zentrum. Und plötzlich sah sie Aed. Er lief auf sie zu. Faith erstarrte. War er doch wütend? Nein, als er näher kam erkannte sie, dass er lächelte. Sie zog ihre Kapuze ab und blinzelte verblüfft. Wieso war er ihr schon wieder nicht böse? "Schön, dass du es rechtzeitig geschafft hast, Faith", begrüßte er sie strahlend und stellte sich neben sie. Er legte kurzerhand einen Arm um die Novizin und schob sie auf den Versammlungssaal zu. "Rechtzeitig? Rechtzeitig wofür?", fragte Faith immer noch etwas verwirrt und lief neben Aed her. "Na, für die Zeremonie." Aed lächelte während er mit Faith die Halle betrat und seinen Arm wieder sinken ließ. Da nun Nacht war halfen selbst Spiegel nichts mehr. Das weiße Marmor wurde nun durch einige Laternen und Kerzen erleuchtet wie der Rest des Hauptquartiers. Faith war wirklich erstaunt. Sie war rechtzeitig zur Zeremonie? Das war unglaublich! Ein Wunder! Aed tippte sie an. Verwundert wandte sie ihren Blick ihm zu. "Ich fragte: Wo willst du sitzen?", wiederholte der Novize die Frage, die er anscheinend gerade gestellt hatte. Die meisten Plätze waren bereits besetzt. Faith sah sich um. Auf dem Tisch standen Kerzen, sodass man die Anwesenden erkennen konnte, sofern sie keine Kapuze trugen. Das Mädchen entdeckte Heath. Ansonsten nur wenige bekannte Gesichter... Kadir und Eadgyth natürlich - aber die waren beschäftigt mit den Vorbereitungen. Sie diskutierten gerade etwas aus. Anscheinend war die Ernennung zum Assassinen doch nochmal etwas anderes. Außerdem waren da wieder Viola, Hakim und einige andere, die Faith von ihrer Zeremonie her kannte. Und - was sie überraschte - auch Cade. Er wirkte eher unbeteiligt und hatte seine Kapuze auf - trotzdem, es war eindeutig ihr Mentor. Letztendlich setzte Faith sich neben die Ärztin. Heath erkannte sie sofort. Faith wurde direkt scharf gemustert. Vermutlich suchte sie nach Verletzungen. Irgendwann sah sie Faith an. "Wie geht es der Hand?", fragte sie kurz angebunden. Die Ärztin wirkte im hellen Licht der Kerzen noch blasser und hellhaariger als sonst. Faith lächelte höflich. "Ganz gut." Heath nickte zufrieden und wandte ihren Blick nun Kadir zu, der in der Mitte der Tische stand. Sofort erstarben alle Gespräche und es wurde still im Saal. Alle Augen waren auf den Großmeister gerichtet. "Heute dürfen wir einen neuen Assassinen im Orden begrüßen. Aed, tritt vor." Der Novize trat zu Kadir und neigte kurz ehrerbietend den Kopf. Dann begann Kadir mit einer kleinen Zeremonie, in der besondere Erfolge von Aed genannt wurden und einige andere Informationen verkündet wurden. Außerdem wurde seinem Mentor die Frage gestellt, ob er wirklich der Meinung sei, dass Aed bereit wäre, wie es die Förmlichkeit verlangte. Irgendwann beendete Kadir seine Rede. Das sollte das Ende sein? So hatte es sich aber nicht angehört... Und es war anscheinend auch nicht das Ende. Alle Anwesenden erhoben sich von den Stühlen. Faith sah, wie Aed leicht nervös wurde, sich dann aber wieder beruhigte. Kurz trafen sich ihre Blicke, dann lief Aed mit Kadir aus dem Saal. Die anderen folgten ihnen. Faith lief neben Heath. "Wo gehen wir hin?", fragte Faith im Flüsterton. Heath sah sie nicht an. "Zum Turm", antwortete sie nur knapp. Und wirklich. Bald schon lief die große Gruppe eine breite Wendeltreppe aus Stein nach oben. Sie kamen auf ein großes Plateau, das die Spitze des Bergs bildete. Faith sah sich um. Was sollten sie denn hier tun? Das Plateau war flach und und hatte ein schwarzes Loch an einer Stelle - eine Höhle, die vermutlich senkrecht nach unten verlief. Man konnte nicht sehen was darunter war, besonders wegen der Dunkelheit. Es war schlichtweg ein schwarzes Loch. Die Anwesenden versammelten sich um das Höhlenloch herum. "Jeder wahre Assassine fürchtet den Tod nicht", verkündete Kadir mit lauter Stimme. "Nun, Aed. Zeige uns, dass du ein wahrer Assassine bist.." Faith bekam große Augen. Er musste jetzt nicht etwa... oder doch? Aed trat an den Rand der Höhle. Kurz stand er da - dann sprang er mit zur Seite gestreckten Armen hinein. Schon nach wenigen Sekunden war er von der Schwärze verschluckt worden. Verängstigt sah Faith zu Heath, aber die blieb gelassen. Die Anwesenden liefen wieder hinunter. Am Ende der Treppe wartete bereits Aed. Seine Haare sahen etwas verwuschelt aus und standen in alle Richtungen ab, aber er schien unverletzt zu sein. Faith atmete erleichtert aus. Musste das jeder machen, der Assassine werden wollte? Langsam nagten Zweifel an ihr. Das würde sie sich doch niemals trauen! Kadir sprach ein paar letzte Worte und Aed war nun offiziell ein Assassine. Mit einem freudigen Lächeln stand der neue Assassine da. Die Anwesenden verzogen sich nach und nach. Faith sah Aed beinahe schon fassungslos an. "Wie konntest du da nur runterspringen?", verlangte sie zu wissen und hatte dabei fast schon einen hysterischen Ton. Sie bemerkte den schrillen Klang ihrer Stimme und versuchte, sich zu beruhigen. Es war einfach zu viel für einen Tag gewesen... Training, der Ausflug in die Hauptstadt, die vielen neuen Informationen, der Brand, Aeds Zeremonie... Sie seufzte und sah Aed wieder an. Der hatte einen besorgten Blick aufgesetzt. "Ist etwas ... passiert?", fragte er nach und man hörte, wie Unsicherheit in seiner Stimme mitschwang. Faith sah ihn kurz einfach nur an. Sollte sie es ihm sagen? Oder doch lieber nicht? Sie fuhr sich müde über's Gesicht. "Ich... weiß nicht... Es ist einfach zu viel für mich." Faiths Blick wurde matt und glasig. Sie spürte die Müdigkeit nun erst recht. Und außerdem tat alles weh. "Komm, vielleicht hilft es, darüber zu reden." Aed zog abwartend eine Augenbraue hoch und sah Faith gleichermaßen ernst wie freundlich an. Konnte sie wirklich nein sagen? Naja, in gewisser Weise schuldete sie ihm ja etwas... Immerhin hatte er ihr mehr als einmal das Leben gerettet. Oder verzählte sie sich? Ihr Kopf fühlte sich so schwer an und das dämmerige Licht im Quartier machte sie nur noch schläfriger. Sie nickte müde. Aed sah nun wieder etwas beruhigter aus und lief mit Faith zum Speiseraum, der um diese Zeit vollkommen leer war. Sie setzten sich auf eine Bank und Faith legte erstmal ermattet ihren Kopf auf ihre Arme und atmete ein paar mal tief durch. Es war einfach zu viel passiert. Sie kam kaum hinterher. Aed sah sie von der Seite her stirnrunzelnd an und wartete schweigend. Nur die Fackeln knisterten ab und zu. Irgendwann hob Faith den Kopf und stützte das Kinn auf beiden Handflächen ab. Sie starrte geradeaus an die Wand. "Weißt du, wie es ist, seine Vergangenheit brennen zu sehen?", fragte sie tonlos und war selbst erschrocken über ihren Tonfall. Trotzdem wartete sie still auf Aeds Reaktion. Zu ihrer Verwunderung antwortete er. "Ja", erwiderte er nun fast genauso monoton und sah den Tisch vor sich an. "Mein Dorf ist abgebrannt als ich elf war." Faith sah ihn mit großen Augen an. Als er elf war? Das ganze Dorf? Und sie hatte ein schlechtes Gefühl wenn 'nur' das Haus abbrannte? Aed hob den Blick um ihren ernst zu erwidern. "Das tut mir Leid...", murmelte Faith nur und senkte den Blick wieder. Aed lächelte schwach. "Muss es nicht. Dadurch wurde mein Weg klarer. Es war eben Schicksal." Er sah die Novizin wieder besorgt an. Faith musste an das brennende Haus denken. Wie viel war verloren gegangen? Viele Wertsachen, auch von ideellem Wert... Erinnerungen an ihr früheres Leben. Zeichnungen aus ihrer Kindheit. Alle möglichen anderen Dinge die nun verloren waren. Während Faith daran dachte sammelten sich Tränen in ihren Augen. Nein, nicht weinen! Nicht vor Aed! Aber irgendwann sah sie nur noch verschwommen vor Tränen und sobald sie blinzelte flossen sie über ihre Wangen und tropften nach unten. Aed blieb still und beobachtete sie mitfühlend. Das hatte er auch alles schon einmal durchgemacht. Wie konnte er ihr helfen? Plötzlich spürte Faith, wie Aed sie sanft umarmte. Er drückte sie etwas und murmelte beruhigende Wörter in der Nähe ihres Ohres. Nach und nach hörte Faiths Körper auf, vor Schluchzen zu beben, und sie saß einfach nur noch müde gegen Aed gelehnt da und schloss die Augen. Sie genoss die Ruhe und die Wärme, die von Aed ausging. Er war ein guter Freund. "Wenn ihr dann mal fertig seid - darf ich dann mit Faith sprechen?", ertönte plötzlich eine kalte Stimme von der Tür aus. Erschrocken drehten sich beide um. Hinter ihnen stand Cade in der offenen Tür, die Arme verschränkt, die Kapuze aufgesetzt und mit einem grimmigen Ausdruck im Gesicht. Die beiden waren im ersten Moment total erschrocken. Dann sah Faith kurz Aed entschuldigend an und stand auf um zu Cade zu gehen. "Hm?" Cade musterte sie kurz scharf und sah sie dann direkt an. "Da Aed dich ja zu seiner Zeremonie eingeladen hat wirst du morgen wahrscheinlich kaum rechtzeitig zum Sonnenaufgang da sein. Wir treffen uns erst nach dem Mittagessen zum Training." Er sah sie nochmal finster an. Aeds Namen betonte er als sei der Assassine nichts weiter als lästig. Faith beherrschte sich, um sich nicht sofort auf Cade zu stürzen. Mit diesen Worten drehte der Mentor sich um und ging mit schnellen, leisen Schritten durch die Tür. Faith sah ihm nur mit wütend funkelnden Augen hinterher. Dann drehte sie sich wieder zu Aed. Der Assassine war bereits aufgestanden und sah Faith mitleidig an. "Wir sehen uns hoffentlich morgen...", meinte er kurz mit verständnisvoller Stimme, legte Faith im Vorbeigehen eine Hand auf die Schulter und ging dann aus dem Raum. Die Novizin blieb wieder zurück mit ihren Gedanken. Sie war langsam echt zu müde um das alles mitzumachen... Mit einem finsteren Gesichtsausdruck lief sie hinunter zu den Novizenräumen, zog sich im dunklen Zimmer schnell um und legte sich schlafen.

Red SnowWhere stories live. Discover now