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Vor ca. 17 Jahren

Ein Mann stand auf der Stadtmauer und sah über die Dächer Synvas. Hier lag der Sitz der Templer und somit auch der ihres Großmeisters. Aber lange würde er nicht mehr der Großmeister bleiben. Der Mann vernahm die leisen Schritte seiner Gefährten neben sich. Kurz sah er nach rechts zu Benji. Ein noch recht junger, rothaariger Assassine mit einer weißen Montur, die an manchen Stellen mit goldenen Bändern verziert war. Benji trug seine Kapuze und nickte seinem Freund zu. Der Mann, der ebenfalls die Kapuze seiner schwarz-braunen Montur trug, lächelte leicht und sah nach rechts. Kadir saß in der Hocke auf einem Holzbalken am Rand der Mauer, sah kurz über die Stadt hinweg und dann zu seinen Gefährten. Genauso wie sie trug er seine Kapuze. Diese Mission war anders als alle zuvor. Sie waren zu dritt gegen den ganzen Templerorden. Aber laut ihrem Großmeister schien das ja zu reichen. Ganz ohne Plan waren sie ja auch nicht. "Wohnt nicht die Schwester deiner Frau hier, Gavin?", wollte Kadir mit einem frechen Grinsen wissen. Gavin suchte mit konzentriertem Blick die Hauptstadt nach dem Zielgebäude ab. Er musste an Ríona denken. Sie hatte versucht ihn davon abzubringen, auf diese Mission zu gehen. Doch für Gavin war das eine Sache der Ehre und Treue. Mit traurigem Blick nickte er. Kurz verweilte er noch einen Moment, um die Gedanken an seine Frau zu verscheuchen. Doch das würde er nie schaffen. Ríona würde immer in seinen Gedanken bleiben. "Folgt mir", wies er seine Gefährten dann an, nahm kurz Anlauf und sprang auf das nächste Dach, um sich dort abzurollen und mit schnellen Schritten weiterzulaufen. Benji und Kadir folgten ihm.

Es war Herbst, der Himmel war bewölkt, aber ab und zu sah man den Vollmond hindurchscheinen. Die Temperatur lag bei unter 10 Grad, leichter Nebel lag in der Luft und ließ das Material der Häuser feucht glänzen. Trotzdem huschten die drei Schatten lautlos und sicheren Schrittes über die Dächer und hielten zielsicher auf eines der größten Gebäude der Stadt zu. Es bestand aus harten Materialien wie Stein und Metall und besaß Schießscharten und Wehrgänge. Es war eine Herausforderung und es gab keine Garantie dafür, dass sie überleben würden, das wussten alle drei. Gavin hatte noch einen Brief an Ríona geschrieben. Auch wenn er den Tod selbst nicht fürchtete, so ließ ihn die Angst nicht los, sie zu verlieren. Besonders jetzt, wo sie doch Faith hatten... Um das Templergebäude herum verlief eine breite Gasse, die man fast als Platz sehen konnte. Auf den Straßen war nicht viel los, immerhin war es ungefähr Mitternacht. Die meisten Leute schliefen um diese Zeit. Am Rand eines Hauses gegenüber ihres Ziels blieben sie stehen und beobachteten die Wachen am Eingang. Es waren nur zwei - aber es war auch nur das äußere Tor. Sicher würde es schwerer werden als gedacht. Gavin sah zu Kadir. Der bemerkte seinen Blick, nickte knapp und kletterte flink und lautlos an der Hauswand nach unten. Den Schatten der Gebäude nutzend schlich sich der Meisterassassine an die Wachen heran. Gavin und Benji verharrten oben am Haus und warteten. Den einen erstach Kadir von hinten während er der Wache den Mund zuhielt, damit sie nicht Alarm gab. Der andere Templer folgte seinem Ordensbruder kurz danach ebenfalls in den Tod. Kadirs Gefährten kletterten nun ebenfalls herab und zogen ihre Waffen. Bei Kadir angekommen musterte Gavin das Tor. Es war aus schwerem Holz und mit Eisen verstärkt. Über dem Tor befanden sich ein paar Schießscharten. Perfekt. Das Blut auf Kadirs Kleidung ignorierten alle geflissentlich. Sie hatten genug Blut gesehen um das ertragen zu können. "Erinnert euch an den Plan. Das Zimmer des Großmeisters liegt im Keller, also seid vorsichtig." Benji nickte, Kadir sah seine Gefährten nur kurz an und blickte sich dann wachsam um. "Wir sehen uns in einer besseren Welt." Gavin legte seinen Freunden brüderlich die Hände auf die Schultern. Diese legten ihre wiederum auf seine zum Zeichen dafür, dass sie füreinander bis in den Tod kämpfen würden. Sie wiederholten Gavins Satz, dann trennten sich die drei. Kadir und Benji kletterten flink an der Mauer nach oben und verschwanden jeweils durch eine Schießscharte. Gavin wartete vor dem Tor und sah sich prüfend um. Noch schien es niemand bemerkt zu haben. Mit einem kurzen Knirschen setzten sich die Torflügel in Bewegung und schwangen nach außen auf. Sobald sie weit genug geöffnet waren lief Gavin hindurch. Hinter ihm blieb das Tor offen stehen. Vor ihm standen ungefähr ein Dutzend bewaffneter, kampfbereiter Templer. Mit einem düsteren Lächeln hob der Assassine sein Schwert. Es hatte schon etwas für sich, dieser Adrenalinschub bei jedem Kampf. Sicher konnte jeder Fehler den Tod bedeuten - aber das machte den Kampf erst interessant. Ein leises Zischen durchbrach die Stille. Erst geschah nichts, dann kippten zwei der Templer um. Als die anderen Templer die Pfeile bemerkten wurden laute Befehle gerufen. Das war das Zeichen. Gavin stürzte sich auf den, der ihm am nächsten stand. Mit einem kurzen Schwertstreich hatte er seinen Gegner niedergestreckt und wandte sich dem nächsten zu. Kadir und Benji sprangen vom oberen Wehrgang, landeten jeweils auf einem Templer womit diese auch aus dem Weg geräumt wurden und fingen ebenfalls an, die Templer mit ihren Waffen zu attackieren. Der Nebel wurde immer dichter und erschwerte die Kampfbedingungen. Trotzdem standen immer weniger Templer im Hof und die drei Assassinen hatten kaum Verletzungen. Den letzten tötete Gavin mit seiner leichten Wurfaxt. Als der Templer blutend zu Boden sackte schwang der Mann seine Axt kurz durch die Luft und befestigte sie dann wieder an dessen Halterung am Rücken. "Gut. Ihr wisst, was zu tun ist", rief Gavin. Der Hof war groß, sodass nur der vordere Teil als Kampfplatz genutzt worden war. Durch den dichten Nebel sah man nur schemenhaft das gegenüberliegende Tor. Ein Fallgitter versperrte den drei Assassinen den Weg. Innerhalb kürzester Zeit erkletterte Benji das Tor und schnitt die Seile durch, an denen die Gewichte hingen, die das Gitter unten hielten. Laut fielen die Gewichte zu Boden und das Gitter zog sich wie von allein hoch. Mit zufriedener Miene sprang Benji auf der anderen Seite wieder herunter und wartete dort auf Gavin. Kadir würde das Tor bewachen. Er setzte sich auf den Wehrgang über dem Tor und schoss mit seiner Armbrust einige Wachen ab. Natürlich wussten sie nun, dass sich Eindringlinge innerhalb ihres Quartiers befanden. Ohne einen weiteren Blick auf ihren Gefährten zu werfen liefen die zwei verbliebenen Männer auf das offene Tor zu, das nach innen führte. Fortan zählte jede Sekunde. Sie kamen in einen kreisrunden Saal, der in der Mitte als Mosaik das Templerkreuz zeigte. Angewidert sah Gavin sich um. Wie konnte man nur so stolz auf sich sein, wobei sie doch noch skrupelloser handelten als die Assassinen? Leider wussten die Leute viel zu wenig über diesen blutigen, bereits seit Ewigkeiten andauernden Krieg zwischen Templern und Assassinen. Mit leisen Schritten durchquerte Benji den Raum und mied es sichtlich nicht, einfach über das Kreuz zu laufen. Gavin lächelte leicht. Benji war noch vergleichsweise jung. Gavin würde alles dafür tun, dass wenigstens er überlebte... Seine Hoffnung blieb aber, dass sie hier alle lebend herauskamen. Und erfolgreich. Als Benji sich wieder zu seinem Gefährten umdrehte zuckte dieser mit den Schultern. "Nichts. Alles still." Gavin wurde misstrauisch. Das war zu einfach. Trotzdem, ihnen blieb keine andere Wahl. "Wir ziehen den Plan trotzdem weiter durch. Benji, geh du von rechts nach unten in den Keller, ich gehe links." Der junge Assassine nickte und lief hastig nach rechts, wo eine Treppe nach unten führte. Gavin lief die Treppe links nach unten. Er nahm die Stufen doppelt und erreichte den schwach beleuchteten Gang im Untergeschoss nach kurzer Zeit. Der Bereich der Treppe war schattiger, sodass Gavin die Wachen sah bevor sie ihn sahen. Sie standen in der Mitte des Ganges vor einer Tür und sahen sich wachsam um. Als sie Gavin sahen handelte dieser schnell und warf ein Messer. Es erwischte den, der näher an der linken Treppe stand, am Bein. Der Templer knickte leicht ein und zog das Messer mit einem Ruck wieder heraus. Beide Wachmänner sahen nun Gavin an. Das war genau das, was er wollte. Als der hintere plötzlich ein ersticktes Geräusch machte und zusammensackte drehte der hintere sich erschrocken um, wobei Gavin ihm sein Schwert in den Rücken stieß. Kurz zuckte der Templer, dann sackte er zusammen. Vor sich sah Gavin nun seinen Gefährten. Benji lauschte an der Tür. Er hielt einen blutigen Dolch in der Hand. "Ich höre Stimmen. Sie sind da drin, Gavin." Benji sah seinen Freund mit großen Augen und einem vorfreudigen Lächeln an. Er sah alles wie Gavin. Es ehrte ihn, diese Aufgabe übernehmen zu dürfen. Gavin hielt sein Schwert bereit und lehnte sich gegenüber von Benji neben die Tür, während Benji seine eine Hand auf die Klinke legte. Mit einem knappen Nicken gab Gavin das Zeichnen zum Öffnen. Benji stieß die Tür energisch auf und trat direkt gefolgt von Gavin ein. Mehrere Templer standen um einen Mann herum und sahen aus, als hätten sie die Assassinen schon erwartet. Das in der Mitte musste der Großmeister sein. Benji warf überraschend seinen Dolch. Der bohrte sich in den Körper des Mannes in der Mitte. Blut breitete sich auf dessen Hemd aus und der Templer kippte zu Boden. Die Umstehenden ließ das kalt zu lassen. Gavin wurde unruhig. "Das ist nicht der Großmeister!" Ohne nachzudenken hob er sein Schwert und parierte den Angriff, den einer der vorne stehenden Templer getätigt hatte. "Ja, das habe ich auch bemerkt", zischte Benji und begann ebenfalls, zu kämpfen. Mit einer geschmeidigen Bewegung holte er sich seinen blutbefleckten Dolch zurück und erstach in derselben Bewegung den nächsten Templer. Ein anderer trat ihm in die Kniekehlen sodass Benji zusammensackte. Gerade wollte Gavin einen Templer töten, als er Benjis aussichtslose Lage erkannte und kurzerhand dessen Gegner erstach. Erschöpft half Gavin seinem Gefährten auf. Beide hatten bereits blutige Hände, Waffen und Kleidung. Nur noch drei Templer waren übrig, doch die erwiesen sich als schwerer. Mit seiner Axt konnte Gavin den einen erschlagen, doch der andere entwaffnete Benji und trat ihn zu Boden. Eigentlich sollte Gavin auf seinen eigenen Gegner achten - aber er musste Benji helfen. Ohne über andere Möglichkeiten nachzudenken wehrte Gavin den Todesstoß des Templers ab und schlug ihm in den Magen, was nur funktionierte da er keinen Brustpanzer trug. Mit einem keuchenden Geräusch taumelte der Templer zurück und Gavin konnte ihm ein Messer in den Hals rammen, bevor er Benji das Messer gab damit er sich verteidigen konnte. Dem letzten Templer schlug Gavin gegen den Kopf wodurch der Templer seinen Helm verlor. Gavin erstarrte. Es war eine Frau! Was zur Hölle...?! Als er zögerte nutzte die Templerin das und stieß ihren Gegner gegen Benji. Beide taumelten zurück und Gavin konnte die Frau gerade noch an der Hand fassen und sie so festhalten, bevor sie floh. Er drehte ihren Arm schmerzhaft auf den Rücken und hielt ihr sein Schwert an den Hals. Die Templerin hob abschätzig das Kinn, trotzdem blieben weitere Angriffe von ihr aus. Benji rappelte sich auf und folgte Gavin, der die Templerin nach draußen führte. "Okay, und jetzt führ uns zum Großmeister!" Die Templerin schwieg verbissen, doch Gavin drückte ihr das Schwert fester an den Hals, sodass etwas Blut herablief. Tränen stiegen in die Augen der Frau, was Gavin aber nicht sah. Sie versuchte die Tränen zurückzuhalten. Sie wollte nicht sterben. "Führ uns hin!", zischte Gavin drohend und verstärkte seinen Griff um ihren Arm. Sie gab einen unterdrückten Schmerzenslaut von sich. "Ist ja gut", fauchte sie und schluckte. Sie führte die zwei Assassinen noch tiefer in den Keller. An den Wänden hingen vereinzelt teure Wandteppiche und Gemälde. Manchmal standen auch Skulpturen an den Seiten. Bescheiden wohnte der Großmeister ja nicht... Gavin runzelte abfällig die Stirn und hielt der Templerin weiterhin das Schwert an den Hals. Irgendwann blieb sie vor einer Tür stehen. Das musste das Zimmer des Großmeisters sein. Gavin schob die Frau zur Tür. "Öffnen", befahl er harsch und die Frau legte die Hand auf die Klinke. Kurz zögerte sie, doch dann öffnete sie die Tür wirklich. Diesmal stand dort der echte Großmeister. Er trug einen schwarzen Umhang mit Kapuze, die er auch aufhatte. Er trug viele goldene Ringe an den Händen und hielt einen Säbel mit golden schillerndem Griff in der Hand. Dem Templer-Großmeister kam mehr Ehre zu als er verdient hatte. Grimmig stieß Gavin die Frau hinein, die den Kopf gesenkt hielt. Benji blieb in der Tür stehen und musterte den Großmeister misstrauisch. "Lya, ich bin enttäuscht von dir. Du hättest lieber sterben sollen anstatt sie herzuführen." Gavin spürte, wie die Templerin anfing zu zittern. Er bekam fast schon Mitleid, doch sie blieb eine Templerin. Als sie dann zusammensackte ließ Gavin sie los. Die Frau fiel auf die Knie und hielt den Kopf gesenkt. "Verzeiht mir, Meister. Ihr habt Recht", wimmerte sie und Tränen tropften auf den Teppich, der den Boden des ganzen Raumes bedeckte. "Natürlich habe ich das", erwiderte der Großmeister mit kalter Stimme, hob sein Schwert und stieß es der Templerin ins Herz, die sich gerade mit hoffnungsvollem Blick aufgerichtet hatte. Ihr Blick erstarrte, sie sah auf die Klinge und keuchte erschrocken. Gavin zuckte zusammen. Der Großmeister zog den Säbel wieder heraus und die Templerin presste die Hände auf die Wunde, aus der unaufhörlich Blut floss. Kaum hörbar kippte sie zur Seite. Ein kleines Rinnsal Blut floss aus ihrem Mund. Ohne die sterbende Frau weiter zu beachten wandte der Großmeister sich wieder Gavin zu. "Ihr wolltet doch nicht wirklich nur zu dritt hier hereinspazieren um mich zu töten?" Der Templer lachte kurz auf. Gavin starrte die Templerin an, die nun reglos auf dem Boden lag. Neben ihr färbte sich der Stoff des Teppichs blutrot. Der Assassine ging nicht weiter auf die Frage des Großmeisters ein. "Wieso habt Ihr sie getötet?!", fragte er und verzog grimmig den Mund. Der Großmeister lachte erneut auf. "Ihr Assassinen seid schon amüsant. Zum einen heißt es bei euch, alles ist erlaubt, zum anderen ist es euch aber verboten, Unschuldige zu töten." Gavin sah unbeirrt in den Schatten unter der Kapuze des Templers. "Ihr müsst mir nicht das Credo lehren, Templer", zischte er drohend und umgriff sein blutiges Schwert entschlossen. Er musste ihn jetzt umbringen. Jetzt war die Gelegenheit. Mit einer schnellen Bewegung zog der Großmeister sich die Kapuze vom Kopf. Gavin erstarrte. Sprachlos sah er in ein ihm nur allzu bekanntes Gesicht. "Blair?", fragte er fassungslos und ließ sein Schwert sinken. Wieso wusste er davon nichts? Wieso hatte Esida ihm nicht gesagt, dass ihr Mann der Großmeister der Templer war? Wieso? Blair lächelte kalt. "Ja. Und beschuldige Esida nicht. Sie weiß nichts davon. Und das wird auch so bleiben..." Gavin war sprachlos. Er konnte doch nicht den Mann umbringen, der später einmal der Onkel seiner Tochter sein würde! Oder doch? Blair sah so aus als könnte er es. Ein Kampf tobte in seinem Innern. Was sollte er tun? Zum einen war dieser Mann seine Mission. Er war sein Feind, der Großmeister der Templer. Zum anderen gehörte er zu seiner Familie... Er konnte doch nicht einfach so Esidas Mann töten! Verdammt! Als er Benjis Hand auf seiner Schulter spürte fasste er einen Entschluss. Würde er diesen Mensch am Leben lassen würden viele andere sterben. Unschuldige. Ein Leben gegen das vieler anderer. Gerade hob Gavin sein Schwert wieder als Blair die Hand hob und vier mit Armbrüsten bewaffnete Templer aus den schattigen Ecken des Raumes hervortraten. Verflucht, sie saßen in der Falle! Wieso hatte er Blair nicht sofort getötet? "Ihr habt keine Chance, Assassinen. Ergebt euch!" Benji trat an Gavins Seite. "Niemals!", entgegnete der junge Assassine und funkelte den Großmeister wütend an. Gavin blickte hinab auf die tote Templerin und dann auf sein Schwert. Die Mission war schiefgelaufen. Das hätte er doch von Anfang an wissen müssen! Nun galt es, Kadir und Benji hier lebend herauszubringen. Mit einem gedämpften Geräusch landete Gavins Schwert auf dem Teppich. Benji blickte erst das Schwert, dann Gavin erschrocken an. Der Großmeister lachte zufrieden und gab den Schützen ein Zeichen. Nun kapitulierte auch Benji schweren Herzens und ließ sich wie sein Gefährte wortlos entwaffnen und an den Händen fesseln. Blair setzte seine Kapuze nicht wieder auf, wischte aber seinen blutigen Säbel mit einem weißen Tuch ab und legte es auf einen kunstvollen Holztisch. "In den Hof!", befahl er den Templern. Zwei von ihnen liefen voraus, dahinter die Assassinen und den Schluss bildeten die anderen zwei Templer und Blair. Wenigstens hatten sie die Hände vorne und nicht hinter dem Rücken zusammengebunden bekommen. Die Templer führten sie durch die Kellergänge zurück nach oben in den runden Saal und dann hinaus in den Hof. Sie durchquerten das Tor mit dem Fallgitter. Auf der anderen Seite warteten bereits einige andere Templer. Erschrocken stellte Gavin fest, dass sie Kadir bereits gefangen genommen hatten. Der Assassine stand mit gefesselten Händen und blutiger Kleidung da und spannte sich an, als er Gavin und Benji erkannte. Das durfte nicht wahr sein! Das durfte es einfach nicht! Die Templer blieben bei den Assassinen stehen. Nun standen die drei mit einigem Abstand nebeneinander, den Blick auf die Mitte des Hofes gerichtet und umrundet von vielen Templern. Blair trat in die Mitte, gefolgt von einem weiteren Templer. Mit einem blutrünstigen Lächeln nahm er das Langschwert des Templers in die Hand. Er gab ein kurzes Zeichen, dann stieß einer der Templer hinter ihnen Gavin nach vorn auf den Großmeister zu. Gavin starrte Blair hasserfüllt an und schwieg verbissen. "Heute werden wir drei weitere von euch Quälgeistern los. Gavin, deine Freunde dürfen nun dabei zusehen, wie du stirbst." Gavin schwieg unverändert. Er hatte keine Angst. Ganz im Gegenteil. Er hatte sich innerlich längst damit abgefunden. Vor seinem inneren Auge sah er sich selbst bei seinem ersten Todessprung. Das gab ihm etwas Kraft. Blair zog Gavin mit einem Ruck die Kapuze vom Kopf. Der Großmeister lächelte den Assassinen kalt an. "Ich will dich leiden sehen", zischte er und nickte dem Templer neben sich zu. Der zwang Gavin mit einem kräftigen Tritt in die Knie. Gavin senkte den Blick und schloss die Augen. Er musste Kadir und Benji retten. Für ihn gab es keinen Weg mehr hier heraus. Schweren Herzens dachte er an Ríona. Er wusste, wie sehr sie um ihn trauern würde, auch wenn er in seinem Brief geschrieben hatte, dass sie es nicht tun sollte. Er musste daran denken dass Faith ohne ihn aufwachsen würde. Dass sie ihn nie sehen und kennen würde und er nie mit ihr ausreiten oder andere Sachen unternehmen könnte. Seine Augen brannten bei dem Versuch, seine Tränen zurückzuhalten. Aber irgendwie gelang es ihm. Er schluckte und jemand griff schmerzhaft nach seinem Kinn um ihn zum Hochschauen zu zwingen. Er öffnete die Augen. Vor ihm stand Blair mit seinem blutrünstigen Lächeln. Er hielt das Schwert in einer Hand und deutete auf Benji und Kadir, die verzweifelt versuchten, sich loszureißen, was sie aber nicht schafften. Blair nahm das Schwert wieder in beide Hände. "Verabschiede dich von ihnen, solange du noch Zeit hast", riet der Großmeister ihm mit kalter Stimme. Gavin suchte den Blick seiner Gefährten. Als sie bemerkten, dass Gavin sie ansah, hörten sie mit den Fluchtversuchen auf. Sie standen einfach nur da und sahen ihren Freund fassungslos an. Gavin spürte einen Stich im Herzen. Er würde sie alle verlieren. Seine Familie, seine Freunde... Gavin riss sich zusammen und versuchte seinen Gefährten mit seinem Blick zu verstehen zu geben, dass es für ihn okay war. Sie sollten sich einfach nur in Sicherheit bringen, alles andere zählte in diesem Moment nicht. Mit finsterer Miene sah Gavin wieder Blair an. Der zögerte nicht lang. Er stieß dem Assassinen kurzerhand das Schwert in die Brust. Gavin keuchte auf. Der Schmerz war stärker als erwartet. Sobald Blair die Klinge wieder herausgezogen hatte presste Gavin seine Hände auf die Wunde, aus der sofort Blut floss und seine Montur verfärbte. Er versuchte, gleichmäßig zu atmen, doch es schmerzte und brannte bei jedem Atemzug. Mit letzter Kraft zog er seinem Gegenüber, das ihn erwartend ansah, einen Dolch aus dem Gürtel und stach es ihm in den Bauch. Gavins Hände rutschten von der Waffe ab sodass sie tief stecken blieb. Er erwiderte Blairs entsetzten Blick finster. Der Großmeister sank nun ihm gegenüber ebenfalls auf die Knie und zog sich den Dolch heraus. Gavin presste wieder die Hände auf seine Wunde. Es brannte und seine Kraft floss mit dem Blut aus ihm heraus. Doch er wollte es sehen. Er wollte sehen wie dieser Dreckskerl starb. Die Templer wurden unruhig. Schreie wurden laut, manche stürmten herbei, doch der Großmeister kippte bereits zur Seite. Ungläubig sah er Gavin an, dessen Miene unverändert starr war, dann wurde sein Blick glasig und er hörte auf zu atmen. Gavin hustete. Blut lief an seinem Mund herunter, doch das störte ihn nun wenig. Er sah zu Benji und Kadir. Beide starrten ihn erst ebenso ungläubig an wie Blair zuvor, doch dann handelten sie schnell, rissen sich los und befreiten sich gegenseitig von den Fesseln, was nur funktionierte weil die Templer wie wild durcheinanderliefen. Gavin beobachtete sie und versuchte, den stechenden Schmerz in seiner Brust zu ignorieren. Für ihn endete der Weg hier, doch Kadir und Benji würden hier herauskommen. Allein das reichte ihm, um zufrieden lächeln zu können. Seine dunklen Haare klebten an seiner Haut, ob wegen Schweiß oder Blut wusste er nicht. Das warme Blut in seinem Mund und den metallischen Geschmack bemerkte er gar nicht mehr. Mit fast schon abwesendem Blick kniete er auf dem Boden, auf dem sich sein eigenes, dunkelrotes Blut sammelte. Er sah bereits schwarze Punkte vor seinen Augen. Trotzdem bekam Gavin noch mit, wie Kadir und Benji die übrigen, nicht geflohenen Templer töteten. Gavin hustete erneut, was den Schmerz in seiner Brust kurz stark steigerte. Er sah kurz nur noch schwarz und blinzelte. Entkräftet sackte er nach vorn und landete schmerzhaft auf dem Boden. Der kühle Stein war ein angenehmer Kontrast zum brennenden Schmerz. Er schloss die Augen leicht. Sobald der letzte Templer gefallen war rannten Benji und Kadir zu Gavin, der bereits schon beinahe tot auf dem Boden lag. "Gavin! Nein!" Benji fiel neben seinem Gefährten auf die Knie. Kadir kniete sich ebenfalls hin und drehte Gavin um, sodass er ihm ins Gesicht sehen konnte. Ein letztes Mal schlug Gavin die Augen auf. Als er Kadir sah lächelte er leicht wodurch noch etwas Blut aus seinem Mund lief. "Geht", murmelte Gavin mit erstickter Stimme und blinzelte matt. "Nein", hauchte Benji und sah Gavin empört an. Sie würden ihn doch nicht hier zurücklassen! Kadir schloss die Augen kurz. "Das tun wir, Bruder. Geh in Frieden. Du hast uns gerettet, dafür werden wir dir ewig dankbar sein", sprach Kadir mit leiser Stimme und sah Gavin fest in die blauen Augen. Benji öffnete fassungslos den Mund, schloss ihn aber wieder ohne ein Wort zu sagen. Gavin nickte schwach und sah an Kadir vorbei in den schwarzen Nachthimmel. Der Vollmond schien unverändert und beleuchtete den Hof mit einem silbrig-weißen Licht. Gavin schloss die Augen. Er sah Ríona, wie sie weinend dastand, ein kleines Mädchen an der Hand. Er sah Benji und Kadir mit gesenkten Blicken. Würde seine Familie erfahren, was passiert war? Wofür er gestorben war? Und wer Blair wirklich war? Er würde die Antwort nie erfahren. Mit einem letzten Atemzug verließ Gavin der Lebenshauch. Noch eine Weile saßen seine Gefährten trauernd im Hof. Irgendwann mussten sie Abschied nehmen und gehen, bevor die Stadtwache auftauchen würden. Schweren Herzens ließen sie ihren toten Freund zurück und liefen hinaus. Es war ein großer Verlust. Sie hatten ihren besten Freund, den loyalsten und tapfersten Kämpfer verloren, den sie je gehabt hatten. Er hatte es nicht verdient zu sterben, und doch... Nun war er tot.

Red SnowWhere stories live. Discover now