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Faith fiel erst als sie schon längst rannte auf, dass sie ja eben noch eine Wunde am Bein gehabt hatte. Auch diese war durch das Amulett verschwunden. Umso praktischer, denn hätte sie jetzt noch gehinkt wäre diese Rettungsmission dem Scheitern geweiht und sie alle wären tot. Doch so wie es jetzt war kamen sie alle flink voran, bald schon kam die Stadtmauer näher und das Ziel zu entkommen war zum Greifen nah. Die Templer waren in ihren dicken Rüstungen viel schwerfälliger als die Assassinen. Sie hatten trotz ihrer Verletzungen gute Chancen. Cade, der immer noch Faiths Hand hielt um sie ja nicht verlieren zu können, setzte sich etwas von den anderen ab. Er hatte sein Pferd hier in der Nähe stehen gelassen. Es könnte ihren Vorsprung um einiges vergrößern. Und da die anderen so schnell hier gewesen waren mussten sie auch mit Pferden gekommen sein. Jedoch blieb keine Zeit, sich abzusprechen. Cade zog Faith mit in eine andere Richtung. Wenn sie sich aufteilten würden die Templer sowieso doppelt verwirrt sein und sich ebenfalls aufteilen. Der Assassine lief in die nächste Gasse hinein, Faith folgte ihm einfach schweigend. Das Pferd stand noch dort wo er es stehengelassen hatte. "Los, hoch!" Er half Faith auf das Pferd und stieg dann selber auf den Rücken des Tieres. Noch während die ersten Schritte von Verfolgern in den Straßen ertönten stieß er dem Pferd die Fersen in die Seite sodass es vom Stehen direkt in den Galopp überging und die engen Gassen der statt entlangsauste. Der Schnee dämpfte das Hufgeklapper, einige Leute, die in den Straßen umherliefen und von den Reitern überrascht wurden sprangen erschrocken zur Seite. Das Pferd tat schwer daran, auf dem rutschigen Untergrund keine Fehltritte bei so hoher Geschwindigkeit zu machen. Die Templer gaben die Verfolgungsjagd schon halb auf, einige blieben stehen, andere rannten noch hinterher. Die anderen Assassinen hatten die beiden längst aus den Augen verloren, nun ging es nur noch darum, sicher aus der Stadt zu kommen. Cade spornte das Pferd weiter an. Als sie das Stadttor passierten gaben auch die letzten Templer die Jagd auf und blieben stehen. Es war geschafft, sie waren entkommen.

Erst als die Stadt nur noch wie eine winzige Darstellung ihrer selbst hinter ihnen lag parierte Cade das Pferd in eine ruhigere Geschwindigkeit durch. Der dunkle Hengst schüttelte seine Mähne und schnaubte, während er weiße Atemwölkchen in die Luft zauberte. Faith saß vorn im Sattel und klammerte sich an einem Lederriemen fest während sie sich vorsichtig gegen Cade lehnte. Der lenkte das Pferd vage in die Richtung von Ace' Haus. Das Pferd lief inzwischen gemütlich durch die schneeweiße Landebene. "Wo sind die anderen?", fragte Faith irgendwann leise und sah sich um. Cade ließ ebenfalls kurz den Blick schweifen, doch er erkannte sie nirgendwo. "Ich weiß nicht." Faith hatte ein schlechtes Gewissen dabei, sie zurückgelassen zu haben. "Sie werden doch nicht tot sein?" Cade seufzte müde während seine Miene gleichzeitig weiche Züge annahm. "Keine Sorge, ich bin mir sicher sie sind nicht ohne Fluchtplan aufgetaucht." Faith schwieg daraufhin, doch es hatte ihre Zweifel noch längst nicht vertrieben. Sie ritten eine Weile und ihre Finger und Zehen wurden bereits kalt. Hier und da sahen sie Wälder, die an die Schneeebene angrenzten. "Bist du stark verletzt?", wollte Faith dann irgendwann wissen. Überrascht von der Frage antwortete der Assassine: "Nein, nicht schlimm." Faith glaubte ihm nicht wirklich, aber irgendwie war sie trotz allem zu müde, um noch einmal nachzuhaken. Sie seufzte nur leise und sah sich weiter um. Irgendwann tauchten weitere Gestalten im Schnee auf. Es ging gerade bergauf und die Bäume waren zurückgewichen. Synva lag immer noch sichtbar aber klein am Horizont hinter ihren Rücken. Als Cade die berittenen Gestalten bemerkte hielt er an. Auch Faith versuchte zu erkennen, wer diese Personen waren. Da der Wind auf der Höhe zugenommen hatte und den liegenden Neuschnee immer wieder aufwirbelte war es schwer, die Gestalten aus dieser Entfernung auszumachen. Doch es schien so als hielten sie auf die beiden zu. Waren es Ace und die anderen? Cade stieg ab während Faith oben sitzen blieb und versuchte, in der beißenden Kälte nicht vollkommen auszukühlen. Auch wenn ihre Wunden verschwunden waren fühlte sie sich immer noch als hätte sie zu viel Blut verloren. Außerdem hatte sie trotz allem schon länger nichts mehr gegessen und war körperlich ziemlich erschöpft. Der Wind ließ sie zittern. Auch Cade, der selbst noch einige schwere Wunden von den letzten Tagen mit sich trug, deren Zustände sich beim Kampf mit Aed nicht gerade verbessert hatten, kämpfte damit, aufrecht stehenzubleiben. Trotzdem hielt er die Zügel fest in der Hand und sah sich nach den herannahenden Gestalten um. Die Pferde trotteten stur dem unbarmherzigen Wind entgegen. Ihre Mähnen flatterten in den Böen, genauso wie die Kleidung der Reiter. Je näher sie kamen desto mehr konnte Cade ausmachen. Er war sich inzwischen sicher, dass es sich um fünf Personen handelte. Fünf? Es waren sechs Überlebende gewesen. War einer bei Arvana geblieben? Wäre durchaus möglich. Mit starrem Blick behielt er die Pferdekarawane in dieser Schneewüste im Auge. Irgendwann meinte er dann wirklich, Kapuzengestalten erkennen zu können. Sein Herz machte einen kleinen, hoffnungsvollen Satz. Natürlich war es nur ein geringer Sieg angesichts der blutigen Niederlage die sie eben erst hinter sich hatten. Doch es war wohl etwas Hoffnung wert. Als die Gestalten die beiden Assassinen erreichten stieg der vorderste ab. Es war tatsächlich Ace, der die Gruppe wohl einmal mehr geleitet hatte. Er zog die Kapuze ab und fuhr sich durch die feuchten, blonden Haare. "Geht es euch beiden soweit gut? Heath hat keine Verbände dabei, deshalb sollten wir so schnell wie möglich zurück zum Haus. Folgt uns einfach." Cade nickte nur. Er war die ganze Nacht durchgeritten, war gestern noch halbtot gewesen und hatte nun - wenn auch auf eine mehr als unerwartete und absurde Weise - seinen Erzrivalen niedergestreckt. Erschöpfung und Müdigkeit durchströmte ihn gleichermaßen wie eine  friedliche, endgültige Ruhe. Es war fast schon befreiend. Er setzte sich wieder in den Sattel und ließ das Pferd den anderen hinterherlaufen. Dabei sah er gedankenverloren in den schneeweißen Himmel. Zusätzlich zum aufgewirbelten Schnee begann es nun erneut zu schneien. Die meisten von ihnen trugen ihre Kapuzen zum Schutz vor den Schneeflocken, doch Cade hatte seine abgezogen und den Kopf leicht in den Nacken gelegt. Er beobachtete die mit Leichtigkeit im Wind tänzelnden, rein weißen Schneekristalle, wie sie langsam aber beständig zu Boden segelten. Alles war weiß, die Bäume, die Ebene, selbst der Himmel, die Berge in der Ferne, der Horizont und Synva hinter ihnen. Es barg fast schon eine anmutige Ruhe in sich, die Cade automatisch in sich einsog. Solche Momente waren selten - zwischen all den Kämpfen, dem Trubel und dem Tod einmal ein wenig Ruhe und Frieden zu erfahren. Er schloss die Augen und genoss die Stille. Der Schnee dämpfte jedes Geräusch, genauso wie er die Sicht in einen weichen, weißen Schleier hüllte. Die stechende Kälte auf Cades Haut wich einer kühlen Taubheit. Immer noch spürte er die pochende, schmerzende Wunde in seiner Brust. Doch es schien keinen Einfluss mehr auf ihn zu haben. Er wusste, dass er überlebt hatte. Er hatte den Angriff auf seine Familie überlebt. Er hatte die Missionen überlebt, alle, die er jemals aufgetragen bekommen hatte, mal mehr und mal weniger verletzt. Er hatte den Angriff auf das Hauptquartier überlebt und genauso die tödliche Wunde, eben diese, die in diesem ruhigen Moment unter dem dicken Verband lag und brannte. Er war dem Tod noch nie so nah gewesen wie die letzten Tage, auch wenn dieser ihn schon sein ganzes Leben begleitet hatte. Und trotzdem war er jetzt hier. Er hatte viele Freunde verloren, viele Verbündete. Genauso hatte er viele Feinde sterben sehen oder sie selbst niedergestreckt. Doch jedes Leid, all die Trauer die er bei den Verlusten verspürt hatte, zählte nun nicht mehr. Es war wie das Ende eines langen, schweren Kapitels und ein frischer Neuanfang. Sie hatten viel verloren, doch längst nicht alles. Es gab immer noch Möglichkeiten, die Dinge wieder anzupacken. Die Bruderschaft war noch längst nicht am Ende. Und das würden sie den Templern auch beweisen. Sie waren vielleicht nicht viele, doch die Stärke der Assassinen hatte noch nie auf ihrer Anzahl basiert. Sie würden andere Wege finden, neue Leute für ihre Sache gewinnen, den Orden neu aufbauen. Cade hätte wieder ein Zuhause. Ohne dass er es bemerkte stahl sich ein schwaches Lächeln auf sein Gesicht. Es war nicht das Ende.

Red SnowWhere stories live. Discover now