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Faith diskutierte noch ein wenig mit Elora. Auch, nachdem sich der Saal bereits ziemlich geleert hatte. Doch all ihre Spekulationen waren eben nur Spekulationen. Was nun stimmte, würden sie erst später sehen. Irgendwann ging Faith dann zu Bett, da sie am nächsten Tag früh los musste. Im Zimmer war es bereits ziemlich dunkel, nur noch die Öllampen über Faiths und Eloras Bett brannten. Nachdem die Novizin die Leinenkleidung angezogen hatte, löschte sie auch ihre Lampe und legte sich schlafen.

Dieses Mal wurde Faith nicht vom Licht der Lampen geweckt, sondern von Zoé. Die Novizin war bereits vollständig angezogen und bewaffnet. "Schnell, Faith. Bald geht die Sonne auf." Faith war zu müde, um zu fragen, woher Zoé das wusste. Also stieg sie nur verschlafen aus dem Bett und zog sich um. Sie befestigte alle ihre Waffen und versuchte, sich irgendwie wachzukriegen. Sie hätte nicht so lang mit Elora reden sollen... Draußen auf dem Gang brannten vereinzelt Fackeln. Es war still, so still, dass Faith sich fühlte, als würde sie durch den Flur trampeln. Irgendwann kamen sie über den kleinen Gang zu den außen gelegenen Ställen, bei denen sie schon einmal gewesen waren. Cade und eine Frau mit lockigen, dunklen Haaren und grünen Augen namens Onya warteten bereits. Vom gestrigen Wind war nur eine leichte, frische Brise übrig geblieben. Faith sog die frische Morgenluft ein. Die kühle Luft machte sie etwas wacher. Vögel zwitscherten, als würden sie die Sonne mit einem Ständchen begrüßen wollen. Am Horizont warf sie ihre ersten Strahlen auf die Wolken. Ihre Mentoren erklärten ihnen noch einmal die Mission, dann bekamen beide jeweils ein Pferd - Zoé eine braune Stute, Faith eine graue - und wurden losgeschickt. Man hatte ihnen eine Karte gegeben, auf der das Dorf eingezeichnet war. Diese Karte hatte Faith Zoé überlassen, da sie ja noch ihre eigene hatte. Nachdem ihre Mentoren ihnen viel Glück gewünscht hatten ritten sie los. Erst durchquerten sie den Nadelwald, dann öffnete der Wald sich zu den Feldern hin und sie folgten den Feldwegen bis sie sich in weiten, grünen Wiesen verloren. Ab und zu durchbrachen Baumgruppen oder Flüsse die Landschaft, doch diese Hindernisse konnten sie mit Leichtigkeit überwinden.

Zwei Tage später, es war bereits Nachmittag und der letzte Halt lag ungefähr drei Stunden zurück, kamen sie dem Ziel endlich näher. Beide waren erschöpft vom langen Ritt, und ihr Ziel selbst versprach auch keine Erholung. Die Laune war dementsprechend gesunken. Die Landschaft um sie herum hatte sich verändert. Um sie herum wuchsen keine so hohen Gräser mehr, ab und zu war der Boden unter den Hufen ihrer Pferde sogar steinern. Zwei einigermaßen hohe Berge mit kantigem, bröckeligem Stein warfen bereits lange Schatten. Und hinter dem nächsten Hügel tauchte es auf - das Dorf. Es musste ein großes Dorf gewesen sein, denn die verkohlten Ruinen ragten noch an vielen Stellen hoch in den Himmel. Der Boden rings um das ehemalige Dorf war bedeckt mit Asche, doch er lag so verteilt als ob der Brand schon länger her wäre. Zoé und Faith sahen sich mit einem bedrückten Gefühl an. Zu wissen, dass hier einst Leute ihre Existenz aufgebaut hatten - und die Templer es einfach so zerstört hatten... Ihre Pferde schnaubten, die Luft hatte sich in den letzten Tagen abgekühlt. Kleine Atemwölkchen bildeten sich vor den Gesichtern der Novizinnen und den Nüstern der Pferde. Alles schien still zu sein. Halb verbrannte Baumstämme zeigten, dass das Dorf einmal mitten in einem Wald gelegen hatte. Aufmerksam musterten sie die Umgebung. Laut den Assassinen mussten sich hier einige Templer aufhalten. "Wir sollten die Pferde hierlassen", flüsterte Zoé, bedacht darauf, dass nur Faith ihre Worte hörte. Faith stimmte zu und die beiden saßen ab und banden ihre Pferde an einigen, übrig gebliebenen Ästen fest. Dann betraten sie das Dorf zu Fuß. Die dicke Ascheschicht knisterte unter ihren Schritten. Sie erkannten die Überreste eines Walls aus Holz, liefen durch die einstigen Straßen des Dorfes und fanden sich letzten Endes auf dem kleinen Markplatz wieder, an dem mancherorts noch verkohlte Ware lag. Das meiste Holz war verbrannt oder vergammelt. Trotzdem ragten noch ganze, zweistöckige Häuser in den stahlgrauen Himmel, als seien sie einfach schwarz angemalt worden. Faith stellte sich vor, wie das Leben hier einmal gewesen sein musste. Kinder, die auf den Straßen spielten, Erwachsene, die ihre Geschäfte am Laufen hielten und auf dem Marktplatz Händler, die mit lauten Stimmen ihre Waren anpriesen. Von diesem Dorfleben war nur noch Staub und Asche übrig. Wie sollte sie ihre Schwester hier finden? Faith bekam Zweifel. Außerdem war da noch die eigentliche Mission. "Wo verstecken sich die Templer denn?", fragte Faith nun mit leichtem, aber unüberhörbarem Sarkasmus. Zoé zuckte mit den Schultern. "Ist ja unsere Aufgabe, sie zu suchen...", erwiderte Zoé, rang sich ein klägliches Lächeln ab und sah sich nach einem guten Aussichtspunkt um. Die ehemalige Dorfkirche war ebenso verbrannt wie die anderen Gebäude, doch sie schien noch ziemlich vollständig zu sein. Zusammen liefen sie in das für ein Dorf sehr großes Mittelschiff der Kirche. Es roch noch leicht nach verbranntem Holz, doch der Wind, der durch die zerschlagenen Fenster wehte, hatte den Geruch über die Zeit aus dem Raum größtenteils vertrieben. Sie liefen eine verkohlte Treppe nach oben und warfen einen kurzen Blick auf den Altar, auf dem ein verrostetes Templerkreuz lag. Wahrscheinlich eine Art 'Wir waren hier'-Botschaft. Die beiden ließen alles möglichst, wie es war, um keine unnötigen Spuren zu hinterlassen. Dann liefen sie über eine weitere Wendeltreppe aus Metall - das an manchen Stellen unter der Hitze des Feuers geschmolzen war - nach oben und befanden sich nun im Turm. Es waren sicher noch 10 Meter bis zur Spitze. Das Feuer hatte hier mehr Schaden angerichtet: Die Abdeckung war völlig weggebrannt worden, nur noch schwarze Balken ragten nach oben und trugen das nur noch teilweise vorhandene Turmdach. Zoé machte sich sofort daran, nach oben zu klettern. Sie hangelte sich mit der Fähigkeit, die eines Novizen gerecht war, nach oben und kam Meter für Meter näher an die Spitze, auf der zusätzlich noch ein eisernes Kreuz angebracht worden war. Plötzlich brach einer der Balken durch, da dessen Festigkeit während des Feuers gelitten hatte, und Zoés Fuß hing in der Luft. Aus Schreck rutschte sie auch mit dem anderen Fuß ab. Sie schrie auf. "Zoé!" Faith dachte nicht nach, sie erkletterte ebenfalls das wackelige und brüchige Balkengerippe des Turms. Sie musste jeden ihrer Kletterzüge mit Bedacht wählen - und zusätzlich noch bei Zoé sein bevor sie keine Kraft mehr hatte und fiel. "Hilfe! Faith!", jammerte Zoé, mit Todesangst. Faith erinnerte sich an Kadirs Worte während Aeds Ernennung zum Assassinen. Kein Assassine fürchtete den Tod. Und sie würde das auch nicht. Mit eiserner Entschlossenheit überwand sie die letzten Meter zwischen ihr und Zoé. Sobald Faith bei ihrer Gefährtin angekommen war, hörte diese auf, zu wimmern. Mit einem kräftigen Ruck zog Faith die Novizin wieder zurück auf stärkere Balken. Der Wind hier oben war stärker als unten in den Gassen, und ihre Kleidung, besonders die aufgesetzten Kapuzen, flatterten heftig im kalten Wind. Damit Zoé sie verstehen konnte, musste Faith gegen den Wind anschreien. "Ich klettere hoch, du gehst wieder runter!" Zoé klammerte sich mit klammen Fingern an den schwarzen Balken fest und schüttelte den Kopf. Der trockene Wind trieb beiden trotz der Kapuzen die Tränen in die Augen. "Das kannst du nicht! Du stirbst!", erwiderte Zoé während sie anfing, zu zittern. Faith verzog den Mund selbstsicher und begann, sich einen Weg nach oben zu suchen. "Faith! Nein!", hörte sie Zoés verzweifelte Stimme. Doch das ignorierte sie. Die Turmspitze war zum Greifen nah. Das kalte Eisen des Kreuzes brannte auf ihrer Haut, während sie sich mit frierenden Fingern daran festhielt und sich umsah. Keine Spur von Templern... Halt, was war das? In einem der Lagerhallen blinkte etwas Metallisches auf. Faith kniff die Augen zusammen. Vielleicht die Rüstung eines Templers? Da das die einzige Spur war, kletterte Faith wieder hinunter und sprang die letzten Meter auf den halbwegs stabilen Boden. Zoé stand bereits am Treppenabgang. "Und?", wollte sie wissen. Sie hatte ihre Arme um ihren zitternden Körper geschlungen. Faith lief an ihr vorbei die Treppe hinunter. Zoé folgte ihr verwundert. "Bei den Lagerhallen habe ich etwas gesehen... Ich weiß nur nicht, was genau", beantwortete Faith im Gehen ihre Frage und lief mit langen Schritten auf den Kirchenausgang zu. Sobald Zoé zu ihr aufgeschlossen hatte, schlug sie vor: "Wie wäre es, wenn du von der einen Seite in das Lagerhaus gehst, und ich von der anderen?" Faith grinste. Sie selbst wäre einfach hineingegangen. Dabei war Zoés Gedanke gar nicht so abwegig. Sie nickte und dachte sich dabei, dass Zoé definitiv mehr Verständnis für Taktik hatte. So teilten sie sich auf und waren bedacht darauf, dass man sie durch die Fenster der Halle nicht sehen konnte. Leisen Schrittes schlich Faith auf die eine Tür der Lagerhalle zu und spähte durch den fingerbreiten Spalt im verbrannten Holz. Natürlich, die Templer hatten nicht jedes Haus einzeln abgebrannt, sondern nur die wichtigen Gebäude. Die Kirche, das Rathaus und eben die Lagerhallen. Durch den Spalt erkannte Faith, dass die Halle vollgestellt mit verkohlten Eisenregalen war. Mist, kein Durchblick. Sie öffnete die nur noch zu 3/4 vorhandene Tür vorsichtig und schlüpfte hindurch. Ihre nun mit Kohle verschmierten Finger strich sie an ihrer Kleidung ab. Die würde ja im Hauptquartier sowieso wieder auf wundersame Weise gewaschen werden, ohne dass sie es bemerkte. Faith lauschte einen Moment. Stille. Dann machte sie ein paar Schritte. Verbrannte Gegenstände lagen auf dem Boden verstreut oder teilweise sogar noch in den Regalen. Die Halle war nicht sehr hoch, dafür aber großflächig. Wachsam sah sie sich um. Falls sie auf Zoé traf durfte keine der beiden die andere für einen Templer halten. Ohne etwas zu entdecken gelangte Faith in den mittlere Teil der Halle, in dem sich nur halb verbrannte Fässer befanden. Plötzlich sah sie wieder etwas aufblitzen. War es das, was sie vom Turm aus gesehen hatte? Sie lief in die Richtung des Gegenstandes. Als sie einen einfachen Brustpanzer erkannte, seufzte sie enttäuscht. Gerade wollte sie sich das Rüstungsteil genauer ansehen, als sie aus dem Augenwinkel einen Schatten sah. Sofort zog sie einen Dolch und hielt ihn der Person entgegen. Zoé atmete erschrocken auf. Faith ließ den Dolch wieder sinken, als sie die Novizin erkannte, die sie erst aus verschreckten und dann wütenden, braunen Augen ansah. "Tut mir Leid, ich dachte du seist ein Templer", meinte Faith nur und drehte sich wieder zu der Rüstung. Sie biss sich auf die Lippe, als ihre eigenen Worte noch einmal durch ihren Kopf hallten. Zum einen hatte sie laut gesprochen - obwohl wahrscheinlich sowieso niemand hier war - außerdem klang sie langsam wie ihr Mentor. Und sie wollte definitiv nicht zu so einem Arschloch werden... Sie drehte sich noch einmal um, um sich dafür zu entschuldigen - doch Zoé war verschwunden. War sie vor Wut abgehauen? Hatte sie einfach weitergesucht? Faith wurde es heiß und kalt zugleich. Ungewissheit war die reinste Folter. "Zoé?", fragte Faith vorsichtig in die Stille. Sie lief zurück. Bei den Fässern angekommen, sah sie, was los war. Das war eine verdammte Falle! Sie verfluchte sich selbst. Hätte sie nachgedacht, hätte sie bemerkt, dass der Brustpanzer nicht verkohlt war und somit erst nach dem Brand dort hingestellt worden war. Zoé wurde von einem Templer in Rüstung festgehalten, der ihr die Arme auf den Rücken gedreht hatte und ihr die Hand auf den Mund drückte, damit sie nicht schrie. Die Novizin zappelte und versuchte, zu schreien, doch das einzige, was man hörte, war ein leises mhmmmhhhmm! Faith war überfordert. Es mussten mindestens ein Dutzend bewaffneter Templer sein. Das Überraschungsmoment hatte sie nun nicht mehr auf ihrer Seite, und allein gegen 12 Templer - das war eine aussichtslose Situation. "Was wollt ihr hier?", fragte Faith nun mit fester Stimme. Sie musste Zeit gewinnen. Fieberhaft suchte sie nach einer Lösung. Sie könnte fliehen - aber dann würden sie Zoé wahrscheinlich töten. Und sie würde ihre Missionsgefährtin sicher nicht im Stich lassen. Das hätte ihr Vater auch nicht getan. Der Templer lachte, als hätte er einen schlimmen Husten. "Das sollte ich eher dich fragen", erwiderte er gelassen. Er schien die Überlegenheit seiner Seite zu genießen. Faith suchte nach einer guten Antwort, fand aber keine. "Na, Assassine? Ist dir die Sprache weggeblieben?", hakte er gespielt charmant mit hämischem Lächeln nach. Faith schluckte. Was nun? Plötzlich durchbrach ein Zischen die Stille, und ein Pfeil bohrte sich durch den Kopf des Templers. Blut spritzte auf, der Templer schrie auf vor Schmerz und sackte kurz danach tot zu Boden. Zoé schrie ebenfalls erschrocken auf, immerhin hatte sich ihr Kopf nicht weit von dem des Templers befunden. Sie taumelte nach vorne, auf Faith zu, die bereits ihre Waffen zog. Wer auch immer den Pfeil abgeschossen hatte, er war auf ihrer Seite. Weitere Pfeile surrten durch die Lagerhalle, trafen und tötete manche Templer sogar direkt. Es waren vollkommen schwarze Pfeile mit elegant geschwungenen Federn. Die restlichen Templer wurden unruhig und zogen ihre Schwerter. Kaum einen Wimpernschlag später erschienen schwarz gekleidete Gestalten in Faiths Blickfeld. Ganz vorn ein - von der Statur her vermutlich - ein Mann, der eine schwarze Kapuze und ein ebenso schwarzes Tuch trug, dass seine Nase und seinen Mund verdeckte. Er kämpfte gezielt mit den Händen und einer merkwürdigen Waffe, die Faith noch nie gesehen hatte. Die anderen waren ähnlich gekleidet, trugen schwarze Kapuzen oder Tücher, um ihr Gesicht zu verdecken, und ebenfalls Tücher über Mund und Nase. Die Kapuzen waren rund geschnitten und nicht wie die der Assassinen, traditionell in der Form eines Adlerkopfes. Die Kleidung der Angreifer wirkte praktisch und Faith erkannte auch einige Frauen in der Gruppe. Faith und Zoé mischten sich angesichts der wenigen überbliebenen Templer ebenfalls in den Kampf ein. Innerhalb kürzester Zeit fielen die Templer, und Faith zeigte ihre Kampfkünste daran, dass sie auch einem Templer das Leben nahm. Nummer zwei. Da machte sie sich gerade Gedanken über diesen Mord, als sie eine Männerstimme hinter sich aufkeuchen hörte. Erschrocken drehte sie sich um, bereits sich zu verteidigen - als sie erkannte, dass der Templer bereits sterbend zu Boden fiel. Hinter ihm erblickte sie eine Frau, ebenfalls in schwarzer Kleidung und mit Kapuze und Tuch. Zwei dunkle Augen sahen sie forschend an. Gerade wollte sie sich bedanken, als die Frau ihr etwas in den Hals stieß. Faith zuckte zusammen. Schmerz durchzog ihren Hals, sie sah nur noch schwarz und fiel kraftlos zu Boden.

Red SnowWo Geschichten leben. Entdecke jetzt