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Ein Diener führte die drei in einen Raum, in dem Faiths Tante sie empfangen würde. Das Mädchen ließ ihre Kapuze abgesetzt, die anderen beiden ließen sie aber lieber auf dem Kopf. Der Diener verschwand. Es war ein einigermaßen kleiner Raum - im Gegenteil zur Eingangshalle. An der Decke hing ein schmucker, mit Gold überzogener Kronleuchter. Die Wände waren geschmückt mit kunstvollen Tapeten, Gemälden und einem Wandteppich. Der Wandteppich war blau und zeigte als Motiv ein Einhorn, wie man es aus den Mythen kannte. Der Raum war nur breit genug für ein luxuriöses Sofa, auf dem die drei Novizinnen Platz nahmen, und einem gemütlich aussehenden Sessel, der mit olivengrünem Samt überzogen worden war. Faith saß in der Mitte, rechts neben ihr hatte Elora wieder ihre übliche Nachdenk-Pose eingenommen und links saß Zoé und wirkte etwas unruhig. Mit eleganten Schritten trat dann Tante Esida ein. Sie trug ein weites, hellgrünes Rüschenkleid und viel Schmuck, der im selben Farbton gehalten wurde. Faith schätzte sie auf ein Alter Ende 40 - sie hatte sich nie getraut, ihre Tante danach zu fragen. Jedoch trug ihre Tante gern Schminke. Faith hatte sie nie dazu überreden können, sich schick anzuziehen oder zu schminken. Das Mädchen war damals nur bei den Ständen mit Waffen und Rüstungen herumgelaufen. Als Esida ihre Neffin erkannte setzte sie ein erfreutes Lächeln auf und setzte sich elegant auf den Sessel gegenüber. Sie musterte kurz ihre Begleiterinnen, dann sah sie Faith fragend an, während sie eine elegante Haltung einnahm. "Was ist mit deinen Kleidern passiert, Faith?", wollte Tante Esida wissen. Sie ließ ihren Blick argwöhnisch über die schwarze Robe gleiten und blieb an den Waffen hängen. "Und wer hat dir die Waffen gegeben?" Faith lächelte unsicher. "Ja, also... Ehm... Ich weiß nicht wie ich dir das sagen soll", stammelte sie nach den richtigen Wörtern ringend und sah ihre Tante unschuldig an. Ihr Blick wurde finsterer. "Faith?", hakte sie mit ernstem Ton nach. "Ich... bin nicht deswegen hier. Ich möchte dich etwas fragen..." Erst schien Esida auf das eigentliche Thema zurücklenken zu wollen, dann nickte sie aber knapp. "Frag." Faith atmete erleichert auf und überlegte sich nun, was genau sie eigentlich fragen sollte. Mit was sollte sie anfangen? "Wo genau wohnt meine Mutter?" Tante Esida sah sie erst erstaunt, dann traurig an. Soweit Faith wusste, war ihre Mutter ja Esidas Schwester. "Wieso willst du das wissen?", wich sie mit einer Gegenfrage aus und musterte ihre Neffin. "Weil ich es wissen muss. Es ist wichtig. Es geht um... das Leben aller Menschen!" Faith wusste nicht, wie sie es anders beschreiben sollte. Plötzlich wirkte ihre Tante wie ein Raubtier auf Jagd. Sie durchbohrte Faith mit einem finsteren Blick. "Also haben sie es dir nun auch in den Kopf gesetzt? Diese Weltrettungs-Idee?", zischte sie und Zoé, die direkt neben Faith saß, zuckte spürbar zusammen. Faith sah ihre Tante erschrocken, aber fest an. "Ich muss es wissen!", bekräftigte sie nochmal. Esida seufzte. "Ich kann dir eine Karte geben." Faith war überrascht. Gab sie sich so schnell geschlagen? Ihre Tante stand auf um die Karte zu holen. Das bodenlange Kleid machte bei jeder Vorwärtsbewegung ein leises Schleifgeräusch. Faith dachte schon, ihre Tante würde gar nicht mehr wiederkommen. Doch irgendwann trat sie wieder in den Raum und gab Faith eine vergilbte Karte. Sie deutete auf ein mit Tinte gezeichnetes Kreuz. "Dort liegt ihr Haus." Nach diesen Worten ließ sie sich weniger elegant als vorher wieder auf den Sessel fallen. Ein paar dunkelblonde Strähnen waren ihr aus der Frisur gefallen und hingen in ihr Gesicht, als hätte sie sich beim Suchen ganz schön anstrengen müssen. Faith nickte dankbar und steckte die Karte gefaltet zu den Shuriken in den Beutel. Hoffentlich würden die Wurfsterne nicht das Papier zerschneiden... Tante Esida wirkte plötzlich so ausgelaugt. Faith fiel es schwer, die nächste Frage zu stellen. "Was meinst du eigentlich mit 'sie'? Wer hat mir das deiner Meinung nach in den Kopf gesetzt?" Ihre Tante bedachte sie mit einem matten Blick. "Na, die Assassinen. Diese ganzen Mörder, die denken, es würde zu Frieden führen wenn sie Menschen töten", murmelte sie anklagend und machte eine wegwerfende Handbewegung. Obwohl Faith erst seit gestern offiziell zum Orden gehörte fühlte sie sich gekränkt. Gut, die Assassinen töteten - das rechnete sie ihnen selbst nicht hoch an - aber sie taten es für edle Gründe. Oder nicht? "Woher kennst du den Orden?", fragte Faith nun mit misstrauischem Blick nach. Soweit sie wusste hatte ihre Tante nie etwas mit ihnen zutun gehabt. Ihre Tante lächelte müde. "Ich gehöre zu den Milwyn. Das ist eine bestimmte Gruppe von Handelsleuten, die früher manchmal den Assassinen beigestanden ist. Inzwischen ist diese Gruppe aber aufgelöst worden... Nach... einem Vorfall..." Esidas Stimme wurde leiser. Sie starrte mit abwesendem Blick an Faith vorbei, als würde sie gerade von der Erinnerung eingeholt werden. Milwyn... Davon hatte Faith noch nie gehört. Sie musste ihre Tante wieder aus dieser Starre lösen. "Und wieso hast du mir früher so viel beigebracht? Schwimmen, reiten..." Die Novizin zog fragend eine Augenbraue hoch. Tante Esida wandte ihren Blick wieder ihrer Neffin zu. Sie nickte langsam. "Das habe ich dir auf den Wunsch deiner Mutter hin beigebracht." Faith sah ihre Tante mit großen Augen an. Ihre Mutter hatte das organisiert? Aber wieso sollte Faith das lernen? Sie stellte Esida diese Frage. "Nun, das solltest du sie selbst fragen. Du wirst sie doch wohl besuchen?" Tante Esida nickte in Richtung des Beutels, wo Faith die Karte verstaut hatte. Das Mädchen legte schützend ihre Hand darauf und schwieg. Stattdessen kamen ihr viele andere Fragen in den Sinn. "An was ist mein Onkel gestorben?" Faith musterte nun ihr Gegenüber. Esida strich sich die losen Strähnen hinter's Ohr und sah immer noch etwas geistesabwesend aus. "Der wurde ermordet", antwortete sie mit dunkler, brüchiger Stimme. Die Novizin sah sie erschrocken an. Ermordet? "Von wem?" Sie wusste nicht, was nun kommen würde. Trotzdem wollte sie es wissen. Tante Esida schwieg lang. Dann öffnete sie den Mund. "Von deinem Vater."

Red SnowWhere stories live. Discover now