Fluchtinstinkte

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Inhaltswarnung: Walburga Blacks Mutterliebe (erwähnt)


James Potter ist kein besonders tiefer Schläfer. Nachts um zwei aber schon. Deshalb hört er die Steine nicht, die an sein Fenster geworfen werden. Euphemia Potter, die im Zimmer daneben schläft, weil derjenige der da draußen steht, nicht besonders gut zielen kann, aber schon. 

Ein bisschen verärgert ist sie und versucht eine ganze Weile, einfach wieder einzuschlafen, bevor sie aufsteht, sich einen Morgenrock überwirft und nach unten geht. 

Sie versucht, durch die Scheibe in der Haustür zu erkennen, was da draußen vorgeht, aber alles, was sie erkennen kann, ist jemand, der ihr Haus mit kleinen Kieselsteinen bewirft. Sie öffnet die Tür. 

Noch bevor sie etwas sagen kann wie "Wer zur Hölle sind Sie?" oder "Müssen Sie augerechnet mitten in der Nacht Steine an anderer Leute Fenster werfen?", stolpert die Person vorwärst. Mia denkt bewusst "stolpert", denn "gehen" kann man das nicht mehr wirklich nennen. 

"Mia!", sagt die Person erleichtert und jetzt, wo sie seine Stimme hört, erkennt Mia Potter auch, wer da vor ihr steht. Aller Ärger weicht und lässt nur Besorgnis zurück. 

"Sirius?", fragt sie alarmiert, aber da ist Sirius schon bei ihr, fällt ihr praktisch in die Arme, entweder vor Erleichterung, sie zu sehen, oder vielleicht sogar, weil er wirklich nicht mehr allein stehen kann. 

Sie zieht ihn in eine Umarmung, dann ins Haus. Sie macht Licht im Salon an, dirigiert ihn zu dem Sessel, von dem sie weiß, dass es sein liebster ist. Sie lässt mit dem Schwenk ihres Zauberstabs eine Teekanne erscheinen. Sie fragt nicht, was passiert ist. 

Sirius weint. 

Sirius weint und er zittert am ganzen Leib. Mia ist Heilerin, sie erkennt das Zittern, in einem unrhythmischen Dreitakt, sie weiß wie die Nachwehen eines Cruciatusfluches aussehen. 

Mia ist sich ziemlich sicher, dass Walburga Black den nächsten Tag nicht überleben wird, wenn sie niemand aufhält. Sie würde jetzt gleich losmarschieren zum Grimmauldplatz, wäre da nicht der zitternde, weinende Junge in ihren Armen, dessen gesamte Welt gerade zusammengebrochen ist. 

"Sie haben es rausgefunden", presst er irgendwann zwischen zwei Schluchzern heraus. "Sie haben es rausgefunden...mit Remus. Und sie...sie wollten..."

Mia zieht ihn näher an sich heran, hält ihn fester. Eigentlich hatte sie vor, Walburga schnell umzubringen. Schnell, sodass sie es nicht kommen sieht und sodass es keine Spuren hinterlässt. Spontan entscheidet sie sich um: Walburga wird leiden. 

"Sirius, es ist ok", murmelt sie, immer und immer wieder, dass er es vielleicht irgendwann glaubt. "Es ist ok, du hast es geschafft, du bist hier, du bist in Sicherheit, du musst nie wieder zurück, es ist ok."

Sie weiß nicht, wie lange sie so da sitzen, während sein Schluchzen leiser und sein Zittern weniger wird, aber keines der beiden wirklich erstirbt, bis er irgendwann leise fragt: 

"Darf ich heute Nacht hierbleiben?" 

Sie hätte ihm beinahe ins Gesicht gelacht und es ist nur ihre Wut, dass das nicht selbstverständlich ist, die sie davon abhält. Wut, die sich nicht gegen ihn richtet, sondern gegen seine Eltern, die ihm eingeredet haben, dass er sich seinen Platz in einer Familie verdienen muss. Eltern, die ihn nicht bedingungslos akzeptieren, sondern allerhöchstens tolerieren und die ihn genau so schnell aus der Familie ausschließen konnten, wie man braucht, um einen Zigarettenstummel auf einer Tapete auszudrücken. 

"Natürlich darfst du heute Nacht hierbleiben", sagt sie also. "Du darfst auch morgen Nacht hierbleiben. Du kannst bleiben, bis zu siebzehn bist, meinetwegen auch, bis du achtzehn bist oder neunzehn. Zwanzig ist die Grenze, das weißt du, das gilt für jeden meiner Söhne. Ich habe keinen Zwanzigjährigen hier sitzen, da sucht ihr euch was eigenes. Aber Sonntag zum Mittag, wann immer ihr wollt und mindestens jedes zweite Weihnachten, am liebsten jedes."

Er schaut sie ungläubig an. 

"Was ist mit Remus?", fragt er dann. Sie schüttelt vehement den Kopf. 

"Nein, nicht noch ein Sohn", sagt sie entschlossen. "Zwei müssen reichen." Sie zwinkert. "Aber ich nehme noch einen Schwiegersohn, wenn du möchtest." 

Und er schluchzt schon wieder, aber diesmal ist es ein anderes Weinen. Mia gefällt es immer noch nicht, weil sie es nicht mag, wenn jemand weint, besonders nicht ein Kind, und ganz besonders nicht ein Kind von ihr. Nicht, weil weinen falsch ist, sondern weil weinen immer bedeutet, dass etwas gewaltig schief gelaufen ist. 

Oh, Merlin, für Sirius ist schon so viel schief gelaufen. Sie möchte ihn am liebsten nie wieder loslassen, dafür sorgen, dass diesem Jungen nichts schlimmes mehr passiert, nie wieder in seinem gesamten Leben. Sie wird jeden bedrohen, der ihm und Remus das Leben schwer macht, wenn es sein muss. 

Fleamont findet sie um vier Uhr morgens, nach Mia weiß nicht wie vielen Stunden, weil er aufgewacht ist und eine leere Betthälfte neben sich hatte. Er braucht ungefähr fünf Sekunden, um die Situation zu verstehen, dann geht er und weckt James. 

Viel Schlaf bekommt in der Nacht niemand im Hause Potter, aber es wird sich niemand finden, der darüber ein Wort verliert. Was sind schon ein paar Stunden Schlaf gegen ein Familienmitglied, das endlich nach Hause gekommen ist?

Remus & Sirius: PuzzleteileWhere stories live. Discover now