zwanzig

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Für beinahe vierundzwanzig Stunden sprach Sirius kein Wort. Es war nicht wie bei der ersten Erinnerung, dass er in eine vollständige Starre fiel. Es war auch nicht wie bei den vielen anderen dazwischen, bei denen er mit geschlossenen Augen irgendwo gesessen hatte, während die Erinnerungen wie Träume durch seinen Kopf gezuckt waren. 

Wenn Remus es hätte beschreiben sollen, hätte er es vermutlich als Wellen in einem Sturm versucht. Die spontan ausgelösten waren Wellen, die über ihm zusammenbrachen, wie damals die allererste Erinnerung. Tonks und Remus hatten ihn herausgezogen, er hatte gehustet, aber das schlimmste war überstanden. 

Die meisten anderen Erinnerungen waren wie größere Wellen, die ihn unter Wasser zogen und dann trudelte er für eine Weile orientierungslos durch die Fluten, bevor er wieder auftauchte und nach Luft schnappte. 

Die Erinnerung an Halloween war ein Tsunami. Über Wochen und Wochen hatte sich das Wasser zurückgezogen, sie hatten es alle kommen sehen, dennoch machtlos dagegen. Und gestern Abend waren die meterhohen Wellen endgültig über dem Strand eingeschlagen und hatten alle herumliegenden Häuser, Bäume und Straßen unter sich begraben. Jetzt war das Wasser fort und die Zerstörung wurde sichtbar und es war klar, das nichts wieder so werden würde, wie zuvor. 

Harry machte sich fürchterliche Vorwürfe, hatte die Befürchtung, dass er schuld war, dass Sirius jetzt die Erinnerungen zurückhatte. So viele auf einmal. Jahre, die sichtbar geworden waren. Remus war von sich selbst überrascht gewesen, wie ruhig er geblieben war. Aber irgendwie war er erleichtert. Es war immer etwas gewesen, was früher oder später passieren würde. Es war auf eine Weise entspannend, dass es jetzt vorbei war. 

Die Welle war gebrochen, die Tür in Sirius' Erinnerungsbibliothek geöffnet. Alles, was jetzt blieb, waren die Aufräumarbeiten, die Kartierung und Inventur. Dinge, die Zeit brauchten. Also brachte Remus Harry zurück nach Hogwarts. Ging einkaufen. Bereitete eine Mahlzeit zu, die sie schweigend zu sich nahmen, während Sirius' Miene wie in Stein gemeißelt war und immer ähnlicher der wurde, die Remus von vor dem 18. Juni in Erinnerung hatte. 

Und ein bisschen erlaubte er sich, um den verschwundenen, leichtherzigen Sirius zu trauern, den er vielleicht nie wieder sehen würde, und wenn, dann lag zwischen ihnen noch ein langer und steiniger Weg. 

"Können wir rausgehen?", war das erste, was Sirius nach über einem Tag des Schweigens zu Remus sagte. "Können wir...können wir nach Godric's Hollow apparieren?" 

Remus zögerte. Sirius war immer noch ein Flüchtiger und mit den ganzen Todessern draußen, war es auch sonst alles andere als sicher. 

"Bitte, Remus", murmelte Sirius leise. "Ich muss...ich muss es sehen." 

Und Remus nickte. Was hätte er auch sonst tun können? 

Sie apparierten nach Godric's Hollow. Es war vertraut, Remus kam jedes Jahr dreimal hier her. Genau zu den drei Daten, die auf den Grabsteinen standen. Einige Jahre auch zu seinem eigenen Geburtstag, einfach weil er nicht gewusst hatte, was er sonst mit sich anfangen sollte. 

Er hatte nicht genau gewusst, worauf er sich vorbereiten sollte. Würde Sirius einfach nur eine Weile das Grab anstarren? Würde er vollständig zusammenbrechen? Würde er weinen? Würde er nicht weinen? Und was von beidem war eigentlich schlimmer? 

"Wir hätten eins von diesen furchtbaren Zitronenlikören kaufen sollen", meinte Sirius, nachdem sie eine Weile schweigend über den Friedhof gelaufen waren, immer langsamer werdend, je näher sie ihrem Ziel kamen. "Die Lily immer so gerne mochte." 

Remus konnte nicht ganz verhindern, dass ein winziges Lächeln über sein Gesicht huschte. 

"Weißt du noch, als sie auf unserer Türschwelle stand und sich darüber beschwert hat, dass sie eine Weile keinen trinken darf?", fragte er. Sirius nickte. 

Remus & Sirius: PuzzleteileWo Geschichten leben. Entdecke jetzt