Mr. Lupin, Teil 1

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Ilia Lupin ist furchtbar aufgeregt. Die Buchhändlerin, die ihr ein vorgeschnürtes Paket ihrer Schulbücher über die Theke zuschiebt, denkt sich dabei vermutlich nichts. Schließlich ist Ilia elf und aktuell kommen alle Nase lang aufgeregte Elfjährige zu Flourish & Blotts. Niemand weiß, dass Ilia doppelt Grund hat, sich zu freuen, denn im Gegensatz zu den meisten anderen Erstklässlern hat sie weder seit sie denken kann auf ihren Hogwartsbrief gewartet, noch wurde sie vor Kurzem von ihm überrascht. 

Für sie ist es eine Riesensache, dass sie die Schule besuchen darf. "Vorkehrungen wurden getroffen", hat Professor Dumbledore gesagt, als er die Lupins vor einigen Wochen besucht hat. Ilia weiß nicht so genau, was das bedeutet, aber sie hat Eine Geschichte Hogwarts' schon zweimal durchgelesen und in diesem Schloss wird sich bestimmt ein Keller finden, in dem sie die Vollmonde verbringen kann. 

Viel wichtiger, das weiß sie, ist dass niemand herausfindet, was sie ist. Denn dann werden ihre Schlafsaalkameradinnen Angst vor ihr haben und wenn sie es ihren Eltern erzählen, dann muss Ilia die Schule verlassen. 

Aber das ist ja aktuell gar nicht wichtig, denn jetzt ist erst einmal der Moment, von dem sie nie dachte, dass er kommt: sie kauft Schulsachen. 

Ilia ist ungewöhnlich groß für eine Elfjährige, Dad sagt, dass das vermutlich von ihrem Wolf kommt, Mum hat nur den Kopf geschüttelt und gesagt, er soll kein dummes Zeug reden. Lupins sind alle groß, hat sie gesagt und sie hat recht. Dad ist groß, ihre Großeltern auf der Seite ihres Vaters auch. Sie hofft nur, dass sie nicht die Größte in ihrer Klasse ist, dann fällt sie so sehr auf. 

Ilia schnappt sich ihre Bücher und schaut sich um. Sie findet Mum ein wenig abseits, sie steht vor einem Bücherregal und liest sich die Titel durch. Ilia weiß, dass ihre Mum selbst nicht zaubern kann und sie behauptet auch immer, dass sie kein großes Interesse daran hat, aber ihre Augen huschen doch neugierig über die Buchrücken und verraten etwas anderes. Ilia zupft sie vorsichtig am Ärmel. 

"Ich brauch noch einen Zauberstab", sagt sie leise. Mum schaut auf und lächelt breit. 

"Wieder etwas, bei dem ich dir mit viel fachlichem Rat beistehen kann, hm?", scherzt sie und Ilia verdreht die Augen. 

"Ich kann ihn auch alleine besorgen", erklärt sie mit stolz gerecktem Kopf. Sie hat durchs Schaufenster beobachtet, dass viele Kinder allein in den Laden von Mr. Ollivander gegangen sind. Ist das vielleicht eine Art Ritual? Eine Mutprobe? Nicht, dass es am Ende total peinlich ist, seine Mum zum Zauberstabkaufen mitzunehmen. 

"Unsinn", sagt Mum sofort. "Was soll ich denn in der Zwischenzeit allein hier? Mir Besen anschauen?" Sie nimmt Ilia die Bücher ab und hakt sich dann mit einem Augenzwinkern bei ihrer Tochter unter. "Na komm." 

Ilia lässt sich von ihr mitziehen. 

"Du könntest in den Blumenladen schauen!", schlägt sie dann vor und deutet auf einen Floristen zwei Häuser weiter. "Du magst doch Blumen!" 

Mum schaut sie prüfend an. 

"Willst du mich etwa loswerden, junge Dame?", fragt sie, gespielt entsetzt. Ilia verdreht die Augen. Sie hasst es, wenn ihre Mutter sie "junge Dame" nennt. Etwas daran stört sie, sitzt nicht richtig. 

"So meinte ich das gar nicht!", rudert sie trotzdem schnell zurück, nicht dass ihre Mutter am Ende wirklich gekränkt ist, aber Mum lacht nur leise und lässt ihren Arm los, um ihr einen kleinen Klaps auf den Rücken zu geben. 

"Na dann mach schon, du Schulkind, du", sagt sie. "Ich warte beim Blumenladen. Wenn du mich nicht findest, hat mich irgendeine magische Schlingpflanze gefressen." Sie zieht eine Grimasse und Ilia lacht, bevor sie schnell auf Mr. Ollivanders Laden zugeht. Gerade kommt ein kleines Mädchen mit einer riesigen Menge an roten Locken heraus, in der Hand stolz einen schmalen Stab aus Holz, je ein Elternteil an ihrer Seite und im Schlepptau ein zweites Mädchen mit dünnen blonden Haaren, das etwas älter und außerdem ziemlich schlecht gelaunt aussieht. 

Ilia schlüpft an ihnen vorbei und betritt den Laden. Sofort erstirbt das Geräusch der Straße. Sie schaut sich um, es ist furchtbar staubig und überall sind hohe Regale mit Zauberstabschachteln. Nirgendwo ist ein Verkäufer zu sehen. Sie tritt näher an den Verkaufstisch, um zu schauen, ob irgendwo eine Klingel ist oder so, aber sie findet nichts. 

Wie aus dem Nichts raschelt es auf einmal hinter ihr und sie fährt herum. Da steht ein älterer Herr. Wie er dort hingekommen ist, ohne dass Ilia es gemerkt hat, ist ihr ein Rätsel. 

"Mr. Lupin", sagt er ruhig. "Ich hatte schon auf Sie gewartet." 

Ilia runzelt die Stirn und richtet sich ein wenig auf. 

"Miss", korrigierte sie ihn. Einen langen Moment schaut er ihr direkt in die Augen, ohne zu blinzeln. Dann breitet sich ein geheimnisvolles Lächeln auf seinem Gesicht aus. 

"Miss", wiederholt er leise. "Natürlich." Einen weiteren Augenblick mustert er sie, dann macht er eine einladende Handbewegung in Richtung der Regale. "Zauberstab?"




Entschuldigt, dass es wieder so kurz ist, nächste Woche ist wieder länger. Danke für euer Verständnis, dass ich im Augenblick auf ein Kapitel in der Woche runtergehen muss. Noch einmal für alle, die den Post auf meinem Nachrichtenboard nicht gesehen haben: ich komme wegen meiner Arbeit gerade nicht mit dem Schreiben hinterher und muss die vorgeschriebenen Kapitel etwas strecken, deshalb kommen bis Mitte Juni erstmal nur noch montags Kapitel. Dann habe ich vorraussichtlich wieder mehr Zeit zum Schreiben und kann aufholen, dann wird der Donnerstag wieder aktiviert :)

Außerdem eine wichtige Sache bezüglich trans Menschen: diesem Kapitel folgen noch einige andere aus Remus' ersten Schuljahren (nicht direkt, aber im Verlauf der Geschichte gelegentlich), in denen ich über ihn als Ilia und mit dem Pronomen sie schreibe. Dies tue ich ausschließlich, weil sie aus seiner Sicht sind und er sich selbst in diesen Momenten noch nicht als Remus und er gesehen hat. Ihr werdet merken, wie sich das langsam verändern wird. Das innere Coming Out ist eine recht große Sache für manche trans Menschen, während andere es eigentlich schon immer wussten. Remus gehört allerdings zur ersten Kategorie.

Das bedeutet aber nicht, dass wenn ihr mal in Verlegenheit kommt, über eine trans Person vor ihrer Transition zu sprechen, dass ihr dann ihren Geburtsnamen oder andere Pronomen benutzen solltet. Bitte benutzt immer den richtigen Namen und die richtigen Pronomen, selbst wenn ihr euch Kinderfotos von eurem männlichen Freund anschaut, wie er mit vier Jahren mit zwei Zöpfen in einem Tutu Ballett getanzt hat oder wie er mit vierzehn am Strand einen Badeanzug trägt, in dem man eindeutig sehen kann, dass er mal sehr feminine Proportionen hatte und selbst wenn du weißt, dass die Person erst mit Anfang zwanzig selbst gemerkt hat, dass sie trans ist und zum Zeitpunkt der Fotos eigentlich ziemlich okay mit ihrem Geburtsgeschlecht war/zu sein schien.

Remus & Sirius: PuzzleteileWhere stories live. Discover now