Kapitel 1 - 2011

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Endlich hatte ich es geschafft, die Prüfungen waren rum, die Arbeit bestanden und das Zeugnis hielt ich in Händen. Es konnte losgehen mit allem, was ich mir die letzten Jahre wünschte.

»Tanja, wo bleibst du denn? Glaubst du, die Kisten schleppen sich allein?« Nur kurz blinzelte ich, bevor ich die Stimme meiner besten Freundin ausmachen konnte und mich lächelnd ihr zuwandte.

»Nein, nicht wirklich. Aber ich finde, ihr macht das schon wirklich gut«, lachte ich sie an, ging aber trotzdem zu ihr und nahm ihr die Kiste ab. Noch bevor sie mir einen bissigen Kommentar an den Kopf werfen konnte, verschwand ich damit in einem der chaotischen Räume, der mal unsere Küche werden sollte. Unser Studium hatten wir erfolgreich abgeschlossen, jetzt wollten wir die Welt erobern. Am besten gemeinsam. Aus diesem Grund, hatten wir uns auch eine gemeinsame Wohnung genommen, nachdem klar war, dass wir beide in Manchester bleiben würde. Ich wüsste auch gar nicht, was ich ohne Julia tun sollte. Denn sie hatte mich durch dieses Studium geschliffen, mich motiviert und war einer der Gründe, wieso mein Abschluss doch noch so gut geworden war. Aber heute wollte sie mich ganz bestimmt nicht unterstützen, wenn ich nicht langsam damit anfing die Wohnung einzuräumen. All unser Zeug war von unseren Freundin schon hergeschleppt worden, Julias Eltern waren schon wieder weg und es blieb nicht mal mehr viel zu machen. Und trotzdem war es mir ein bisschen zu viel.

Wenn ich eines nicht mochte, dann waren es Veränderungen. Meine Flucht damals aus London nach Manchester steckte mir selbst nach den ganzen Jahren noch in den Knochen. Umso größer war mein Dank, dass Julia mit mir zusammenzog. So musste ich mich nur an die neue Wohnung und den neuen Job gewöhnen, aber nicht an eine neue Wohnsituation. So gut es ging, versuchte ich ihr nicht zu zeigen, wie es mir gerade ging. Ich räumte betont ruhig sämtliches Geschirr in die Schränke, wischte die Arbeitsflächen und den Boden, verstaute unsere wenigen Vorräte im Kühlschrank und der kleinen Abstellkammer und positionierte die frischen Blumen ihrer Mum auf dem Küchentisch. Es waren bunte Gerbera mit irgendwelchen kleineren Blumen, die ich nicht kannte. Die mir aber gut gefielen. Sie gaben dem tristen, grauen Wetter draußen einen guten Kontrast. Denn so wirkte es hier drin viel freundlicher.

Als ich das nächste Mal Julias Stimme hörte, war die Küche komplett fertig eingeräumt und die Kisten bereits zusammengefaltet.

»Wow, ich hätte dich eher anschnauzen sollen«, stellte sie lächelnd fest und kam zu mir. Wie sie es immer tat, schlang sie ihren Arm um meine Schultern und drückte mich an sich. Es tat gut zu wissen, dass sie nicht böse war. Das konnte ich wirklich nicht gebrauchen.

»Oder aber ich hätte einfach eher aufhören können zu träumen. Was müssen wir noch machen?« Wie immer, sah ich zu ihr auf. Aber das lag nur daran, dass sie mich mit ihren 1,80m eindeutig überragte. Ihre langen dunklen Haare waren zu einem Zopf gebunden, ihr Gesicht war ungeschminkt und genauso fand ich sie am schönsten. Sie trug, genauso wie ich, eine Jogginghose und einen einfachen Hoodie. Das hier war schließlich ein Umzug und kein Schönheitswettbewerb. Neben Julia fühlte ich mich immer ein wenig klein, und das nicht nur körperlich. Sie dagegen verstand das jedes Mal aufs Neue nicht, wenn ich ihr so etwas sagte. Dann lachte sie schallend und zeigte meine Vorzüge auf. Die, die sie zumindest bei mir sah.

»Naja, so viel ist es gar nicht mehr. Deine Kisten stehen in deinem Zimmer, das Bad müsste eingeräumt und geputzt werden. Und dann im Wohnzimmer die letzten Teile einräumen. Aber ich hab Hunger. Lass uns erstmal was zu essen besorgen.«

»Geh du ruhig, ich mach hier weiter«, bat ich sie und auch wenn es ihr nicht zugefallen schien, nickte sie ruhig.

»Ich bin für dich da, wenn du reden willst. Das weißt du doch, oder?«, fragte sie mich und dieses Mal nickte ich. Das war sie doch immer.

LESEPROBE - UnvergessenWhere stories live. Discover now