Kapitel 6

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Ein wenig zu schnell drehte ich mich von den beiden weg und versuchte zu verbergen, wie sehr mich ihre Anwesenheit störte. Es war gemein von mir, aber ich wollte allein sein. Mit Philipp. Wie sonst sollte ich herausfinden, was das werden konnte. Oder was ich überhaupt wollte. Denn auch wenn er bereits seit einigen Minuten verschwunden war, hatten sich meine Gedanken kein Stück geklärt. Sie waren noch immer so verworren, wie in seiner Nähe. Und genau das ärgerte mich. Ich wusste nicht, wie wir jetzt miteinander umgehen wollten. Hatten diese Küsse überhaupt etwas bedeutete, oder waren sie nur zu seinem Vergnügen geschehen? Sein Gesichtsausdruck fiel mir ein, als ich ihm das vorwarf und wie dunkel seine Augen dabei worden. Demnach konnte es ja nicht so sein. Außer er war ein wirklich guter Schauspieler.

»Tanja?«, sprach Theo mich mit sanfter Stimme an und ich drehte mich mit einem gequälten Lächeln auf den Lippen zu den beiden. Seine Augen strahlten Ruhe und Sanftmut aus und ich konnte mir gut vorstellen, dass er das perfekte Gegenstück für meine immer aufgedrehte Freundin sein konnte.

»Ja?«, reagierte ich auf meinen Namen und wartete ab. Es wirkte, als würden ihm die nächsten Worte nicht leichtfallen, aber es wären sie wichtig. Denn sein Blick wanderte immer wieder zwischen mir und Julia hin und her, die ihm aber aufmunternd zu nickte. Also hatten sie bereits darüber gesprochen. Es versetzte mir einen Stich, dass die beiden nach so kurzer Zeit so eng verbunden zu sein schienen, obwohl ich dazu überhaupt kein Recht hatte.

»Weißt du, Philipp macht gerade echt ne harte Zeit durch. Und auch wenn ich ihn sehr mag, manchmal ist er nicht nett zu den Frauen. Es ist mir wirklich unangenehm, aber von Julia weiß ich, dass du sonst niemanden an dich ranlässt. Ich will dir nichts vorschreiben, wirklich nicht. Aber sei vorsichtig. Bitte«, bat er mich, und obwohl ich sauer sein wollte, dass Julia mit ihm über solche Dinge sprach, war ich ihr dennoch dankbar. Denn Theo kannte seinen Freund, er konnte ihn einschätzen und seine Bitte oder auch seine Warnung war gut gemeint. Und genau das, was ich brauchte. Denn Theo sprach meinen schlimmsten Gedanken aus, dass Philipp nur mit mir spielte und es nutzte, dass ich keinerlei Ahnung von Männern hatte.

»Warum warnst du mich? Vor deinem Freund? Solltest du nicht auf seiner Seite stehen?«, wollte ich dennoch verunsichert von ihm wissen, und er schenkte mir ein trauriges Lächeln.

»Das sollte ich. Aber diese Beziehung hat ihn viel Kraft gekostet. Er war vor Ginny ein wirklicher Aufreißer. Sie hatte es ihm ausgetrieben, bis vor wenigen Monaten. Da fing er an sie zu betrügen, und sie nahm es anfänglich hin. Er ist kein schlechter Mensch, aber manchmal scheint es bei ihm auszusetzen. Leider. Als er begriff, dass er sie verlieren würde, wollte er sich ändern, aber da war es zu spät. Ich finde dich nett. Und du hast es nicht verdient sein Punshingball zu werden, nur weil er mit seiner Welt nicht klar kommt.«

Theos Worte trafen mich mitten ins Herz, denn genau das befürchtete ich selbst. Ich war doch schon nach diesem einen Tag viel zu tief drin. Es machte mir große Angst, dass es so war. Und hatte bisher keine Ahnung, ob ich es weiterhin zu lassen sollte oder nicht. Die Warnung seines besten Freundes jedoch half mir, mich zu entscheiden und so straffte ich die Schultern und sah Theo mit entschlossenem Blick an. Er schien über meinen Ausdruck verwundert, denn wieder sah er zu Julia, die ihn aber nur angrinste. Sie kannte mich zu gut und wusste, dass ich mich so leicht nicht um den Finger wickeln ließ. Nicht, wenn ich es nicht wollte und nicht zuließ. Philipp würde mir nicht noch einmal so nahe kommen. Es war schön und aufregend, aber mein Herz war mir zu heilig. Welches sofort verräterisch hüpfte, als es an der Tür klingelte und Philipp wenig später im Flur stand. Seine Wangen waren von der Kälte gerötet, seine Nase ebenso und seine Haare hingen ihm wild in die Stirn. Erst als Theo ihm die vier Pizzakartons aus der Hand nahm, strich er sie sich nach hinten und schenkte mir dieses schräge Grinsen, dass mein Blut in Wallung brachte. Aber das durfte ich nicht zulassen oder musste versuchen es zu ignorieren. Also, drehte ich mich von ihm weg, ohne etwas zu sagen und suchte nach Servietten, Besteck, Gläsern und brachte alles mit unseren letzten Bieren ins Wohnzimmer. An Philipp direkt vorbei, der mich verwundert anblickte und dessen herber Duft mir in die Nase stieg, als ich ihm ein wenig zu nahe kam.

LESEPROBE - UnvergessenWhere stories live. Discover now