Kapitel 4

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"Zu spät", war seine leise Antwort und dennoch hörte ich den unsicheren Unterton.

"Was meinst du damit?", konnte ich nicht aufhören nach zu bohren, obwohl ich spürte, dass es ihm unangenehm war. Mir waren auch einige Dinge nicht recht, aber so konnte ich mich definitiv besser davon ablenken, als wenn wir uns auf mich konzentrierten.

"Nachdem du verschwunden bist. Hätte ich es eher kapiert, hättest du nicht abhauen müssen. Und ich hätte für dich da sein können, als du unser Baby verloren hast."

Stocksteif saß ich ihm gegenüber, als er genau das aussprach, was ich ihm sagen sollte. Musste. Und nicht über die Lippen brachte. Philipps Stimme klang so gebrochen, so traurig. Woran ich schuld war.

"Aber lass uns jetzt nicht über solche Dinge sprechen. Es geht uns wieder gut und wir haben uns wiedergefunden. Das ist alles, was für mich zählt."

Damit zog er mich wieder in seine Arme und ich wehrte mich nicht. Meine Zunge war an meinem Rachen festgewachsen. Es war der Moment, auf den ich gewartet hatte. Er sprach das Thema selbst an und es wäre ein Leichtes gewesen, es ihm zu sagen. Aber ich tat es nicht, ließ zu, dass er sich hinter mich legte, seinen Arm um meine Taille schlang meine Hand ergriff. Seine Nase drückte sich in meinen Nacken, seine Lippen küssten mich sanft, bevor seine Atemzüge immer flacher und regelmäßiger wurden.

Ich dagegen konnte nicht eine Sekunde lang an Schlaf denken. Ein Fluchtgedanke machte sich in mir breit. Hier abhauen, nach Hause laufen, so schnell ich konnte, Stephan schnappen und ein weiteres Mal einfach verschwinden. Dieses Mal aber ohne Julia oder jemandem andern Bescheid zu geben. Ich könnte mich verstecken, bis Philipp seinen Hass auf mich vergaß und dann mich. Es wäre so leicht, und doch blieb ich einfach liegen und genoss seine verdammte Nähe, bis auch mir irgendwann die Augen zufielen.

***

Doch mein Schlaf hielt nicht lange an. Ich träumte von einem gemeinsamen Leben und zwang mich aufzuwachen.

Ich wusste gar nicht mehr, warum ich mich auf ihn einließ. Es ergab damals schon keinen Sinn und auch jetzt, wusste ich keine Antwort darauf. Vielleicht war es sein Aussehen, vielleicht waren es die Tattoos, vielleicht seine tiefe Stimme oder vielleicht war es auch einfach sein Geruch. Eines davon musste es auf jeden Fall gewesen sein, denn sonst würde ich mich nicht schon wieder in seinen Armen befinden.

So lange hatte ich es geschafft, gegen diesen Mann anzukommen. Hatte Kontaktversuche ignoriert, mich gegen Treffen gestellt und mir eingeredet, dass ich ihn nicht mehr brauchte.

Doch all das war vergessen, als ich ihm tatsächlich gegenüberstand und Philipps grüne Augen mich anstrahlten, als hätte er sich seinen größten Wunsch erfüllt. Ich war darauf nicht vorbereitet, ich konnte nicht mit den auf mich einfallenden Gefühlen umgehen und war machtlos.

Sein Blick hatte mich im ersten Moment gefangen genommen und mich nicht mehr losgelassen. Ich kam mir unter seiner Musterung nackt vor, aber es fühlte sich gut an. So wie es schon immer war. Mein Freund zu Hause war vergessen, es gab nur noch ihn und mich.

Und jetzt lag ich hier, wirklich nackt und mit einem so großen Kloß im Hals, dass ich keuchend um Luft rang. Philipps Brust unter meinem Kopf hob und senkte sich in ruhigem Rhythmus, er musste tief und fest schlafen. Seine Lippen umspielte ein sanftes Lächeln, dass seine allgemeine Zufriedenheit nicht verbergen konnte.

Nach vier Jahren hatte er bekommen, was er wollte, hatte mich in sein Bett gezerrt und mich vor unlösbare Probleme gestellt. Denn mit seinem Auftauchen kamen auch die Gefühle für ihn zurück. Und schon jetzt war mir klar, dass ich ihn nie wirklich vergessen hatte. Sondern einfach nur verdrängt. In mir tobte ein Sturm der unterschiedlichsten Gefühle. Und mein Fluchtinstinkt war dabei am größten.

LESEPROBE - UnvergessenWhere stories live. Discover now