Kapitel 10

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Die nächsten Tage zogen sich wie Kaugummi. Auf Arbeit saß ich wie auf heißen Kohlen, während ich abends keinen klaren Gedanken mehr fassen konnte. Julia hatte gefragt, ob sie die Woche bei Theo verbringen konnte und was hätte ich dagegen sagen können? Wir gingen jeden Tag zusammen Mittag essen, sahen uns und sprachen. Meistens über die beiden, denn bei mir passierte nichts. Überhaupt nichts. Wenn ich Philipp in einem Meeting sah oder ihm im Büro über den Weg lief ignorierte ich ihn weiterhin und er machte auch keine Anstalten mehr auf mich zuzukommen. Seine Abweisung tat weh, aber genauso hatte ich es ja gewollt. Wenn er mich nicht wollte, sollte er sich fernhalten. Und das tat er. Dennoch war es schwer es zu akzeptieren und nicht meine eigene auferlegte Regel zu brechen. Ich kannte ihn kaum, und doch wollte ich ihn in meiner Nähe. Diese drei Tage waren aufregend gewesen und jetzt war einfach alles wieder langweilig. Jede Nacht träumte ich von ihm oder von uns und war Freitagnacht nahe dran durchzudrehen.

Die Flasche Rotwein vor mir war bereits zu drei viertel geleert, mein Kopf dröhnte und ich konnte mein Handy kaum aus der Hand legen. Es war bescheuert, dass er mich so beeinflusste, aber ich konnte nichts dagegen tun. Philipp hatte ein Feuer in mir entfacht, das mich täglich daran erinnerte, dass es neues Futter brauchte. Mehr als einmal starrte ich auf das dunkle Display und überlegte fieberhaft, wie ich es dazu bringen konnte, das es endlich leuchtete, klingelte oder vibrierte. Es war mir vollkommen egal. Hauptsache es geschah überhaupt etwas und es wäre Philipp, der sich meldete. Diese ständige Unruhe war nicht auszuhalten und ich hatte ihr nichts entgegenzusetzen. Sie brannte sich immer tiefer, genau wie das Verlangen danach, ihn selbst anzurufen. Diese Blöße wollte ich mir aber nicht geben, und so schmiss ich das Teil auf die andere Seite des Sofas und verfluchte Philipp Thompson. Denn er allein war schuld daran, dass ich mich selbst verlor und nach einer Woche nicht mehr selbst erkannte.

Der Fernseher lief, aber ich bekam überhaupt nicht mit was. Es war schon weit nach Mitternacht und seit Stunden grübelte ich darüber nach, wie es weitergehen konnte, ohne das ich den Verstand verlor. Ich musste mich ablenken. Ich musste Philipp aus meinem verbannen und endlich wieder ich sein. Das hörte sich jedoch leichter an, als es sich gestaltete. Mit Schwung füllte ich den restlichen Wein in mein Glas und nahm einen großen Schluck.

Natürlich war Alkohol nicht die Lösung meiner Probleme, und morgen würde ich es sicher bereuen. Aber in diesem Moment vernebelte er meine Sinne so sehr, dass ich sogar die Augen schließen und an etwas anders als Philipp denken konnte. Der Moment wurde ab jäh unterbrochen, als es Sturm klingelte. Sofort begannen die befürchteten Kopfschmerzen und ich stellte mein Weinglas etwas zu schwungvoll auf dem Tisch ab. Wankend erhob ich mich, brauchte einige Sekunden um mein Gleichgewicht zu finden und war dann äußerst stolz auf mich, als ich ohne zu stolpern bis zur Tür kam. Mein weingeschwängerter Kopf dachte nicht daran nachzufragen und drückte einfach den Summer. Kühle Luft schlug mir aus dem Hausflur entgegen, als ich die Tür öffnete und zumindest half sie dabei, dass mein Verstand langsam wieder einsetzte. Der Sauerstoff tat gut und ich war froh darüber, dass mein Kopf sich klärte, denn sonst hätte ich wahrscheinlich gekreischt, als ein Mann die Treppen hochgestürmt kam. So aber erkannte ich sofort die Körperhaltung, die Frisur und den Gang. Mit offenem Mund starrte ich Philipp an, der schwerfällig die Treppen hochstieg und sich bei seinem Tempo am Geländer festhalten musste.

Mein Entschluss ihn abzuhaken geriet ins Wanken, als er mich mit leuchtend grünen Augen ansah und mich musterte. Warum passierte es mir immer nur in seiner Anwesenheit, unangemessen gekleidet zu sein. Denn durch die mollige Wärme in unserer Wohnung trug ich nur eine kurze Shorts und ein Trägertop. Der Wein hatte sein Übriges getan.

Ohne ein Wort des Grußes ging Philipp an mir vorbei, ließ mich verdattert an der Tür zurück, während er sich ziemlich unelegant den Mantel auszog. Er schwankte bedrohlich, als er sich Richtung meines Zimmers aufmachte. Ein eiskalter Wind zog an mir vorbei und schnell schloss ich dir Tür hinter mir. Lehnte mich aber dagegen und beobachtete weitere stumm, wie Philipp die Flasche Wein im Wohnzimmer entdeckte, dahin abbog und mit ihr gemeinsam in meinem Zimmer verschwand.

LESEPROBE - UnvergessenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt