Kapitel 1: Himmelblau

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Southside Festival, 2017

„Helgaaaaaaaa!", tönte die laute Stimme meiner besten Freundin durch die Dunkelheit. Zu sehen war sie allerdings noch nicht. Ich warf einen kurzen Blick zu Niklas, welcher neben mir saß und begann zu grinsen. Es dauerte nicht lange bis weitere „Helga" Rufe über den Zeltplatz schallten und ich konnte mir Lolas verwirrten Gesichtsausdruck nur zu gut vorstellen. Sie war vor ungefähr einer Stunde verschwunden um auf die Toilette zu gehen. Vermutlich hatte sie noch bei dem ein oder anderen Pavillon Halt gemacht, denn ihrer Stimmlage nach zu urteilen war sie nicht mehr ganz nüchtern.

„Helga ist tot!", kam es von Feli, welche neben Niklas saß und kurz darauf erschien auch schon die große Blondine unter unserem quietschgelben Pavillon.

„Seid ihr irgendwie umgezogen? Ich hab' euch ums verrecken nicht mehr gefunden", fragte sie aufgebracht und ließ sich in ihren grünen Campingstuhl fallen.

Ich lachte kurz und nahm einen Schluck aus meiner Bierflasche. „Wir sind nicht umgezogen. Du hast unterwegs wohl zu viele Kurze mitgenommen", grinste ich meine beste Freundin an, welche unschuldig mit den Schultern zuckte und ebenfalls grinste.

Ich ließ meinen Blick durch die Runde schweifen, welche neben mir aus 5 weiteren Personen bestand, und seufzte leise. Es war so schön, wieder mit allen zusammen zu sein. Wieder auf dem Southside Festival zu sein.

Es war fast genau 3 Jahre her, dass wir alle uns auf genau diesem Festival kennen und lieben gelernt haben. Felicitas und Niklas waren seit 6 Jahren ein Paar und haben damals, 2014, ihr Zelt direkt neben dem von Lola und mir aufgebaut und es hat ganze 2 Stunden und einige Kurze gebraucht, bis wir mit unter ihren Pavillon gezogen sind. Mit unseren damals süßen 20 Jahren war es für Lola und mich der erste Festivalbesuch weswegen wir an eben jenen überhaupt nicht gedacht hatten.

Lilly und Robin sind wir dann nacheinander auf dem Festivalgelände begegnet. Robin rempelte mich ausversehen an was dazu führte, dass ich eine ganze Ladung Bier verschüttete. Zur Versöhnung zahlte er die nächste Runde und wurde sofort in unsere Gruppe mit aufgenommen. Lilly hatte ihre Freundin irgendwo in der Menge verloren und nachdem wir ihr geholfen hatten sie wiederzufinden, schlossen die beiden sich uns ebenfalls an. Und daraus ist eine wundervolle Freundschaft und eine tolle Clique entstanden. Was eigentlich nur zum Spaß gemeint war wurde in die Tat umgesetzt und seither kamen wir jedes Jahr zum Southside zusammen. Dieses Jahr war allerdings das erste in welchem Frieda, Lillys verlorene Freundin, nicht dabei sein konnte. Sie hatte gerade erst einen neuen Job angefangen und konnte sich nicht freinehmen. Sie hatte aber hoch und heilig versprochen beim nächsten Treffen im Oktober dabei zu sein, denn Robin würde seinen 30. Geburtstag feiern.

Natürlich trafen wir uns alle mehrmals im Jahr, was leider nicht immer ganz einfach war. Robin, Feli und Niklas lebten in Berlin, während Lilly und Frieda in Hamburg wohnten. Lola und ich kamen aus Erfurt. Unsere Wohnorte erschwerten unsere Treffen natürlich ungemein, doch bisher haben wir es immer irgendwie hinbekommen.

„Mina?", riss mich plötzlich jemand aus meinen Gedanken und ich schreckte auf. Feli hatte die Augenbrauen zusammengezogen und musterte mich etwas besorgt. „Alles in Ordnung?", fragte sie, woraufhin sie von mir nur ein Lächeln bekam. Ich stieß mit meiner Bierflasche gegen ihre und antwortete: „Es könnte gar nicht besser sein."


Am nächsten Morgen wurde ich von Krach vor meinem Zelt geweckt. Ich schälte mich aus meinem Schlafsack und blieb noch einen Moment einfach auf dem Rücken liegen. Mir war unglaublich warm und ich zog mir den dicken Pullover über den Kopf. Nachts konnte man nie genug anziehen und morgens, sobald die Sonne aufging, ging man ein wie in der Sauna.

„Boah, Robin! Du macht das noch kaputt, hör auf damit!", hörte ich Lilly quietschen und im nächsten Moment schepperte es schon laut. Ich seufzte kurz und schloss die Augen. Der Morgen wäre nicht der gleiche, wenn Lilly und Robin sich nicht da schon gegenseitig auf den Sack gehen würden.

Ich rollte mich auf den Bauch, zog den Reisverschluss meines Zelts auf und steckte den Kopf hinaus. Die beiden Streithähne standen unweit von mir entfernt und starrten auf den Campingkocher, welcher in seinen Einzelteilen vor ihnen auf dem Boden lag. Das hat also so gescheppert.

Feli und Niklas saßen in ihren Campingstühlen am Tisch und beobachteten das Schauspiel amüsiert. Von Lola war noch keine Spur zu sehen und mit einem Blick auf ihr Zelt stellte ich fest, dass dieses noch geschlossen war. Da musste vermutlich noch jemand seinen Rausch ausschlafen.

Langsam krabbelte ich nach draußen und streckte mich erstmal ausgiebig. „Guten Morgen!", rief ich fröhlich in die Runde. Robin und Lilly waren viel zu sehr in ihre Diskussion vertieft, als das sie mir antworten konnten. Ich ließ mich neben Feli in meinen Stuhl fallen und sofort wurde mir eine Tasse mit dampfendem Kaffee von der rothaarigen unter die Nase gehalten. Dankbar lächelte ich sie an und nahm die Tasse entgegen. Kurz danach erschien eine Packung Zigaretten vor mir, ebenfalls von Feli, und nun begann ich zu grinsen.

„Du kennst mich halt", sagte ich zu ihr, während ich einen der Glimmstängel aus der Verpackung zog und ihn anzündete. Feli zuckte nur grinsend mit den Schultern und ließ sich in ihrem Stuhl wieder zurückfallen.

Als sich dann auch Lilly und Robin mit einer großen Pfanne Rührei und Speck zu uns gesellten und irgendwann auch Lola aus ihrem Dornröschenschlaf erwachte, machten wir uns an die Tagesplanung für den heutigen Samstag. Während ich den Timetable studierte, ratterte ich vor meinen Freunden runter wen ich heute auf jeden Fall sehen wollte. „Also da hätten wir Flogging Molly, Clueso, SDP und Gloria. Die überschneiden sich aber mit Clueso, also bin ich bei Gloria raus."

Bei SDP stimmten natürlich alle mit ein, die wollten wir uns nicht entgehen lassen. Während Robin und Niklas aber lieber zu Gloria wollten, schlossen die Mädels sich mir an. Bei Flogging Molly waren dann Feli und Lilly raus, die wollten lieber zu Kodaline.

Ich warf einen Blick auf die Uhr in meinem Handy und stellte fest, dass es gerade mal halb 12 war. Wir hatten also noch massig Zeit.

„Was haltet ihr davon, wenn wir in Ruhe frühstücken und dann langsam aufs Gelände gehen? Können ja noch ein bisschen bummeln", schlug meine beste Freundin vor, was auf Zustimmung traf.

Und so machten wir uns eine Stunde später auf den Weg zum Gelände. Von den 4 Stages hörte man schon die ersten Bands spielen. Ich harkte mich bei Lola unter und gemeinsam schlenderten wir an den unzähligen Merchandise Ständen und Fressbuden vorbei. Zwischendurch machten wir immer mal wieder kurz Pause um uns Bier zu holen.

Gegen dreiviertel 4 machten wir Mädels uns auf den Weg zur Blue Stage auf der in einer halben Stunde Clueso auftreten würde. Von dem waren Lola und ich natürlich schon Fans seit wir denken konnten. Und als gebürtige Erfurter gehörte sich das natürlich auch so.

Nachdem wir es geschafft hatten relativ nah an die Bühne zu kommen, verschwanden Feli und Lola nochmal um für Biernachschub zu sorgen. Lilly und ich machten es uns auf dem Boden gemütlich. Wir quatschten über alles Mögliche und es dauerte auch nicht lange bis Feli und Lola wieder zu uns stießen. Da es ziemlich warm war, nahm ich erst einmal einen großen Schluck von dem eiskalten Bier. Ich lehnte mich leicht nach hinten und stützte mich mit meinen Armen hinter mir auf dem Boden ab.

„Ich hoffe, er spielt Fanpost", kam es von Lola welche neben mir saß und sich gerade eine Zigarette drehte. Als sie damit fertig war wollte sie sie gerade anzünden, doch ich war schneller und schnappte sie ihr aus der Hand, ehe ich sie selber zwischen meine Lippen steckte. „Ey Mina!", kam es von ihr und sie verdrehte die Augen. Ich grinste nur und zündete die Zigarette an. Gerade wollte ich etwas zu ihr sagen, als ich spürte, wie mir jemand auf die Hand trat. Ich quiekte kurz auf und zog meine Hand sofort an meine Brust. Als ich mich umdrehen wollte um zu sehen wir mir da so ungalant auf die Hand getreten war, ergoss sich plötzlich auch noch ein Schwall Bier über Lola. Wie ein begossener Pudel saß sie da und wusste gar nicht was sie sagen sollte. Wir 4 sahen uns kurz geschockt an bis Lilly, Feli und ich begannen zu lachen. Die Blicke der beiden wanderten an mir vorbei nach oben und Lilly war die erste die schlagartig verstummte.

Wie es geht || Dag-Alexis KopplinWaar verhalen tot leven komen. Ontdek het nu