Kapitel 9: Neujahrsvorsatz

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„Alter, was kannst du eigentlich?"

„Mehr als du, jetzt gib' mir die Scheißteile endlich!"

„Wie schwer kann das eigentlich sein? Du musst nur die scheiß Reisnägel da reindrücken."

„Vincent, ich hau' dir gleich so dermaßen aufs Maul, wenn du nicht die Fresse hältst."

Amüsiert beobachtete ich die beiden Männer vor mir, welche gerade versuchten einen „Happy New Year" Banner an der Wand im Wohnzimmer zu befestigen. Dag stand auf einer Leiter und hielt das Banner fest, während Vincent ihm die Reisnägel reichen sollte. Doch seit ungefähr 10 Minuten stritten die beiden so fürchterlich, wie ein altes Ehepaar.

Lola trat kopfschüttelnd neben mich und stemmte die Hände in die Hüften. „Wird das heute noch was oder sollen wir es einfach bleiben lassen?", fragte sie die beiden, welche ihr gleichzeitig, über ihre Schultern, einen bösen Blick zuwarfen. Während meine beste Freundin beschwichtigend die Hände hob, lachte ich.

Grinsend räumte ich weiter die Getränke in den Kühlschrank und mein Blick fiel auf Henry, welcher gerade dabei war Schüsseln mit Knabbereien zu füllen. Seit dem Gespräch gestern Abend hatten wir nicht wirklich viel miteinander gesprochen. Er war sauer, dass wusste ich. Jedoch erschloss sich mir der Grund nicht. War ja nicht so, dass ich ihm unterbreitet hatte, welche Gefühlsachterbahn ich fuhr. Ich musste doch selber erstmal damit klarkommen, was Dag mir gestern erzählt hatte. Alles wäre so viel einfacher, hätte er mir schon früher davon erzählt. Doch ihn traf keine Schuld, ich hätte genauso den ersten Schritt machen können.

Und obwohl ich überhaupt nichts getan hatte, plagte mich das schlechte Gewissen. Und zwar gegenüber Henry. Es war so leicht für Dag gewesen, alle meine versteckten Gefühle an nur einem Abend wieder herauszuholen. Und ich konnte doch nicht so für jemand anderen empfinden, wenn ich mich gerade in einer Beziehung befand.

Ich seufzte leise und versuchte die Gedanken aus meinem Kopf zu scheuchen. Wir hatten uns darauf geeinigt Freunde zu bleiben. Dag hatte die Reißleine gezogen und ich sollte dasselbe tun.

„Rutsch' mal, Prinzessin." Zwei Hände legten sich an meine Hüften und schoben mich schwungvoll zur Seite. Und da war es wieder. Dieses Kribbeln in meinem Bauch, wenn Dag mich berührte oder mich mit diesem bescheuerten Spitznamen ansprach.

Er holte sich eine Flasche Bier aus dem Kühlschrank und grinste mich an. Ich warf einen Blick über meine Schulter und stellte fest, dass die Jungs das Banner mittlerweile erfolgreich befestigt hatten. Ich schob Dag wieder zur Seite und sagte: „Wie ich sehe, habt ihr es endlich geschafft? War bestimmt die schwerste Arbeit von allen."

Mit seinem Zeigefinger stupste er mir in die Seite, woraufhin ich kurz aufschrie und ihm gegen die Schulter boxte. Erschrocken zuckte ich zusammen, als neben mir eine der Glasschüsseln mit einem lauten Knall auf die Arbeitsplatte gedonnert wurde. Mein Blick wanderte zu Henry, welcher uns mit starrem Blick musterte.

Dag räusperte sich, murmelte etwas Unverständliches und verschwand dann wieder aus der Küche. Ich drehte mich zu meinem Freund und lehnte mich gegen die Theke. „Willst du hier alles kaputt machen?", fragte ich ihn neckend und hoffte, damit die Wogen zwischen und glätten zu können. Henry schüttelte nur etwas ungläubig den Kopf und widmete sich wieder den Chips. „Ich bin nur der Lückenbüßer, stimmts?", fragte er mich plötzlich aus dem Nichts und überrascht sah ich ihn an. „Was meinst du denn jetzt damit schon wieder?"

Henry sah mich aus seinen grünen Augen verletzt an. „Ich bin nicht blind, Mina. Ich seh' doch, wie er dich anschaut. Und in seiner Gegenwart verhältst du dich so anders."

Ich trat vorsichtig einen Schritt auf ihn zu und legte meine Hand auf seine. „Es tut mir leid, dass du dich so fühlst. Das war aber nie meine Absicht. Henry, ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass ich nicht irgendwie Gefühle für ihn hatte oder habe. Aber ich bin mit dir zusammen, Dag und ich sind gute Freunde", erklärte ich die Situation und hoffte damit endlich das Eis zwischen uns brechen zu können. Ich konnte nicht einfach alles Stehen und Liegen lassen, nur weil Dag mir gestanden hatte, dass er mich ein bisschen mag. Ich wollte kein ewiges Auf und Ab, ich wollte etwas Konstantes. Und das hatte ich mit Henry hoffentlich gefunden.

Wie es geht || Dag-Alexis KopplinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt