Kapitel 20: Heimatstadt

294 9 9
                                    

Erfurt, Oktober 2021

Nachdenklich starrte ich auf das kleine schwarz-weiße Bild in meiner Hand. Viel konnte ich darauf nicht erkennen, doch ich wusste, was es bedeutete.

Dann richtete ich meinen Blick wieder auf die Gera, welche ruhig an mir vorbei plätscherte. Ich hatte es mir auf einer kleinen Bank nahe der Krämerbrücke bequem gemacht und versuchte, meine Gedanken zu ordnen. Die kalte Abendluft ließ mein Gesicht leicht taub werden und ich zog meine Jacke etwas enger um mich. Ich dachte daran zurück, was vor wenigen Tagen passiert war.

Nachdem ich Vincents und Lolas Wohnung überstürzt verlassen hatte, hatte ich mich sofort hinter das Lenkrad meines Wagens gesetzt und war auf direktem Weg zurück nach Erfurt gefahren. Wie froh ich in diesem Moment gewesen war, mein Auto dabei zu haben. Die Fahrt über war ich so sehr mit meinen Gedanken beschäftigt, dass ich nicht einmal wusste, wie ich überhaupt heil zu Hause angekommen war.

Und dann hatte ich die halbe Nacht in meinem dunklen Wohnzimmer gesessen, geweint und nachgedacht. In meinem Kopf ergaben die Worte meines Hausarztes überhaupt keinen Sinn. Ich konnte nicht schwanger sein. Das hätte ich doch bemerkt!

Meine Periode war weiterhin regelmäßig gekommen und ich nahm die Pille. Doch nachdem ich dummerweise ein bisschen bei Google recherchiert hatte, stellte sich heraus, dass es wohl auch Schwangerschaften gab, bei welchen die Periode weiterhin regelmäßig kam.

Lola und Dag versuchten mich die ganze Zeit zu erreichen und irgendwann stellte ich mein Handy einfach auf lautlos. Ich wusste, es war ihnen gegenüber nicht fair, doch ich musste erst einmal meine Gedanken sammeln.

Am nächsten Morgen vereinbarte ich gleich einen Termin bei meinem Frauenarzt. Ich war mir sicher, dass das alles nur ein großes Missverständnis war, doch ich wollte Gewissheit.

Mit einer kurzen Nachricht, dass es mir gut ging und ich etwas zu klären hatte, besänftigte ich Lola und Dag etwas. Auch Vincent hatte mir geschrieben. Und bei seiner Nachricht hatte ich wirklich kurzzeitig mit dem Gedanken gespielt, ihm alles zu erzählen. Er wollte mich wissen lassen, dass er für mich da sei und wenn es etwas gebe, was ich weder Lola noch Dag erzählen könnte, er gerne ein offenes Ohr für mich hätte.

Doch schnell verwarf ich diesen Gedanken wieder. Es wäre Lola und besonders Dag gegenüber unfair, wenn ich mit Vincent sprechen würde, aber nicht mit ihnen. Außerdem wollte ich Vincent nicht aufbürden, diese Sache vor seiner Freundin und seinem besten Freund geheim zu halten.

Ich beschloss, den Termin beim Frauenarzt abzuwarten und dann weiterzusehen. Zum Glück bekam ich schon 3 Tage nach meinem Anruf den ersehnten Termin. Kontakt hatte ich in dieser Zeit aber mit niemandem.

Ich war an diesem Morgen mit einem unguten Gefühl zum Frauenarzt gefahren und schnell wurde klar, dass es nicht unberechtigt war.

Nach einer Blutabnahme und einem Urintest, führte eine Helferin mich in eines der Untersuchungszimmer und bereitete mich für den Ultraschall vor.

Als meine Frauenärztin mit einem freudigen Lächeln und einem „Herzlichen Glückwunsch, Frau Hintz. Sie sind schwanger!" den Untersuchungsraum betrat, brach ich in Tränen aus. Wie dämlich ich ausgesehen haben musste. Von der Hüfte abwärts nackt und breitbeinig lag ich auf diesem beschissenen Stuhl und heulte wie ein Schlosshund.

Meine Ärztin nahm sich viel Zeit für mich und ging auf alle meine Fragen ein. Auch sie erklärte mir, dass es gar nicht untypisch war, schwanger zu sein und weiterhin die Periode zu bekommen. Auch die Pille war wohl nicht immer das sicherste Verhütungsmittel und ich schwor mir, diese sofort abzusetzen. Was ich nun sowieso tun musste.

Frau Dr. Schwarz merkte mir an, dass das alles überhaupt nicht mein Wunsch war. Sie sprach vorsichtig einen Schwangerschaftsabbruch an, doch mehr als ein Schulterzucken bekam sie auf diese Frage nicht. Auf meine Frage hin, wie weit ich denn schon war, begannen wir zu rechnen. Da dies mit der Menstruation nicht klappte, dachte ich daran zurück, wann ich das letzte Mal Sex gehabt hatte. Und das war im Juli. Mit Dag.

Wie es geht || Dag-Alexis KopplinWhere stories live. Discover now