Kapitel 8: Nichts in der Welt...

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Dezember 2017, Erfurt

Mit aller Kraft stemmte ich mich auf meinen Koffer und zog gleichzeitig unter großer Mühe den Reisverschluss zu. Grinsend richtete ich mich auf und strich mir eine Haarsträhne hinter das Ohr, welche sich aus meinem Zopf gelöst hatte. Nach etlichen Versuchen, hatte ich es endlich hinbekommen, diesen verdammten Koffer zuzubekommen.

Zwei Arme schlangen sich plötzlich um meine Hüfte und ich wurde an einen warmen Körper gezogen. Ich zuckte leicht zusammen, entspannte mich aber sofort, als sich ein Kopf auf meiner Schulter ablegte und mir ein sanfter Kuss auf die Wange gedrückt wurde.

„Du weißt schon, dass wir nur ne' Woche fahren? Wie viel hast du denn eingepackt?", erklang seine tiefe Stimme direkt neben meinem Ohr und eine leichte Gänsehaut zog sich über meine Arme. Ich drehte den Kopf etwas, um ihn ansehen zu können, und lächelte dabei.

„Ich muss doch auf alles vorbereitet sein", erklärte ich und sah in seine grünen Augen.

Wieder küsste er meine Wange und ließ mich daraufhin los. Henry verließ das Schlafzimmer und ich sah ihm einen Moment nach.

Kurz nachdem Lola und ich im Oktober wieder zu Hause angekommen waren, hatte uns der Alltag schnell eingeholt. Ich hatte im Kindergarten aller Hand zu tun und Lola war im Krankenhaus total eingespannt. Anfang November dann hatten wir es uns erlaubt, mal wieder einen Mädelsabend zu genießen und da war ich Henry in die Arme gelaufen. Es hatte zwischen uns sofort gefunkt und schon ein paar Tage später trafen wir uns zum Essen. Eines führte zum anderen und mittlerweile waren wir seit über einem Monat ein Paar.

Lola und Vincent waren mittlerweile ebenfalls ein Paar. Vincent war nach einer Show in Dresden, Ende November, sogar für ein paar Tage nach Erfurt gekommen um sie zu besuchen. Henry und er hatten sich kennengelernt, wurden aber anscheinend nicht wirklich warm miteinander. Ich bekam die Blicke nicht aus meinem Kopf, mit welchen Vincent meinen neuen Freund den ganzen Abend bedacht hatte. Dag war nicht dabei gewesen und ich wusste bis heute nicht was der Grund dafür war.

Nachdem ich wieder zu Hause war, hatte Dag sein Versprechen gehalten und wir hatten viel miteinander geschrieben und telefoniert. Es war so leicht Gespräche mit ihm zu führen und manchmal fühlte es sich an, als würden wir uns schon seit Ewigkeiten kennen. Jedes Mal, wenn eine Nachricht auf meinem Display erschien, hatte ich alles Stehen und Liegen gelassen, um sofort antworten zu können.

Dann lernte ich Henry kennen. Dag verschwand natürlich nicht sofort aus meinem Kopf, doch ich konnte mich auch nicht gegen die aufkeimenden Gefühle für Henry wehren. Ich erzählte Dag von Henry und seit diesem Tag war alles anders. Keine regelmäßigen Nachrichten und Anrufe mehr und irgendwann bekam ich auf meine Nachrichten überhaupt keine Antworten mehr. Seitdem brachte ich die Mühe nicht mehr auf, ihm überhaupt noch zu schreiben. Mehr als einmal hatte ich mich gefragt, ob Henry der Grund für den Kontaktabbruch war. Doch das hieße, Dag wäre eifersüchtig. Ich hatte mich versucht damit abzufinden, dass Dag nicht so fühlte wie ich und deshalb erschien mir der Gedanke lächerlich, dass Eifersucht eine Rolle spielte.

Zu Anfang hatte es mich traurig gestimmt, dass wir keinen Kontakt mehr zueinander hatten. Ich vermisste Dag, heute noch immer, doch die Trauer hatte sich irgendwann in Wut gewandelt. Wut darüber, dass ich vermutlich nie eine ordentliche Erklärung dafür bekommen würde, warum er sich nicht mehr bei mir meldete.

Und hier stand ich nun, mit meinem gepackten Koffer und würde in wenigen Minuten mit Henry und Lola im Auto auf dem Weg nach Berlin sein. Morgen ist Silvester und wir hatten unsere Pläne natürlich in die Tat umgesetzt, diesen Abend mit Feli, Robin und Niklas in Berlin zu verbringen. Diese Pläne schlossen nun aber auch, anhand der jüngsten Ereignisse, Vincent und Dag ein. Lola würde niemals ohne ihren Freund feiern wollen und bei der Planung waren wir alle auch noch Feuer und Flamme dafür gewesen, gemeinsam in das neue Jahre zu starten. Und das alles bereitete mir unheimliches Kopfzerbrechen, da ich keine Ahnung hatte, was mich in Berlin erwarten würde. Wie sollte ich mich Dag gegenüber verhalten und wie würde er sich überhaupt mir gegenüber verhalten? Würden meine Gefühle Achterbahn fahren, wenn ich zum ersten Mal seit langer Zeit wieder in seine blau-günen Augen sehen würde?

Wie es geht || Dag-Alexis KopplinDonde viven las historias. Descúbrelo ahora