0.7 | FIVE TIMES

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ABWESEND DREHTE Danbi die Wasserflasche in ihren Händen, die sie mit den letzten 1800 Won (ca. 1,35€) aus ihrer Hosentasche gekauft hatte und saß abwartend an einer Fensterbank des Convenience Stores.
Der Regen prasselte gegen die Scheiben und aufgrund der grellen Röhrenlampen an der Decke konnte sie ihr Spiegelbild im Fensterglas erkennen.

Um nicht unhöflich zu sein, hatte sie die Flasche mit ihrem Restgeld gekauft. Nur hinein zu kommen wegen des Regenschauers fände sie etwas unpassend, aber vielleicht war das auch nur die Deutsche, die da aus ihr heraus sprach.
Seit zehn Minuten wartete sie darauf, dass der Niederschlag nachließ, doch tatsächlich passierte genau das Gegenteil.
Insgeheim beneidete sie die Leute mit Regenschirm, die an dem kleinen Store vorbeiliefen. Nur eine Gestalt hatte keinen dabei und lief geradewegs auf die Eingangstür des Ladens zu.
Wenige Sekunden später konnte Danbi leise Stimmen aus dem Kassenbereich des Shops hören und nach kurzer Zeit gesellte sich ein Mann mit dunkler Cap und Mundschutz zu ihr. Er ließ sich auf den zweiten Stuhl links von ihr sinken und stellte eine Packung Ramen und einen Becher gekochtes Wasser auf die Tischablage vor sich.

„Hallo", grüßte sie ihn kurz, der Höflichkeit halber.
Ruckartig drehte der Mann sich in ihre Richtung, so als hätte er die junge Frau bis eben noch garnicht bemerkt. Sie zuckte zusammen und blieb wie eingefroren sitzen. Erst da fielen ihr die Kopfhörer in seinen Ohren auf. Der Blick seiner tiefdunklen Augen kreuzte überrascht ihren. Wahrscheinlich war er zu vertieft in das gewesen, was auch immer aus den Kopfhörern in seinen Ohren kam.

Einige Sekunden mussten vergangen sein, ehe Danbi bewusst wurde, dass sie ihn anstarrte. Und er sie. Mit einem Räuspern durchbrach sie die unangenehme Stille im Raum und das schien auch seine Starre zu lösen. Er tippte etwas auf seinem Handy herum und nahm dann die Kopfhörer aus dem Ohr.
„Entschuldige, möchtest du ein Autogramm haben oder vielleicht ein Foto machen?"
Verdutzt guckte sie den Mann an.
„Ähh nein..?", antwortete sie misstrauisch. Er zog eine Augenbraue in die Höhe, was ihm einen perfekten Ausdruck der Irritation verlieh.
„Du kennst mich also nicht?", fragte er prüfend und verunsicherte Danbi damit maximal.

Woher sollte sie ihn kennen? Waren sie sich schon einmal begegnet?

„Nein, sollte ich oder spielst du grad irgendwelche Spielchen mit mir, weil eigentlich bin ich eine recht sarkastische Person, aber wenn jemand anderes-"
Sie unterbrach sich selbst, als sie das amüsierte Funkeln in seinen Augen bemerkte.

„Nein, nein alles okay, vergiss es."
Die Tatsache, dass er sich weiter mit ihr unterhielt und nicht sofort den Shop verließ, überraschte und beruhigte sie gleichermaßen. Entweder war er es gewohnt, dass Leute sich vor ihm lächerlich machten oder der Mann hatte einfach eine hohe Toleranzgrenze.

Schweigend begann er heißes Wasser in den Becher Ramen zu gießen und zog seinen Mundschutz hinunter. Die Spitzen seiner dunklen Haare blitzten unter der schwarzen Cap hervor. Er hatte ebenmäßige Gesichtszüge, rote Lippen und hohe Wangenknochen. Seine tiefbraunen Augen waren Danbi schon vorher aufgefallen.
Etwas zu offensichtlich betrachtete sie sein viel zu hübsches Gesicht, sodass er es bemerkte und sich seiner Sitznachbarin fragend zuwandte.
„Ist was?" In seinem Unterton schwang etwas mit, das sie nicht deuten konnte. Da fiel ihr auf, dass dieser Mann sie vollkommen von ihrem eigentlichen Problem abgelenkt hatte.
„Uhm...", begann sie zaghaft, „Ich wohne noch nicht lange hier in Seoul und hab mich verlaufen. Mein Akku ist leer, deshalb wollte ich fragen, ob ich vielleicht dein Handy benutzen und jemanden anrufen könnte."
Kurz musterte er das dunkelhaarige Mädchen scannend. „Das ist keine Anmache oder so?"
Stumm starrte sie ihn an und ehe sie die Bedeutung seiner Worte realisierte, musste sie sich ein argwöhnisches Schnauben unterdrücken. Sie Studentin blinzelte ungläubig. „Ach, vergiss es einfach", sagte sie und schnappte sich ihre Tasche und das Notizbuch vom Tisch, um aufzustehen, „Danke für... keine Ahnung." Den letzten Teil nuschelte sie nur noch. Sie wollte sich gerade umdrehen, da sagte er „Warte" und ließ sie innehalten.
„Das war ein Scherz. Setz dich wieder. Ich geb dir mein Handy."

Hidden Talent | Jeon JungkookWhere stories live. Discover now