1.9 | RAY OF HOPE

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JEONG-GUK BAT sie darum sich nicht vom Fleck zu bewegen, bis er in ein paar Minuten zurück sein würde, wie als wäre das bei ihrer tiefen Erschöpfung nach stundenlangem Weinen überhaupt eine Option.
Danbi sah dem Mann nach, als er über die Straße hastete und hinter einigen geparkten Autos aus ihrem Blickfeld verschwand.

Ob er wiederkommen würde?, überlegte sie..

Nach einer gefühlten halben Ewigkeit, in der die Frau einfach abwartend geradeaus oder auf den Boden starrte, wies die grün leuchtende Digitaluhr der gegenüberliegenden Apotheke sie darauf hin, dass Jeong-guk nun schon fast zehn Minuten fort war.
Verübeln könnte Danbi es ihm nicht in einer solchen Situation einfach die Flucht zu ergreifen.
Sie selbst wäre auch überfordert.

Danbi war kurz davor die Hoffnung auf seine Rückkehr aufzugeben, als er endlich wieder aus einer Seitengasse gejoggt kam.
In der Hand hielt er eine weiße Plastiktüte mit unbekanntem Inhalt.

„Tut mir leid, dass es so lange gedauert hat."
Er hockte sich wieder zu ihr hinunter und sah ihr nachdenklich in die Augen.
Sein Blick huschte zu einem Wassertropfen, der an ihrer rechten Wange hinunterlieft, jedoch zur Abwechslung mal keine Träne, sondern ein Regentropfen war.
Danbi beobachtete still, wie Jeong-guk ihn sanft mit seinem Daumen wegwischte und dann unruhig nach oben zu der grauen Wolkenschicht guckte, die ihren Standort inzwischen erreicht hatte.

„Komm, lass uns einen Unterschlupf suchen, damit wir nicht klitschnass werden", schlug er im Aufstehen vor und hielt der Frau seine Hand auffordernd hin, um ihr hoch zu helfen. Danbi nahm sie mit einem stummen Nicken an und lockerte ihren Griff nachdem sie sich stabil auf den Beinen fühlte, in der Erwartung, er würde ihre Hand ebenfalls loslassen.
Doch er zog sie stattdessen mit sich die Straße hinauf.
Kurz bevor der Regen anfing stark auf die Erde niederzuprasseln, retteten die beiden sich in einen U-Bahntunnel.

„Sieht aus, wie als müssten wir eine Weile hier ausharren...", stellte Jeong-guk mit einem Blick zur Treppe fest, die hinunter in die menschenleere Untergrundstation führte.
Danbi beobachtete wortlos, wie die großen Regentropfen auf die Steinstufen trommelten, beim Aufprall zerbarsten und in kleinen Bächen die Treppe hinunterflossen.

Mit quietschenden Schuhen schlurfte sie zu einer breiten Säule und ließ sich mit dem Rücken an ihr herabsinken.
Dass sie sich dabei auf den dreckigen U-Bahnboden setzte, könnte dem Mädchen im Augenblick nicht weniger gleichgültig sein.

Jeong-guk hockte sich vor ihr nieder und zog eine kleine grüne Glasflasche aus seiner Plastiktüte.
„Hier." Er hielt sie Danbi hin, doch diese beäugte nur skeptisch das Flaschenetikett, auf welchem ›Soju‹ geschrieben stand und sie wissen ließ, dass es sich hierbei um zwanzig prozentigen Reisschnaps handelte, den er ihr gerade anbot.
„Glaub mir, das hilft."
Sie seufzte.
Wo er Recht hatte...
Mit einer geschickten Handbewegung öffnete ihr Gegenüber den Deckel und die Studentin nahm gleich mehrere Schlücke in einem Zug. Bei dem anschließenden Brennen in ihrem Rachen, das die süßliche Flüssigkeit erzeugte, verzog sie das Gesicht.
Schmunzelnd nahm Jeong-guk ihr die Flasche ab.

„Wieso hat er das getan?", fragte sie nach einer Weile, in der die beiden nur dem Rauschen des Regens von außerhalb zugehört hatten.
Jeong-guks sanftes Lächeln wich wieder dem Ausdruck von Sorge.
„Wie wenig muss ich ihm bedeutet haben, um das gesamte letzte Jahr einfach so wegzuwerfen?"
Und schon merkte sie, wie ihr erneut die Tränen kamen.
Sch**ße man..., fluchte sie, Wieso hörte es nicht auf?
Schluchzend vergrub Danbi das Gesicht in den Handflächen.
„Es tut so weh und- und ich fühle mich so dumm, Jeong-guk, so unfassbar naiv und wertlos."

Es war okay diese Sachen loszuwerden.
Es war okay, weil es Jeong-guk war.

„Sag sowas nicht. Du bist clever, witzig, stark und wunderschön."
Er umfasste vorsichtig ihre Handgelenke und schob sie beiseite, damit das Mädchen ihn anguckte.
„Du bist mein Freund. Du musst sowas sagen."
Jeong-guks Blick verhärtete sich: „Atemberaubend schön", sagte er mit Nachdruck, „Du hast Augen, die einen Mann in seine Träume verfolgen könnten. In ihnen könnte man sich verlieren. Das wäre so einfach wie Atmen und irgendwie ist das beängstigend."

Hidden Talent | Jeon JungkookWhere stories live. Discover now