0.8 | THE LETTER

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BEREITS ZUM zweiten Mal ignorierte sie die gegen ihren Kopf fliegende Papierkugel. Beim dritten Schnipsel, der auf ihrem Tisch landete, reichte es ihr jedoch.
Danbi drehte sich um und schenkte Tae, der anscheinend zu viel Spaß daran hatte mit Papier um sich zu werfen, ihren besten genervten Gesichtsausdruck, den sie auf Lager hatte.
Als er seine klassische Unschuldsmiene aufzog, widmete sich seine Freundin wieder seufzend dem Dozenten auf dem Podest zu.

Wie man sah, war sie heute ziemlich mit den Nerven am Ende. Zwar konnte Tae nichts dafür, dass sie sich am liebsten im 4/4 Takt gegen den Kopf hauen würde vor Dummheit, aber er brauchte es ja nicht noch extra provozieren.
Seit Danbi heute morgen nämlich vergeblich in ihrer Tasche nach dem Notizbuch herumgewühlt hatte und feststellen musste, dass es auch beim dritten Öffnen des Rucksacks nicht da sein würde, ratterten durchgängige Schimpftiraden durch ihren Kopf.

Sie fragte sich ernsthaft wie man auch so dumm sein konnte und ein verlorenes Notizbuch nochmal zu verlieren.

Ein weiteres Seufzen entwich der Halb-Koreanerin.
Die Nervensäge hinter ihr schien aber nicht im Mindesten von ihrer miesen Laune eingeschüchtert zu sein und Danbi hörte bereits, wie er den nächsten Zettel abriss und zu einer Kugel knüllte.

„Ey, kannst du mal aufhören?!", zischte sie ihn an.
Tae grinste frech. „Mach den Zettel auf!", befahl er und sie öffnete den bereits auf ihrem Tisch liegenden Fetzen.

›Nö‹, stand darauf gekritzelt und bevor sie überhaupt dazu ansetzen konnte die Augen über Taes Kindlichkeit zu verdrehen, kam bereits der nächste Zettel angeflogen.
Danbis Sitznachbar, ein spießiger Typ mit Brille, musterte erst den Papierfetzen und dann dessen Adressatin strafend, ehe er sich auf Grund ihres entschuldigenden Lächelns kopfschüttelnd über seine Mitschriften beugte.
Vorsichtig entfaltete sie die Nachricht erneut und diesmal hatte sie sogar einen Kontext.

›Ich will dir endlich meine anderen besten Freunde vorstellen. Hast du morgen Zeit?‹

Sie überlegte kurz und schrieb ihre Zustimmung auf die Rückseite.

-☆-

„Mir ein oberkörperfreies Bild schicken und sagen, dass ich vorbeikommen soll, ist nicht in Ordnung. Diese Generation ist nicht mehr zu retten. Wo ist deine Moral? Wo ist deine Selbstachtung? Wo wohnst du? Wann soll ich da sein?"
Quietschvergnügt hörte Danbi ihrer Freundin beim Geschichten erzählen zu, während beide lachend durch die Uniflure marschierten. Die anderen Studenten guckten ihnen schon verwundert hinterher, obwohl das trotz der drei Tage, die Danbi bis jetzt auf dieser Uni verbracht hatte, nichts Neues für die zwei Kommilitoninnen war. Sumi und sie teilten einfach den selben Humor.

„Ehrlich? Das hat er gesagt?", fragte die Dunkelhaarige von beiden ungläubig. „Ja, und das auch noch direkt in mein Gesicht!!", schnaubte die Andere nun empört, als sie vor ihren Schließfächern zum Stehen kamen.
„Uhhh, ein Liebesbrief?" Sumi deutete zwinkernd auf etwas neben Danbi. Fragend wandte diese sich dem gefalteten Zettel zu, der an der Tür ihr Spindes befestigt worden war.
Neugierig riss sie den Brief ab und drehte ihn um.
„Wenn auf einem Liebesbrief hinten ein Messer und ein Totenkopf drauf gemalt sind, dann vielleicht", murmelte sie beim Anblick der abschreckenden Zeichen.
Sich darüber wundernd, ob sie sich in der kurzen Zeit in Südkorea schon Feinde gemacht hatte, öffnete sie den Brief und überflog stirnrunzelnd die Zeilen an Inhalt.
Sumi war beim Einräumen ihres Schließfachs inzwischen mucksmäuschenstill geworden.

›Halt dich von V fern oder
es gibt Konsequenzen!
Das ist eine Warnung,
also nimm sie besser ernst!!‹

Hidden Talent | Jeon JungkookWhere stories live. Discover now